Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„La Sonnambula“ in DüsseldorfViel Applaus für Premiere in der Rheinoper

Lesezeit 4 Minuten
Eine schlafwandlerische Opernszene aus Bellinis „La Sonnambula“. Dämonen und lila gekleidete Herren umtreiben eine Frau im weißen Brautkleid.

„La Sonnambula“ ist ein feiner Belcanto und Liebeskrimi im trügerischen Dorfidyll der Schweizer Alpen. 

Vincenzo Bellinis Erfolgsoper „La Sonnambula“ ist jetzt an der Düsseldorfer Oper zu sehen. Die weithin applaudierte Premiere am Samstag ließ jedoch noch einige Wünsche offen.

„Nein, sagt! Ist es ein Traum?“, fragt Kleists Prinz Friedrich von Homburg, nachdem er wider sein Erwarten nicht hingerichtet, sondern mit Lorbeer bekränzt wurde.

„Ein Traum, was sonst?“, antwortet man ihm in der letzten Szene des Dramas. Die Realität als Traum, der Traum als Realität – es kommt hier zu jener komplexen Entgrenzung der Wirklichkeit, wie sie für die Romantik charakteristisch ist. Auch für die musikalische.

Vincenzo Bellinis Erfolgsoper „La Sonnambula“, die jetzt an der Düsseldorfer Oper zu sehen ist, berührt das Thema bereits im Titel: Worin besteht die „Realität“ der Schlafwandlerin – für sie selbst und für ihre Umwelt?

Dass es das Phänomen des Schlafwandels überhaupt gibt und die von ihm Betroffenen nicht etwa Gespenster sind, wie es die abergläubischen Bewohner eines Alpendorfes wissen – es muss ihnen durch einen auswärtigen Besucher beigebracht werden.

Regiesseur Johannes Erath meidet Provinzkritik

Da wird – auch das eine vertrackte Dialektik – die Romantik zur Aufklärung. Zugleich verhindert diese Aufklärung – Amina ist eben eine Schlafwandlerin und kein Flittchen, das seinen Bräutigam in der Nacht vor der Hochzeit hintergeht –, dass die Oper in jene Tragödie kippt, die allemal in der Luft liegt.

Johannes Erath, der auch an der Kölner Oper gut etablierte Regisseur, macht diesen möglichen Kipppunkt deutlich genug. Er schickt den gräflichen Besucher nach vorne, der die Oper seinerseits sozusagen als ein Bühnenexperiment inszeniert.  

Dabei gleitet die Sache keineswegs in eine Posse zum Zweck der Provinzkritik oder der vergnüglichen Verhöhnung von Hinterwäldlern ab. Bergmotive – Schnee, Tannenwald, Krachlederne, Gamsbärte – werden zwar zitiert, stehen aber nicht im Vordergrund, zumal Plüschsofas und die Gewandung der Dorfbewohner in Lila-Tönen eigentümlich herkunftsneutral wirken.

Nein, Erath geht es tatsächlich um jene Effekte einer Identitätsverflüssigung, für die der Schlafwandel steht. Da fallen Subjekt und Rolle auseinander, da wird das Brautkleid gleichsam zum herumgereichten Wanderpokal, bleibt als Hülle ohne Inhalt stehen. Da verdoppelt sich – auch das ein sehr romantisches Motiv – das Ich der Amina, insofern sich die Schlafwandlerin am Schluss in eine Schlafende und eine Wandlerin aufspaltet.

Auch die Realitätsebenen vermehrfachen sich in Düsseldorf: Über der Bühne (Bernhard Hammer) etabliert sich eine zweite Zone, auf der vorderhand die Zuschauerränge eines Stadions (?) montiert sind – möglicherweise ein Symbol für die ubiquitäre soziale Kontrolle, die in dieser Dorfgesellschaft herrscht (allerdings ist Mehrdeutigkeit nicht nur Thema, sondern auch ihrerseits Bestandteil der Inszenierung). Zugleich zeigt sie die Entgrenzung des Erfahrungsraumes hin zu einer von ihm nicht deutlich geschiedenen surrealen Traumwelt.

Eraths szenische Auflösung mag auf Anhieb defizitär erscheinen. Es wird viel herumgestanden, immer wieder steuert die Choreografie auf den Gefrierpunkt, zum Tableau. Da tut sich dann schon mal über zehn Minuten hinweg nichts. Das mag man kritisieren, indes lehrt diese Regie ex negativo, dass Bewegung auf der Opernbühne kein Wert an sich ist.

Im besten Fall kann die programmierte Erstarrung der Aktion, die Dehnung des Augenblicks zur Ewigkeit – auch hier im Sinne einer Entgrenzung – das Auseinanderfallen von „äußerer“ und „innerer“, realer und Bühnenzeit bewusst machen. Der dunklen Magie solcher Erstarrung, wie Erath sie induziert, wird man sich jedenfalls so schnell nicht entziehen können.

Steigernde Sängerleistungen erfreuen

Die weithin applaudierte Premiere ließ noch einige Wünsche offen: An der Koordination zwischen Graben und Bühne haperte es erheblich, wenngleich es Antonio Fogliani am Pult immer wieder (nicht durchweg) schaffte, den Düsseldorfer Symphonikern einen gestisch sprechenden, musikalisch inspirierten instrumentalen Belcanto-Ton zu entlocken. Der stark geforderte Chor agierte potent, teils aber auch grobklotzig und inhomogen.

Insgesamt erfreulich waren die Sängerleistungen, die sich im Lauf des Abends noch steigerten. Den Darstellern des zentralen Liebespaares – Stacey Alleaume als Amina und Edgardo Rocha als Elviro – widerfuhr das Nämliche: Solange sie nicht powern und stemmen und damit die Möglichkeiten ihrer vokalen Präsenz tendenziell überreizen, klingt alles wunderbar, natürlich, anrührend und schmeichelnd. Dann gelingen schönste Legato-Kantilenen und berückende Sotto-Voce-Strecken. Wenn sie sich nicht daran halten und in der Höhe Gas geben, wird es leicht unangenehm, schrill und metallisch.

Der Bassist Bogdan Talos als Graf hat in seiner Stimmlage diese Probleme naturgemäß nicht – er   imponierte mit kraftvoll-würdiger Sonorität. Heidi Elisabeth Meier als Lisa, Valentin Ruckebier als Alessio und Katarzyna Kuncio als Teresa gaben keinen Anlass zu Beanstandung.

Weitere Aufführungen: 4., 9., 12. , 15., 18., 24. März