Kölns Schauspiel-Chef Stefan Bachmann„Darum hat Amazon Angst vor uns“

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Stefan Bachmann

Köln – Stefan Bachmann, am Freitag eröffnet das Schauspiel Köln seine Spielzeit mit „Nathan der Weise“. Als wir zuletzt sprachen, wussten Sie noch nicht, welchen Weg Sie sich durch das Dickicht des Stückes bahnen würden. Und nun?

Stefan Bachmann: Es lichtet sich langsam, also es ordnet sich. Es ist ein Stück, das es einem als Regisseur nicht ganz einfach macht. Lessing hat es als Lesedrama konzipiert und die Dramaturgie wirkt mitunter arg konstruiert. Es ist didaktisch aufgebaut, die Idee der Toleranz soll sich entfalten. Trotzdem kommt durch die Hintertür eine merkwürdig komplizierte Krimihandlung. Das macht das Stück nicht unbedingt zur Kür. Ich versuche, es nicht so papiern daherkommen zu lassen, sondern atmosphärisch und sinnlich.

Lessing geht es um Toleranz. Die knapp 250 Jahre, die seit dem „Nathan“ vergangen sind, verweisen seine Vision in den Bereich der Utopie.

Ja, dieser positive Grundgedanke des Stücks konterkariert sehr stark mit einer dystopischen Welt. Einer Welt, wie wir sie in den Sommerferien nochmal vorgeführt bekommen haben, in all ihren apokalyptischen Ausmaßen. Ob das Klimakatastrophen oder der Krieg in Afghanistan sind. Wobei ich das berührend finde, wie Lessing von Wolfenbüttel aus das Licht der Aufklärung anzündet und diesen Gedanken der Religionsverständigung verbreitet. Den haben wir alle inhaliert – und trotzdem habe ich das Gefühl, es ändert sich nichts.

Es bringt nichts, den Taliban die Ringparabel vorzutragen?

Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob da am Lagerfeuer nicht mal ein Tränchen verdrückt werden würde. Es wäre eigentlich einen Versuch wert. Und das ist gerade das, was mich reizt. Wie verhalten sich das Stück, die Handlung und die Figuren zwischen diesen Polen von Utopie und Wirklichkeit?

Macht die politisch-klimatische Lage das Stück dringlicher? Suchen Sie nach dystopischen Momenten?

Das war immer schon das Konzept. Das Stück fängt ja damit an, dass Nathans Haus abgebrannt ist. Das ist komischerweise an der Oberfläche des Textes keine spürbare Katastrophe. Bei der vertieften Lektüre dann jedoch schon: Nathan ist der der einzige Überlebende eines Pogroms – seine Familie wurde verbrannt. Insofern gab es den dystopischen Ansatz von Anfang an und die Ferien haben es auf eine traurige Art eher bestätigt. Es ist ein brennendes Haus in einer Welt, die sowieso brennt.

Brisante Märchen

Der „Nathan“ hat auch etwas Märchenhaftes. Das liegt ihnen doch?

Ja. Ich will jetzt auch nicht zu viel verraten. Märchen, das heißt für viele: kindlich, nicht relevant für die Wirklichkeit und nicht richtig ernst zu nehmen. Für mich sind Märchen immer Ausdruck einer poetischen Verkleidung einer Geschichte, die aber darüber überhaupt nichts von ihrer Brisanz einbüßt. Ich finde Märchen hochvirulent und absolut interessant.

Vor zwei Jahren haben Sie Wajdi Mouawads „Vögel“ inszeniert, ein Stück, das man als modernes, tragisches Update des „Nathan“ bezeichnen könnte. Wie eng stellen Sie jetzt den Bezug her?

Beide spielen in Jerusalem, mit 800 Jahren Abstand, aber der Konflikt ist immer noch der gleiche. Das ist niederschmetternd. Wir spielen im Bühnenbild von „Vögel“, mit einer Erweiterung. Der Cast ist komplett identisch. Es ist interessant wie sich die Figuren zueinander verhalten. Wir werden die Stücke Ende November an zwei Abenden hintereinander spielen. Ab Januar planen wir dann Eventabende mit Doppelvorstellungen.

„Vögel“ endet unversöhnlich. Was für ein Licht werfen die beiden Stücke aufeinander?

„Ich werde keinen Trost finden“, sind die letzten Worte von „Vögel“. Ein Motiv, das  sich komplett spiegelt, ist das der Biografien, die anders sind, als erlebt oder gedacht. Recha wächst im Glauben auf, die leibliche Tochter von Nathan zu sein. Am Ende enthüllt sich, sie ist ein christliches Findelkind. Bei dem Tempelherrn ist es ähnlich. Er erfährt, dass sie nicht seine Geliebte sein kann, da sie seine Schwester ist. Was dann „Vögel“ auslöst, in der Betrachtung des „Nathan“, ist, dass man nicht darüber hinweggeht, sondern sich den Schock klar macht, wenn Biografien sich anders als gedacht herausstellen.

