Theater der KellerAus dem Leben eines normal verrückten Kölner Manns

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Die Psychologin rätselt im Theater der Keller

Köln – Paul (Julian Boine) heißt der neue Patient im Institut für hysterische Untersuchungen (IHU). Hier erwartet den vom (Alltags-)Leben überforderten jungen Mann ein tatkräftiges Team in Trainingsanzügen um die Professorin Mathilde Morejoy (Susanne Seuffert), die gemeinsam mit ihren Kolleginnen Morgasn Sapiolin (Annina Euling) und Mariana Belartes (Brit Purwin) der Hysterie mit neuen Methoden begegnet.

Kunterbunt geht es auf der Bühne im Kölner Theater der Keller zu. Große farbige Kuben füllen die Bühne und der siebenköpfige Chor junger Männer, der sich aus Schülern der Schauspielschule Der Keller rekrutiert, schimmert prächtig in hautengen Anzügen in allen Farben. Mittendrin im Potpourri, besagter Paul, überfordert als sichtbar graue Maus mit all diesen Farbfacetten des Lebens.

Emanuel Tandler inszeniert einen Ausflug in die Welt des Wahns

Regisseur Emanuel Tandler inszeniert diesen Ausflug in die Welt des Wahns als quirlige Revue. Der „dissoziativen Störung“ seines geplagten Helden steht eine Fülle an Assoziationen gegenüber, die Tandlers Stück „Die Hysteriker“ wachruft. Das IHU kommt wie eine moderne Variante des Zauberbergs daher, und die sieben Chormitglieder als anthropomorph dargestellte Emotionen und Gedanken aus Pauls Kopf, erinnern an Pixars Meisterwerk „Alle steht Kopf“, während Paul selber wie einer jener dysfunktionalen Antihelden aus der Feder von Charlie Kaufman („Vergiss mein nicht!“) erscheint.

Im Verlaufe der (Be)Handlung erfahren wir mehr über die Probleme Pauls. Von Bayenthal bis zum Barbarossaplatz reicht dessen kleine Welt, die schon in Unordnung gerät, wenn die Linie 16 ihn nicht pünktlich von der Schönhauser Straße zur Arbeitsstelle in die Prüfstelle für Lebensmittel chauffiert. Die toughen Trainerinnen, allen voran Susanne Seuffert mit dem dominanten Gestus einer Führungsperson, analysieren Stück für Stück Pauls prekäre Lebenswelt. Dem schlägt allenthalben das Panikherz bis zum Hals, wenn die Zeitungen die Klimakatastrophe behandeln und er selber nicht mehr weiß, ob er den Papierzettel vom Teebeutel entfernt hat, bevor er ihn in der Braunen Tonne entsorgte. Und da wäre ja noch das Problem mit dem Geburtstagsgeschenk der Mutter, die ihm ein Bild mit einer Klarinette geschenkt hat und das immer noch nicht aufgehängt ist, weil Paul nicht weiß, ob ihm irgendeiner seiner Nachbarn einen Akkuschrauber ausleihen würde.

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Haben wir es vielleicht bei Paul mit einer „histrionischen Persönlichkeitsstörung“ zu tun? „Histrio“ bedeutet im Lateinischen „Schauspieler“ und ein Schauspiel der tragikomischen Sorte bekommt das Publikum allemal geboten. Mittendrin im therapeutischen Tam-Tam, das mit fröhlicher Hingabe absolviert wird, gibt es allerdings als Intermezzo einen Exkurs in die Historie der Hysterie. Hier verdunkelt sich das Bild merklich. Während das Damentrio darum bemüht ist, den männlichen Patienten von seiner neurologischen Notlage durch eine Umdeutung seiner Symptome zu befreien, haben Männer vom Mittelalter bis in die Moderne das physische und psychische Phänomen der Hysterie mit patriarchalischen Selbstverständnis als weiteres Instrument zur Unterdrückung der Frau benutzt.

Pointiert und eindringlich spielen die Schauspielerinnen die Leidenswege von Frauen nach, die von der Kirche als Hexen gebrandmarkt oder als entrückte Heilige instrumentalisiert wurden. Nicht besser erging es den weiblichen Opfern, die im 19. Jahrhundert der männlichen Wissenschaft in die Hände fielen. Die Behandlung mit Vibratoren, die damals aus medizinischen Gründen hergestellt wurden, steht für die skurrile Sichtweise der damaligen Zeit, die Entfernung der Gebärmutter (altgriechisch: Hysteria) oder die martialische Behandlung mit der Ovarienpresse, die der berühmte französische Neurologe Jean-Martin Charcot bei zahllosen Frauen anwandte, zeugen von der ungemeinen Brutalität, mit der die Frauen zu medizinischen Versuchsobjekten degradiert wurden.

Wie anders ergeht es im Vergleich dazu den männlichen Patienten im Theater: „Reinsteigern ist gut, in den Rhein steigen schlecht", kalauert als Credo die Institutschefin Morejoy und folgerichtig, wenn auch urplötzlich, löst sich Pauls Problemwelt in Wohlgefallen auf. Die Chorknaben aus Pauls Kopf dürfen endlich befreit aus der Reihe tanzen und seinem Hirn öffnet sich der Horizont. Widersprüche und unlösbare Konflikte, so lautet die Conclusio dieser gelungenen Komödie, gilt es als Aspekte des Lebens zu akzeptieren.

Theater der Keller, Termine: 14.4., 6.5., 22.5., 28.5., 12.6. und 16.6.

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