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Konzert von Guns N' RosesAls Axl Rose die Stimme wegbleibt, rettet er den Abend

Lesezeit 5 Minuten
24.06.2023, Großbritannien, Somerset: Sänger Axl Rose (l) und Gitarrist Slash von der Band Guns N' Roses spielen beim Auftritt auf der Pyramid Stage des Glastonbury Festivals in Worthy Farm in Somerset.

Axl Rose und Slash beim Glastonbury Festival 2023, beim Konzert in Düsseldorf durfte nicht fotografiert werden.

Guns N' Roses traten in der Düsseldorfer Merkur-Spiel-Arena auf. Es wurde ein mühseliger Abend mit einem grandiosen Slash.

Wenn Guns N' Roses noch zehn Jahre durchhalten, werden sie die endgültig letzten Exponenten des klassischen Stadionrocks sein. Die vom Aussterben bedrohten Bewohner eines Jurassic Parks aus tritonischen Teufelsakkorden, Drogenromantik, Frauenfeindlichkeit und einem Freiheitsversprechen, das zwischen Obdach- und Rücksichtslosigkeit irrlichtert. Oder, wie Axl Rose es nennt: „Paradise City“.

Mit dieser mitgröhltauglichsten Hymne der Band endet die dreistündige Düsseldorfer Show des fleischgewordenen Rockkulturerbes – und mit der Frage, wie sie das bloß noch zehn Jahre durchhalten wollen? Begonnen hatten Guns N' Roses das Konzert, ebenso vorhersehbar, mit „Welcome to the Jungle“.

Erinnerungen an das alte Video werden wach, das lief bei MTV Ende der 1980er in Dauerrotation. Ein blutjunger Axl Rose, frisch vom Land, ein Strohhalm im Mundwinkel, steigt aus dem Bus in den Mad-Max-artigen Sündenpfuhl der Stadt. Neonlichter, Drogenhandel, käufliche Liebe – Rhythmusgitarrist Izzy Stradlin, damals wichtigster Songschreiber der Band, finanzierte sich seine Sucht durch Zuhälterei – und das Versprechen eines frühen, dafür wenigstens angemessen coolen Todes warteten in Los Angeles' verkommener Downtown.

Das war Rock: die Missachtung des Morgens als Schrumpf-Utopie

Das war Rock: die Feier des Jetzt, des Instant-Exzesses, die Missachtung des Morgens als Schrumpf-Utopie. Wenn die Alternativen Indiana, Knast oder evangelikale Gottesdienste lauten, ist das auch kein Paradox mehr.

In Düsseldorf klingt der Dschungel wie entlaubt. Es liegt nicht daran, dass Ur-Bassist Duff McKagan und der erst dieses Jahr dazu gestoßene Schlagzeuger Isaac Carpenter nicht mehr ganz die funky federnde Sprungkraft reproduzieren können, mit der die Band 1987 so aufsehenerregend debütierte – man ist halt nur einmal jung und hungrig. Sondern an Axl Roses von der Zeit arg in Mitleidenschaft gezogener Stimme.

Die findet nur noch im Kreisch-Register zu früherer Größe. Der Kopf des Sängers läuft rot an, seine Gesichtszüge verzerren sich. Er sieht, Verzeihung, dabei aus wie ein unter Verstopfung leidender Cartoon-Hamster, aber man ahnt noch etwas von der elektrisierenden Wirkung, die seine Stimme einmal gehabt haben muss. Doch in den tieferen Oktaven oder beim Sprechgesang wie im anschließenden Heroin-Lamento „Mr. Brownstone“ setzt sie oft völlig aus.

Gerade noch hatte der Sänger der Vorband Rival Sons seinen inneren Jim Morrison gechannelt. Völlig aus der Zeit gefallen, aber unbestreitbar machtvoll donnerte dessen Bariton durch die Merkur-Spiel-Arena. Jetzt dient der als unschmeichelhafter Vergleich mit dem ausgepowerten Organ von Rose. Der Star des Abends – für seine 63 Jahre körperlich durchaus noch fit – kompensiert die fehlende Stimmkraft durch Hyperaktivität, rennt von einem Ende der Bühne zum anderen, wechselt die Oberbekleidung, ringt sich zu einer verdrucksten Nicht-Entschuldigung für die Frauenfolter-Fantasie „Pretty Tied Up“ durch.