Wenn eine Person glaubt, sie ist Jude…

… und dann erfährt, sie ist eigentlich Palästinenser. Dass man auch diese Seiten ernst nimmt, dass es andere Welten sind, die ganz andere Sichtweisen erzeugen. Bei Lessing sind irgendwie alle eine Familie. Das ist gut gemeint, aber auch kitschig. Was das mit dem Individuum macht, wenn es sich den Trümmern seiner Identität gegenüber sieht, dass finde ich spannend.

Überraschende Verlängerung

Kommen wir zu einem anderen wichtigen Themenkomplex. Die überraschende Verlängerung Ihrer Intendanz bis 2026. Wie ist das passiert?

Irgendwann im Winter ist die Oberbürgermeisterin Reker auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich mir eine Verlängerung vorstellen kann.

Eine Verlängerung der Verlängerung!

Genau. Und ich fand das irgendwie toll. Zumal das auf einem gegenseitigen Wunsch basiert. Nicht zuletzt, weil durch diese anderthalb Jahre Corona das Theaterleben verknappt worden ist und ich gemerkt habe, es wird schwierig, bis 2023 mit meinen ganzen Vorhaben und Visionen durchzukommen.

Ging es da auch sofort um diesen Zeitraum von drei Jahren?

Ja, ich habe gesagt, dass es ab dem Moment für mich Sinn macht, wenn es drei Jahre sind. Damit kann ich nochmal richtig gut planen und etwas bewegen. Und ich finde natürlich auch den Umzug ins neue Haus spannend. Die Eröffnung ist eine riesige Herausforderung, mit der ganzen Logistik ist das nicht zu unterschätzen. Wenn wir wieder einziehen, werden zwölf Jahre vergangen sein. Viele kennen das alte Haus am Offenbachplatz gar nicht, da ist es vielleicht gut, wenn jemand das Theater leitet, der es sehr gut kennt.

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Es geht Ihnen auch um die Zukunft des Mülheimer Depots?

Ja, ich will dass das hier als Spielstätte erhalten bleibt. Ich habe das aufgebaut und mir ist das wichtig. Meine Vision wäre, dass hier ein Zentrum für Internationalen Tanz entsteht, mit einer eigenen Company, die aber auch international vernetzt ist.

Was sagt Frau Reker dazu?

Sie sagt, dass sie den Tanz begrüßt, aber das reicht nicht. Es braucht dann auch die Politik. Es muss ja finanziert sein. Die Zeichen stehen ganz gut. Alle wollen das. Jetzt muss es aber auch gemacht werden. Ich hoffe, dass wir den neuen Kulturdezernenten dafür gewinnen können.

Haben Sie Stefan Charles schon gesprochen?

Ich habe ihn kurz kennengelernt. Da konnte ich mal wieder Schwyzerdütsch reden. Er ist aber offiziell erst ab Oktober im Amt. Köln ist kein leichtes Pflaster. Um sich zwischen den unterschiedlichen Akteuren behaupten zu können, braucht man ein Standing und klare Vorstellungen.

Der Kater nach Corona

In der Kulturszene haben viele Angst vor dem Kater nach Corona, wenn alle den Gürtel enger schnallen sollen – auch die Kultur. War das Teil der Verhandlungen?

Ehrlich gesagt nicht. Da hätte mir im Moment auch niemand Zusagen machen können. Wir haben zum Glück ja nicht die Situation wie in München. Nordrhein-Westfalen hält im Moment die schützende Hand über die Kulturinstitutionen, inklusive dem Versprechen, in den nächsten ein, zwei Jahren die entstandenen Defizite auszugleichen. Ich lobe ungern als Theatermacher die Politik, aber da muss ich mal sagen, das fühlt sich gerade ganz gut an. Wie lange es Bestand hat,  werden wir dann sehen.

Furore gemacht hat „Dramazon Prime“, das Streamingprogramm  des Schauspiels. Jetzt mussten Sie diesen Namen ändern.

Weil Jeff Bezos den Artikel über uns in der „New York Times“ gelesen hat. Wir haben ein anwaltliches Schreiben von Amazon bekommen. In dem stand wortwörtlich „unsere Kunden könnten verwirrt sein“. Das ist doch der schönste Ritterschlag, den man sich vorstellen kann: Amazon hat Angst vor uns! In einen Rechtsstreit wollen wir uns jetzt aber nicht stürzen und nennen es jetzt #digital. Wir werden auch von „Nathan der Weise“ eine digitale Version herstellen, damit wir auch Schulen erreichen, die nicht ins Theater kommen können.

Mit Stefan Bachmanns Inszenierung von „Nathan der Weise“ eröffnet das Schauspiel Köln am Freitag seine Spielzeit.

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