Konzert im Kölner GloriaWie Aldous Harding den Zeichner eines Busenbildes abstraft

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Aldous Harding singt im Kölner Gloria-Theater in Köln. Sie trägt einen ärmellosen schwarzen Hosenanzug und hat die Haare streng zum Zopf gebunden.

Aldous Harding im Kölner Gloria-Theater

Die exzentrische Sängerin aus Neuseeland trat im ausverkauften Gloria-Theater auf und entzückte und verunsicherte ihre Fans im gleichen Maß.

Aldous Harding hält ein pinkes Post-it hoch. Was darauf zu sehen ist, beschreibt sie für die hinteren Reihen im Kölner Gloria-Theater: Ein Paar Brüste, gezeichnet als semi-abstrakte Halbkreise. So wie pubertäre Klassenclowns sie wohl seit Jahrhunderten eilig auf Tafeln kritzeln. Harding hat das Klebeblättchen unter ihrem Verzerrerpedal gefunden.

Im ausverkauften Konzertsaal herrscht jetzt das, was man in amerikanischen Filmen eine „Situation“ nennt. Irgendwer wird demnächst eingreifen müssen. Wenigstens sollte der Schuldige vortreten, sonst werden noch alle bestraft. Hardings Augen funkeln wütend, fixieren einzelne Menschen im Publikum. Von hinten ruft eine Frau, wie leid ihr das ganze tue, ihr und uns allen. Doch bevor jemand schwitzend zusammenbricht und haspelnd gesteht, geht das Konzert einfach weiter. Später erzählt die neuseeländische Singer-Songwriterin, dass sie ja wisse, wer es war. Noch ein kurzer Angstmoment, es ist beinahe ihre einzige längere Ansprache. Ihr bester Freund, löst Harding auf, habe das getan und damit müsse sie jetzt leben.

Aldous Harding hält jede Faser ihres Körpers angespannt

Man möchte jedenfalls nicht in seiner Haut stecken. Eventuell ist die ganze Sache Backstage auch so lächerlich, wie ein Busen-Post-it eben ist. Denn was hier auf der Bühne geschieht, ist definitiv eine Performance und das war es auch schon vor dem winzigen Zwischenfall. In einem ärmellosen schwarzen Hosenanzug, der an Jiu-Jitsu-Bekleidung erinnert, hatte Harding nach ihrer vierköpfigen Band die Bühne betreten, die Haare streng zum Pferdeschwanz nach hinten gekämmt, jede Faser ihres Körpers angespannt, und dazu wild grimassierend: ein Popkonzert als Kabuki-Theater. Wo hat man das schon einmal gesehen, fragt man sich? Genau: Bei Russel Mael, dem Hitler-Bart tragenden Teil der Sparks-Brüder.

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Aber die Irritation, die Harding mit ihrer zur Schau gestellten Unverbindlichkeit auslöst, führt exakt zu jenem Hab-Acht-Zustand, in denen ihre Songs am besten zur Geltung kommen. Die tasten sich so hellwach und hypernervös vor, wie ein Reh auf der Lichtung, dies aber mit dem Selbstbewusstsein eines Monster-Trucks, falls die gemischte Metapher erlaubt ist.

Ihre Texte – oft im täuschend lieblichen Sopran vorgetragen, der sich aber jederzeit zu einem kindlich-trotzigen Gequieke verengen oder in einen fordernden Alt stürzen kann – verweigern sich jeder Interpretation, jede einzelne Zeile ist ein kleiner Testballon, der die Zusammensetzung der Atmosphäre vermisst. Wenn Harding dann mal konkret wird, wie in „Ennui“, dem ersten Stück des Abends, wirkt das fast schockierend: „Leck meinen Spann“, fordert sie, „ich vermisse den Funken, den er auf mir hinterlässt.“

Schönheit erlaubt sie sich gelegentlich auch. Dann klingen ihre Songs nach Nick Drake. Aber wacher und wehrhafter. Die 33-Jährige ist als Hannah Topp auf einem Bio-Bauernhof in der Nähe von Christchurch aufgewachsen. Das stellt man sich idyllisch vor und vermeint das Meer und den weiten Horizont in der Durchlässigkeit ihrer Arrangements zu hören.

Es ist viel Raum in diesen Liedern, der Wind kann durch sie pfeifen und jeder hingetupfte Klang – der Schlagzeuger, der plötzlich zum Flügelhorn greift, Harding, die sich selbst mit Trommelstock und Teetasse begleitet, die Leonard-Cohen-Gitarre im Intro von „Designer“ oder ein kollektiver spitzer Schrei – wird zum Ereignis.

Sie spielt am Sonntagabend vor allem Stücke ihres aktuellen Albums „Warm Chris“. Das klingt folkiger und vertrackter als frühere Aufnahmen, die noch gelegentliche Zugeständnisse an die Konventionen der Popmusik machten. Man kann auch einfach sagen: Es klingt noch mehr nach Aldous Hardings einzigartig-eigenartiger Vision. Die ist nicht halb so abweisend, wie sie vorgibt zu sein: Selten sah man ein derart konzentriertes Publikum. Und das lag nicht nur an der unterschwelligen Angst, der böse Klassenclown könnte noch irgendwo ein anrüchiges Post-it versteckt haben.

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