Konzert im StadtgartenJlin schlägt die Brücke zwischen Michael Jackson und Minimal Music

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Jlin auf der Bühne des Jaki im Kölner Stadtgarten. Sie trägt eine schwarze Bandana und ein schwarzes T-Shirt, beugt sich über ihren Laptop.

Jlin, geborene Jerrilyn Patton, im Kölner Jaki-Club.

Die Pulitzerpreis-nominierte US-amerikanische Komponistin Jlin trat im Jaki auf. Unsere Kritik.

Jerrilynn Patton schüttelt den Kopf: „Das ist keine Jlin-Show, dafür seid ihr nicht gekommen.“ Erst knisterte die Monitorbox, jetzt massiert die Musik nur sanft das Jaki, den Kellerclub des Stadtgartens. Dabei sollten doch bassstark die Wände wackeln. „Wir müssen die Lautstärke aufdrehen!“

Kurz darauf ist es endlich so weit. Jlins Finger tanzen wie im schnellen Vorlauf über die Tasten ihres MPC-Computers. Footwork nennt man das hyperaktive House-Subgenre aus Chicago, das sich durch sein halsbrecherisches Tempo und eine aus dem Takt trudelnde Bassdrum auszeichnet. Der Sound der flinken Finger fährt den Tanzenden direkt in die Füße, daher der Name.

Nicht, dass das Publikum im Jaki nun ins Schwitzen käme, in den vergangenen Jahren hat Jlin eher Ballettmusik komponiert als Partys beschallt, etwa für den englischen Choreografen Wayne McGregor, oder mit bildenden Künstlern und klassischen Ensembles zusammengearbeitet. Ihre EP „Perspective“ brachte ihr eine Nominierung für den Pulitzerpreis ein, auf ihrem aktuellen Album „Akoma“ kollaboriert sie unter anderem mit Björk und Philip Glass.

In „The Precision of Infinity“ – das auch am Mittwochabend in Köln zu hören war – schwillt dessen feingliedriges Pianospiel zwischen den eilenden Beats auf und ab und man staunt, wie nah sich Minimal Music und Footwork doch im Repetitiven kommen können. Allerdings bremsen Jlins harte Breaks den hypnotischen Effekt der Glass'schen Etüde rüde aus: „Wach bleiben!“, scheinen sie zu rufen, die Welt ist volatil, da muss man die Kunst beherrschen, bei Gefahr und Wetterumschlag präzise auf dem Absatz umzudrehen und das auch noch möglichst elegant aussehen zu lassen.

Philip Glass finanzierte sich seine Neutöner-Existenz lange Zeit als Taxifahrer in New York, Jerrilynn Patton nahm ihr erstes Album „Dark Energy“ vor neun Jahren zwischen ihren Arbeitsschichten in einer Stahlfabrik in Gary im US-Bundesstaat Indiana auf. Den Knochenjob konnte sie nach ihren ersten künstlerischen Erfolgen an den rostigen Nagel hängen, doch bis heute lebt die 36-Jährige in der entvölkerten Industriestadt, die man vor allem wegen ihrer hohen Mordrate kennt – und als Geburtsort der Jackson 5. Ihre ersten Schlagzeug-Stunden hatte Patton als Jugendliche bei einem Cousin von Michael Jackson genommen, bis der Musiklehrer erstochen in seiner Wohnung aufgefunden wurde.

Man kann, wenn man will, Gewalt, Armut und ausbeuterische Arbeit aus Jlins melodiearmen, gnadenlos voran preschenden Tracks heraushören. Und ebenso das Gegenteil: Die Selbstermächtigung des quasi-architektonischen Entwurfs ihrer Musik, das Hakenschlagen des Tricksters, der mit Gewitztheit und geheimen Wissen den Verhältnissen ein Schnippchen schlägt. So viel an inhaltlicher Fülle aus derart reduzierten Strukturen zu gewinnen, das ist der Zaubertrick von Jlins künstlerischem Entwurf.

Im Jaki wird ihr kurzes Set dementsprechend gefeiert. Erst recht, als sie zum Ausgleich des holprigen Starts eine Zugabe ankündigt, die sie äußerst selten spiele: Ein unveröffentlichtes Stück, auf dem sie gemeinsam mit dem Kronos Quartett und Jazz-Visionär Sun Ra zu hören ist. In dem kollidieren Voodoo-Percussion und eruptive Streicher, europäische Moderne und Afrofuturismus. Genau dafür war man gekommen.

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