Nachdem er beim Wings-Cover „Live and Let Die“ die Strophe geschlabbert hat, quetscht sich Rose ein langgezogenes „die“ aus den Eingeweiden, der Schrei einer beleidigten Todesfee. Pfeifen (im Intro von „Patience“) kann er allerdings noch 1a. Als Rose es vergleichsweise unbeschädigt durch „It's So Easy“ geschafft hat, stellt er sich breitbeinig auf die Monitorboxen und fixiert die Menge, als wollte er sagen: „Geht doch noch!“ Was das Publikum, rund 38.000 sind gekommen, mit spürbarer Indifferenz quittiert. Kurz darauf verliert ein frustrierter Axl Rose dann doch die Fassung: „Was zum Teufel ist hier los, verdammt“, beschimpft er die unbewegten Massen – oder vielleicht eher sich selbst.

Slash rettet Song um Song mit seinen mal bluesigen, mal kosmisch ausgreifenden Gitarrensoli

Zwischen den Songs grinst ein animierter Totenkopf im Neonfegefeuer von den haushohen LED-Wänden. Der Tod hat Guns N' Roses vergessen und aus dem Rock'n'Roll-Paradies sind sie längst vertrieben worden. Der Rest ist harte Arbeit. Zwei Stunden mühen sie sich ab und Slash rettet Song um Song mit seinen herausragenden, mal bluesigen, mal kosmisch ausgreifenden Gitarrensoli. Der Mann ist sein eigenes Muppet: Der obligatorische Zylinderhut sitzt fest auf den schwarzen Locken, die Sonnenbrille verweigert den Durchblick, auf dem ärmellosen Leibchen prangt das Signet von „The Midnight Special“, der amerikanischen Late-Night-Show mit den besten Live-TV-Performances der 1970er.

Unter dem nassgeschwitzten Stoff zeichnet sich ein Bäuchlein ab, aber sein Gitarrenton ist schlank geblieben. Ab und an darf auch Rhythmusgitarrist Richard Fortus, seit 2002 dabei, ein Solo spielen, zum Beispiel zum soften Jimmy-Webb-Standard „Wichita Lineman“ nur um sogleich von Slash an der Sixstring übertroffen zu werden.

Trotz seines offensichtlichen Ehrgeizes: Slash spielt frei von jeder Angeberei, verbeugt sich zwischendurch mit kleinen Einschüben von „Voodoo Child“ und dem „Peter Gunn Theme“ vor Jimi Hendrix und Duane Eddy. Das hält bei Laune, dennoch wirken die ersten zwei Stunden wie eine von Band und Fans geteilte, mühselige Pflichtaufgabe. „So lange war ich wahrscheinlich noch nie bei Tageslicht draußen“, scherzt Rose gequält. Selbst „Sweet Child o' Mine“ kommt und geht, als wäre nichts weiter gewesen.

Dann wird ein Flügel auf die Bühne geschoben. Axl Rose hat sich für seinen großen, sinfonischen Pop-Moment eigens in einen schwarzen Glitzerfrack geworfen. Man höre und staune, ausgerechnet „November Rain“, seit jeher unter Kitschverdacht, bringt die späte Wende. Die Sonne geht unter, die Menschen im Stadion wachen auf. Die nächsten Songs, unter anderem „The General“ und „Nighttrain“, werden vom Rockvolk gefeiert, und mit allerletzter Kraft, nach 30 Stücken – ein langes Slash-Instrumental und ein Geburtstagsständchen für Keyboarder Dizzy Reed nicht mitgerechnet – fährt der Bus heimwärts in die „Paradise City“ ein.

Deren sündige Versuchungen – Sex, Drogen, Rock'n'Roll – können freilich niemanden mehr locken. Man möchte nur noch ins Bett.