Erst spät findet Fatima Khan überhaupt zum Schreiben, jetzt ist sie zum Bachmann-Preis eingeladen. Was bewegt die Kölnerin?
Kölnerin Fatima Khan beim Ingeborg-Bachmann-PreisSie will Geschichten, ihre Geschichte erzählen

Die Kölner Autorin, Moderatorin und Künstlerin Fatima Khan ist mit zum diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis eingeladen
Copyright: Ana Maria Sales Prado
Wir treffen uns in einem Café in Nippes. Fatima Khan – schwarze Stiefel, schwarzer Rock, schwarze Sommerbluse – grüßt die Betreiber. Sie wohnt direkt um die Ecke, das hier ist ihr Veedel. Die 37-jährige Autorin hat erst spät mit dem Schreiben angefangen, aber mit dem, was sie veröffentlicht hat, weiß sie zu überzeugen – die Einladung zum diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis ist der wohl größte Beweis dafür.
Köln wird zur Protagonistin in ihrem ersten Roman
Dort wird sie aus ihrem Debütroman lesen, an dem sie aktuell schreibt. Köln ist darin zugleich Ort und Protagonistin: „Es geht um die Architektur der Stadt und um die Architektur von Familien und Beziehungen“, so Khan. Der Architekt Gottfried Böhm spielt eine entscheidende Rolle – seine Betonkirchen, die das Nachkriegsköln so sehr prägen, haben es ihr besonders angetan. Ihr erster Roman heißt wie sein erster Kirchenbau: „Madonna in den Trümmern“. In einem kürzlich veröffentlichten, gleichnamigen Text schreibt ihr lyrisches Ich: „Gottfried Böhm ist vergangene woche verstorben alles ergibt plötzlich sinn sein tod dein tod unsere brutale trennung aus beton seine kirchen pflastern unseren weg.“
Im Schatten der hübschen Altbaufassaden, auf dem sonnigen Schillplatz in Nippes, überlegt die Autorin gut, bevor sie klar und bestimmt spricht. Manchmal schweift ihr Blick die Straße herunter, wenn sie nach den richtigen Worten sucht. Die Häuser der Stadt scheinen ihr zu antworten – auch ihre Ästhetik beschäftigt Fatima Khan: „Dieses Zusammengewürfelte, was man über Köln sagt, dieses Eklektizistische, das angeblich hässlich sein soll, diese verschiedenen Architekturstile und Gebäude weisen für mich auf eine Wunde hin. Das ist eben die Geschichte dieser Stadt, dieses Landes.“
„Frauen wie ich waren immer nur Gastarbeiterinnen oder Migrantinnen in der Literatur, aber nicht einfach deutsche Literatur.“
In Bangladesch geboren, kommt Fatima Khan mit einem Jahr nach Köln, wo sie im Süden am Rande der Stadt aufwächst. Später studiert sie Antike Sprachen und Kulturen, Klassische Literaturwissenschaft und Germanistik an der Uni Köln. Doch das Studium lässt sie frustriert zurück, „weil ich Menschen wie mich weder in der Literaturwissenschaft noch im Literaturbetrieb gesehen habe und mich gefragt habe, wessen Texte lesen wir hier eigentlich?“ Sie habe sehr lange studiert und fast ausschließlich Texte von Männern gelesen. Wenn eine Frau vorkam, dann sei sie weiß gewesen. „Frauen wie ich waren immer nur Gastarbeiterinnen oder Migrantinnen in der Literatur, aber nicht einfach deutsche Literatur.“ In ihrer Stimme hört man die Wut – und Schmerz.
Die bestehenden Strukturen aufbrechen
Nach dem Studium ergreift sie selbst die Initiative und gründet 2018 das Literaturfestival „q[lit]*clgn“, zu dem ausschließlich Frauen, genderqueere und nicht-weiße Personen eingeladen werden. Sie will es anders, besser machen. Seitdem kuratiert und moderiert Khan regelmäßig Veranstaltungen und Lesungen – ihr Weg in den Literaturbetrieb, lange bevor sie ihren ersten eigenen Text veröffentlicht: „Ich habe mit dem Literaturfestival mit einer Axt auf die Hintertür eingeschlagen und mir dadurch meinen Platz selbst gesucht.“
Hier findet sie die Vorbilder, die sie an der Uni schmerzlich vermisst hat: Autorinnen wie Alice Hasters, Şeyda Kurt, Maryam Aras, Franziska Setare Koohestani, Lisa Tracy Michalik, Mithu Sanyal oder Miedya Mahmod. „Wir versuchen gemeinsam, solidarischer miteinander umzugehen, Ressourcen zu teilen, die bestehenden Strukturen aufzubrechen“, so Khan.
Vom Fotografieren zum Schreiben
Dass sie auch selbst schreiben will, merkt sie durch ein anderes Medium: Auf einer Reise, ebenfalls 2018, fotografiert sie mit dem Handy und lädt ihre Medienkunst fortan auf Instagram hoch. Sie will Geschichten, ihre Geschichte, erzählen. Zwei Jahre später veröffentlicht sie ihren ersten Text – und wird prompt von einem Lektor eines großen Verlages kontaktiert: „Da habe ich gemerkt: okay, es ist eigentlich alles da. Ich muss es mir nur langsam eingestehen. So eine Nachricht bekommt man nicht jeden Tag.“
Mit 35 Jahren beginnt Fatima Khan ein neues Studium: Mediale Künste mit Schwerpunkt Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Hier findet sie Unterstützung beim Schreibprozess ihres Romans. „Mit dem Start bei der KHM habe ich angefangen, mir selbst die Legitimation zum Schreiben zu geben“, sagt sie. Da ist aber noch eine andere Seite: „Ich finde es nicht einfach, in solche Räume zu gehen, die auf einer angeblichen Auslese basieren und natürlich auch in der Vergangenheit Menschen wie mich aus diesen Institutionen herausgehalten haben.“
Was wird heute als Literatur gesehen?
Die Einladung zum Bachmann-Preis kommt für Fatima Khan wenig überraschend. Mithu Sanyal hatte sie bereits im letzten Jahr gefragt, ob sie in Klagenfurt lesen will – doch sie lehnte ab. Warum? Fatima Khans Blick schweift nachdenklich über den Platz: „Schon aus Unsicherheit, aber auch Widerstand, an diesen Ort zu gehen.“ Die Art und Weise, wie sie schreibe, werde eigentlich nicht als Literatur gesehen. „Können die Menschen, die alle in diesem System sozialisiert sind, mir überhaupt Feedback geben zu meinem Text? Oder nehmen sie mir alles weg? Streichen sie mir alles, was ‚anders‘ und in ihren Augen keine Literatur ist?“
In diesem Jahr fährt Fatima Khan trotz allem nach Klagenfurt: „So sehr ich meine Zweifel und Unsicherheiten damit habe, ist es eben trotzdem eine einmalige Möglichkeit.“
Am 26. Oktober liest Fatima Khan neben Evie Helen Reckendrees und Sven Spaltner im Rahmen der Lesungs- und Gesprächsreihe „[OHNE PRONOMEN]“an der Kunsthochschule für Medien Köln. 19.30 Uhr, Freies Werkstatt Theater Zugweg 10, 50677 Köln, Eintritt frei.