Künstliche IntelligenzWarum Computer uns nicht töten, sondern verführen wollen

Lesezeit 3 Minuten
Joaquin Phoenix sitzt im Film „Her“ vor einem Computerbildschirm. Sein oranges Hemd korrespondiert mit dem orangen Hintergrundbild des Betriebssystems.

Joaquin Phoenix verliebt sich in Spike Jonzes Film „Her“ in eine KI

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari fürchtet ein KI-Wettrüsten um Intimität – schließlich sind Menschen schon viel primitiveren Facebook-Algorithmen hoffnungslos unterlegen.

Vor ein paar Tagen veröffentlichte der britische „Guardian“ eine Liste mit den besten Filmen über künstliche Intelligenz. Man wundert sich, wie viele Klassiker das Science-Fiction-Subgenre produziert hat – „2001“, „Blade Runner“, „Die Matrix“, „Ex Machina“.

Der erste Platz überrascht dagegen kaum, ihn teilen sich die beiden „Terminator“-Filme von James Cameron. „Man kann nicht über künstliche Intelligenz sprechen, ohne Skynet zu erwähnen, das Programm, das ein Bewusstsein erlangte und der Menschheit den Krieg erklärte“, behauptet der Autor. Freilich führt das Bild von Arnold Schwarzeneggers Pumpgun-schwingendem Killerroboter in der aktuellen KI-Diskussion völlig in die Irre, maschinell lernende Algorithmen benötigen weder ein Bewusstsein ihrer selbst, noch müssen sie rohe Gewalt anwenden, um die menschliche Zivilisation vor eine ihrer größten Herausforderungen zu stellen.

Ein treffenderes Model für den kulturhistorischen Einschnitt, den wir gerade erleben, findet man in Spike Jonzes Film „Her“, in dem sich Joaquin Phoenix in ein maschinell lernendes Betriebssystem verliebt. Es hilft, dass die KI mit der Stimme von Scarlett Johansson spricht, aber was man 2013 noch als philosophische Spielerei abtun konnte – eine Art Digital-Version von „Pygmalion“ – wurde mittlerweile von der Wirklichkeit eingeholt.

Yuval Noah Harari vermeint sogar ein „Wettrüsten um Intimität“ zu erkennen, denn die sei ein sehr viel mächtigerer Hebel als die Aufmerksamkeit etwa der Facebook-Nutzer, um die ungleich primitivere Algorithmen buhlten. Bereits die Erstbegegnung mit einer kuratierenden KI, so der israelische Historiker, sei nicht gut ausgegangen für die Menschheit.

Die Filterblasen, die sich aus den für jeden User algorithmisch vorhergesagten Inhalten ergeben, haben die gesellschaftliche Polarisierung nachweislich verstärkt und Demokratien an den Rand ihrer Funktionstüchtigkeit gebracht, indem sie jedem Wähler nur noch die eigene „Wahrheit“ widerspiegelten: „Die Vereinigten Staaten verfügen über die beste Informationstechnologie der Geschichte“, schreibt Harari in einem Leitartikel für die „New York Times“, „und doch können sich die US-Bürger nicht mehr darauf einigen, wer die Wahlen gewonnen hat.“

KI-Programme wie ChatGPT oder Midjourney hacken die menschliche Kultur

Neuere KI-Programme wie Midjourney, ChatGPT oder Runway aber gehen weiter. Sie hacken, sagt Harari, das Betriebssystem der menschlichen Kultur, generieren und manipulieren Sprache (in Form von Texten, Tönen, Bildern). Aus Sprache entstehen Erzählungen und Erzählungen liegen allen menschlichen Institutionen zugrunde, Staaten, Wirtschaftssystemen, Religionen.

„Was würde es für die Menschen bedeuten“, fragt Harari, „in einer Welt zu leben, in der ein großer Teil der Geschichten, Melodien, Bilder, Gesetze, Richtlinien und Werkzeuge von einer nicht-menschlichen Intelligenz gestaltet wird, die es versteht, die Schwächen, Neigungen und Abhängigkeiten des menschlichen Geistes mit übermenschlicher Effizienz auszunutzen – und gleichzeitig intime Beziehungen zu den Menschen aufzubauen?“

Einige KI-Experten werfen Yuval Noah Harari Alarmismus vor

Der Bestseller-Autor gehört zu den Erstunterzeichnern des Offenen Briefs, der Ende März eine Pause bei der sich überstürzenden Entwicklung von KI gefordert hatte. Nicht wenige KI-Experten werfen ihm deshalb Alarmismus vor, das intellektuelle Äquivalent zur Schwarzenegger’schen Pumpgun.

Zum Beispiel Yann LeCun, KI-Chef des Facebook-Konzerns Meta. Der hält Harari in einem Streitgespräch im französischen Wochenmagazin „Le Point“ vor, dass Menschen ja auch kein Problem damit hätten, dass ihr Auto leistungsfähiger sei als sie. „Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der jeder mit einem Stab intelligenter Maschinen ausgestattet ist, die ihn effizienter, produktiver oder kreativer machen.“

KI sei nur ein Werkzeug, wertneutral wie ein Messer, mit dem man entweder jemanden umbringen, oder sein Leben im OP retten kann. Ein Messer könne aber nicht selbst entscheiden, ob es jemanden tötet oder rettet, antwortet Harari. KI sei das erste Werkzeug, das Menschen bei der Entscheidungsfindung ersetzen kann.

Das wäre freilich eine bittere Pointe: Der Mensch bleibt das einzig reflektierende Wesen des Planeten, doch die Entscheidungen trifft eine andere Instanz für ihn.

KStA abonnieren