„Außenseiterkunst“ im Kölnischen KunstvereinSo normal, dass es verrückt scheint

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Gemälde von William Scott sind mehrere Selbstporträts des afroamerikanischen Künstlers in unterschiedlichen Rollen zu sehen.

William Scott, Ohne Titel 2013

In seiner aktuellen Ausstellung zeigt der Kölnische Kunstverein Werke von elf Künstlern, die man früher als Sonderlinge, Eigenbrötler oder Außenseiter abgestempelt hätte. Die Schau zeigt eindrucksvoll, dass sich in ihrer scheinbaren Verrücktheit viel Vernunft, Normalität und mitunter eine radikale Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen verbirgt.

Adelhyd van Bender wuchs in scheinbar geordneten Verhältnissen auf, ein Junge aus wohlhabendem Elternhaus, das er freilich schon im Alter von 15 Jahren verließ, um in einem Jugendheim zu wohnen und eine Lehre als Elektriker zu beginnen. Als seine Eltern starben und er deren Vermögen erbte, wurde van Bender entmündigt, später, im Alter von 26 Jahren, warf ihn die Berliner Hochschule für Künste nach zwei Studienjahren hinaus. Er reiste nach England, wo er nach aristokratischen Vorfahren forschte, und wechselte, zurück in Deutschland, das namentliche Geschlecht: aus Harald Friedrich Bender wurde der adlige Adelhyd.

Den Rest seines Lebens stritt er mit Ämtern und vor Gerichten darum, sein Schicksal selbst bestimmen zu dürfen. Die Zeugnisse dieses Kampfes füllen meterweise Aktenordner und bestehen aus geometrischen Zeichnungen, fantastischen Übermalungen und mathematischen Formeln, die einer privaten Ordnung zu gehorchen scheinen – und mit der Vernunft deutscher Amtsstuben ganz und gar unvereinbar sind.

Auch die Kunstwelt braucht bürokratische Schubladen wie „Outsider Art“

Vor zehn Jahren hätte man Adelhyd van Benders Werke wohl noch bedenkenlos unter „Außenseiterkunst“ abgelegt, auch die Kunstwelt braucht schließlich bürokratische Schubladen, um einigermaßen reibungslos zu funktionieren. Wobei dieser Sammelbegriff schon immer etwas hilflos wirkte, weil er höchst individuelle Künstler zusammenfasste, deren Werke für den Kunstbetrieb eben nicht ohne weiteres zu vereinnahmen waren: Menschen, die in der Psychiatrie lebten, als Eigenbrötler und Sonderlinge galten, sich alles selbst beigebracht hatten oder sich in eine eigene Mythologie einschlossen.

Allerdings waren die Grenzen zwischen „Outsidern“ und „Normalen“ schon immer fließend. Ein Außenseiter der bürgerlichen Welt zu sein, gehört schließlich zum unverhandelbaren Selbstverständnis des modernen Künstlers, und ein gewisses Maß an Besessenheit ist nun mal nötig, um seinen Stil zu finden und zu perfektionieren.

Es ist also allzu verständlich, dass Nikola Dietrich und Susanne Zander bei ihrer „Außenseiter“-Ausstellung im Kölnischen Kunstverein einen intellektuellen Eiertanz um Begriffe wie naiv, obsessiv oder gar verrückt aufführen. Sie definieren die elf vorgestellten Künstler lieber darüber, dass sie „ganz bewusst mit ihren Abhängigkeiten arbeiten“ und gesellschaftliche Traditionen sowohl durch ihre Kunst als auch durch ihr Leben „unterminieren“.

Man könnte auch sagen, dass im scheinbaren Wahnsinn einer Helga Sophia Goetze eine radikale Vernunft steckte: Anfang der 1970er Jahre tauschte die Bankiersgattin ihre Rolle als „Hausfrau der Nation“ gegen die der selbsternannten feministischen „Supersau“ ein und hielt unter dem Motto „Ficken bringt Frieden“ tägliche Mahnwachen vor der Berliner Gedächtniskirche ab. Im Kunstverein erinnern kleinteilige Stickbilder an ihren „genitalen“ Kampf für die sexuelle Befreiung aller Frauen.

Klaus Beyer genießt Kultstatus als „fünfter Beatle“

Einige der gezeigten Künstler genießen einen gewissen Klassiker- oder Kultstatus, wie etwa August Walla, von dem in Köln zwei großformatige Götter- und Teufelsbilder zu sehen sind. Klaus Beyer, der sich in handgemachten Musikfilmen als „fünfter Beatle“ neu erfand, wurde von Christof Schlingensief protegiert, Kasper König zeigte die „Anwendungsbilder“ Dietrich Orths bereits in den 1980er Jahren im Frankfurter Portikus. Trotzdem halten sich Vorurteile gegen die „Außenseiter“ offenbar hartnäckig; jedenfalls berichteten die Kuratorinnen davon, dass ein städtisches Archiv vorgeblich „peinliche“ Goetze-Werke lieber unter Verschluss hielt als sie auszuleihen.

Ansonsten haben aber auch Dietrich und Zander an Erotika gespart. Auf den märchenhaften Zeichnungen Albert Leo Peils tauchen hier und da geschmückte Phalli auf, die digitalen Animationen von Wendy Vainity alias Madcatlady treiben hingegen lediglich puritanischen YouTube-Zensoren die Schamröte ins Gesicht. Beide Künstler scheint die Sehnsucht nach Verwandlung anzutreiben, ein Motiv, das als roter Faden durch die individuellen Mythologien der Ausstellung führt.

Man sieht es auch den Selbstporträts an, die Lee Godie, eine Cindy Sherman der Straße, in öffentlichen Fotokabinen machte, oder den Gemälden, auf denen sich William Scott als Titelheld von Sport- und Lifestylemagazinen verewigt. Adelhyd van Bender und Helga Sophia Goetze wiederum suchten in der Verwandlung die Freiheit von äußeren Zwängen – man muss schon blind sein, um nicht zu erkennen, dass diese „Außenseiterkunst“ zur Mitte der Gesellschaft gehört.

„Game of No Games“, Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6, Köln, Di.-So. 11-18 Uhr, 13. November 2022 bis 5. März 2023

KStA abonnieren