Marcos Morau bringt in „Firmamento“ kinematografische Fantasien und irrwitzige Figuren ins Depot 1 – ein chaotischer Strudel, der choreografisch nicht recht überzeugen kann.
La Veronal im Tanz KölnEin cineastischer Taumel durch Marcos Moraus Fantasiekosmos

Zwei Tänzer des spanischen La Veronal-Ensembles beim Tanzgastspiel in Köln
Copyright: May Zircus
Marcos Morau muss ein begeisterter Filmkonsument und Kinogänger sein. Das legt jedenfalls sein neuer Abend „Firmamento“ nahe, der uns erst offenbar in ein Synchronisationsstudio schickt, dann in einen Kinosaal, dann in einen Green-Screen-Raum und schließlich mit Stanley Kubrick durchs Wurmloch ins Weltall beamt. Schon bevor es losgeht, flackert im Zuschauersaal Depot 1 das Licht und ab jetzt wird es uns ein unsicherer Helfer sein bei der Wahrnehmung von – ja, was eigentlich? Am Ende wohl einfach: Moraus irrwitzigen Fantasien.
Ein rasanter Sound-Strudel
Auf der Bühne steht eine Art Mischpult mit Mikrofonen, vielen Schaltern zum Herum-Knipsen, ein paar Instrumenten. Gekleidet in Blaumann-Uniform umtanzen die sechs Tänzerinnen und Tänzer der Kompanie La Veronal als hektisch werkelnde Toningenieure das qualmende Pult, hauen kräftig auf die Trommel, hauchen ins Mikrofon als synchronisierten sie hier gerade in Höchstgeschwindigkeit die Filmgeschichte sämtlicher Kontinente, während der eigentliche Sound doch vom Band kommt: Viele asiatische Klänge wie für Martial-Arts-Filme sind zu hören, nervenzerfetzend-hysterische Orchester-Streicher wie für Thriller, wummernde Actionfilm-Synthesizer, burlesk-komödiantisches Xylophon. Ein Sound-Strudel, den die Tonmeister aktionistisch simulieren und der ihnen auch in die Glieder fährt: Wie Comicfiguren umhampeln sie ihr Pult, bewegen sich mit ruckelig-zerrissenen Popping-Moves vorwärts, sacken abrupt mit Gummiknochen zu Boden und – nerviges Leitmotiv an diesem Abend – purzeln auf den Rücken und reißen die krummen Beine hoch wie umfallende Clowns.
Marcos Morau: Spezialist exzentrisch-bizarrer Figuren
Für exzentrisch-bizarre Figuren und kinematografischen Hyperrealismus gilt Marcos Morau mittlerweile als Spezialist. Ursprünglich Fotograf, gründete der aus Valencia kommende Künstler 2005 seine Kompanie La Veronal. Er wird aber längst auch als Gastchoreograf für große Kompanien wie das Nederlands Dans Theater, Aterballetto oder Ballett am Rhein gebucht. Sein 2023 entstandenes „Firmamento“ nun hat choreografisch wenig zu bieten, macht dafür inszenatorisch viel los, mit Puppentheater, grandiosen Lichteffekten, sensiblen Laurie-Anderson-Lyrics, überraschenden Szenenwechseln. So spielt sich die beste Sequenz des Abends auch nicht auf der Bühne, sondern auf einer Leinwand ab: Gezeigt wird ein im Zeitraffer gezeichneter Animationsfilm, der unser Universum als ineinander geschichtete Narrative zeigt und jede Realität entpuppt sich letztlich nur als kleine Szene in einer viel größeren Wirklichkeit.
Dazu in elektronischer Verzerrung das aus Kubricks „Odyssee im Weltraum“ bekannte „Zarathustra“-Motiv. Wie im Filmklassiker begegnen sich auch bei Morau die Protagonisten immer wieder selbst, sind lauter Ich-Klone in Paralleluniversen. Und wie sie taumelt man auch als Zuschauer durch Moraus Chaos und hofft: Sein nächster Kosmos wird wieder ein besserer.
Nächste Vorstellungen bei Tanz Köln: 21./22.06 im Depot 1 „Silent Tides / Passing“ von Johan Inger und Medhi Walerskis mit dem Ballet BC.