Sklavenhändler und DemonstrantinZwei Statuen für einen Sockel

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Marc Quinns Statue von Jen Reid wird vom Sockel geholt.

  • Im englischen Bristol wurde bei einer Black-Lives-Matter-Demonstration am 7. Juni die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston gestürzt.
  • Auf den Sockel stellte sich eine Demonstrantin und zeigte die Black-Power-Geste. Der Künstler Marc Quinn machte dieses Bild ebenfalls zur Statue und setzte sie auf den vereinsamten Sockel.
  • Doch die neue Statue sollte dort nicht lange stehen bleiben. Über die Geschichte zweier Statuen und ihren Sockel.

Bristol – Die Bronzestatue des englischen Kaufmanns, Wohltäters und Sklavenhändlers Edward Colston stand 125 Jahre lang auf einem Sockel aus Kalkstein im Zentrum Bristols, bevor sie am 7. Juni dieses Jahres von Teilnehmern einer Black-Lives-Matter-Demonstration gestürzt wurde. Den nun leeren Sockel erklomm die schwarze Demonstrantin Jen Reid und erhob ihre Faust zum Black-Power-Gruß, so wie das die amerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos während der Siegerehrung zum 200-Meter-Lauf der Herren bei den Olympische Spielen des Jahres 1968 getan hatten. Ihr Mann fotografierte die Aktion.

Die Fotografie wiederum sah der Londoner Künstler Marc Quinn auf Instagram. Quinns bekanntestes Werk ist die überlebensgroße Marmorstatue der schwangeren, ohne Arme geborenen Künstlerin Alison Lapper, die zwischen 2005 und 2007 auf dem wechselnden Skulpturen vorbehaltenen vierten Sockel des Trafalgar Square ausgestellt war. Quinn kontaktierte Reid und überredete sie, für ihn in der gleichen Pose Modell zu stehen, die sie auf Edward Colstons leerem Sockel eingenommen hatte.

Stromstoß

Er fertigte einen 3D-Scan von Reid an und aus diesem eine lebensgroße Skulptur aus Stahl und schwarzem Harz, der er den Titel „A Surge of Power (Jen Reid)“ gab, was man wörtlich mit „eine Welle der Macht“ übersetzen könnte, tatsächlich bedeutet es aber „Stromstoß“. Die Skulptur habe Jen Reid selbst geschaffen, in dem Augenblick, in dem sie sich zu ihrer Geste entschloss, sagte Quinn. Er hätte sie lediglich kristallisiert.

Das Abbild der Demonstrantin ließ der Künstler heimlich und ohne Erlaubnis der zuständigen Behörden, in den frühen Morgenstunden des 15. Juli, von einem zehnköpfigen Team auf den immer noch leeren Sockel im Bristoler Zentrum aufstellen. Die Aktion dauerte nur 15 Minuten.

Die Rechnung für Entfernung und Transport geht an den Künstler

Die Statue von Jen Reid sollte nur 24 Stunden auf dem Kalksteinsockel stehen. Die Stadt schickte bereits am nächsten Morgen Arbeiter, um sie mit Hilfe eines Kranes zu entfernen. Die abmontierte Statue wurde ins örtliche Museum gebracht, wo der Künstler, ließ der Stadtrat verlauten, sie entweder abholen oder als Schenkung der ständigen Sammlung vermachen könne. Zuerst muss Quinn jedoch die Rechnung für Entfernung und Transport seines Werks begleichen.

Prompt erhoben sich Stimmen unter der Bevölkerung Bristols, die beklagten, dass die Stadt zwar jahrzehntelang ohne Ergebnis über den Verbleib der Colston-Statue diskutiert, nun aber der Sache unangemessene Eile an den Tag gelegt habe. Dabei ist es doch selbstverständlich, dass die Stadt sich den demokratischen Prozess der Entscheidungsfindung, was mit dem leeren Sockel geschehen soll, nicht aus der Hand nehmen lässt. Zudem haben sowohl Marc Quinn als auch Jen Reid bereits im Vorfeld klargestellt, dass es für sie nicht wichtig ist, ob ihre Statue nun für einen Tag oder einen Monat an ihrem Platz bleibt: Sie war da, sie hat mit großer Selbstverständlichkeit den Platz eingenommen, den jahrzehntelang ein Sklavenhändler okkupiert hatte.

Vereinigung im Museum?

Viel wichtiger war denn auch die Entscheidung der Stadt, den gestürzten Colston nicht wieder aufzustellen. Die Demonstranten hatten das Standbild in den Hafen geworfen, aus dem es die Stadt vier Tage später wieder bergen ließ. Die Statue sei in einem verhältnismäßig gutem Zustand, sagte der oberste Denkmalschützer Bristols. Nur den Stab, auf den er sich stützte, habe der bronzene Colston verloren, außerdem sei ein Rockzipfel abgebrochen. Im Moment arbeite man jedoch vor allem daran, auch die Graffiti zu konservieren, mit der die Demonstranten das Denkmal besprüht hatten. Denn das sei nun Teil der Geschichte des Objekts.

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Nach der Behandlung soll es einen Platz im Stadtmuseum finden. Gut möglich, dass sich dort dann die Standbilder von Edward Colston und Jen Reid begegnen: Als erstarrte Zeugen einer bewegten Geschichte.

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