Die Landschaftsarchitektin Julia Watson will traditionelles Wissen indigener Gruppen nutzen, um unseren Planeten nachhaltiger zu gestalten. Ihr neues Buch ist jetzt bei Taschen erschienen.
Landschaftsarchitektin Julia WatsonAus der Vergangenheit für die Zukunft des Planeten lernen

„Chinampas“, aus Erde aufgeworfene „schwimmende Inseln“ wurden schon von den Azteken als Anbauflächen in flachen Seen genutzt. Ein Teil dieser Inseln besteht im Xochimilco-See in Mexiko noch immer - Designer sehen sie jetzt als Prototypen für einen schwammartigen Städtebau.
Copyright: George Steinmetz
Steigende Meeresspiegel und Fluten, Hitze und Dürre bedrohen unsere Städte und Umwelt. Die Klimakrise macht das scheinbar unbändige Element Wasser zur immer größeren Gefahr für den Menschen. Immer mehr, immer höhere Dämme werden gebaut, ganze Dörfer und Städte müssen umgesiedelt werden. Da ist es schon bemerkenswert, was die Landschaftsarchitektin und Autorin Julia Watson in ihrem neuen Buch „Lo—TEK. Water“ fordert, das gerade beim Kölner Taschen-Verlag erschienen ist. Dieses hübsche Coffeetablebook geht optisch problemlos als solches durch, hat es aber in sich. Denn auf den über 500 silbern schimmernden Seiten formuliert Watson nichts Geringeres als ein Manifest für resilientes Planen, das ein radikales Umdenken in unserem Verständnis von Umwelt, Natur und damit auch von Wasser fordert.
Schon seit Jahren befasst sich die gebürtige Australierin mit dem Wissen indigener Gruppen über ihre jeweilige Umwelt und ihre Lebensweisen in enger Verbundenheit mit der Natur. Ihre lokalen, jahrhunderte- oder gar jahrtausendealte Systeme will Watson zur Blaupause für zeitgemäße Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels machen – aus der Vergangenheit für die Zukunft des Planeten lernen.
Generationenübergreifendes Wissen bewahren und nutzen
2019 erschien ihr erster Taschen-Band „Lo—TEK“, der indigene Technologien aus aller Welt dokumentiert, die sonst nur mündlich über Generationen weitergegeben wurden, beispielsweise wachsende Brücken aus Kautschukwurzeln der Khasi in Nordostindien. Das neue Buch setzt es fort – mit Blick auf Lösungen in Zusammenhang mit Wasser. Auf den Salomonen, mitten im Südpazifik etwa, bauen die Wale i Asi seit Jahrhunderten Inseln aus lebenden Riffen, indem sie Korallenköpfe und Sand zu Plattformen schichten. Jede Koralleninsel wächst nach außen, wird gepflegt und stetig erneuert, die Korallen sind also Mitwirkende im Bauprozess. Aber auch traditionelle Arten des Fischens oder der Muschelernte – fernab von massenhafter, industrieller Aquakulturen –, herkömmliche Salzherstellung und natürliche Bewässerungssysteme für Landwirtschaft bis zu schwimmenden Farmen sind in dem Kompendium versammelt.
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In der Lagune von Venedig nutzen Menschen in den „Valli da Pesca“ seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. die saisonalen Schwankungen des Wasserstandes für eine natürliche Fischkultur durch ein System geschlossener Gewässer.
Copyright: Valentina Rocco
Watson hat den Begriff „Lo-TEK“ erfunden, der sich aus „local“ und „TEK“ zusammensetzt, wobei letzteres für „traditional ecological knowledge“ (traditionelles ökologisches Wissen) steht. Mit Lowtech hat das also nicht zwingend etwas zu tun, weshalb Watson auch zeitgenössische Lösungen aus aller Welt präsentiert, die traditionelle Techniken ins Jetzt übersetzen. So nimmt das Designstudio „Emerging Objects“ Yakchals – traditionelle Erdkuppeln in den Wüsten Persiens, die durch das Speichern der kühlen Nachtluft sogar Eis vor der Sommerhitze schützten – zum Vorbild für 3D-gedruckte Lehmformen, die dessen besondere Thermodynamik neu interpretieren. Der einst von Hand gestampfte Lehm wird heute per Code extrudiert, doch das Prinzip bleibt unverändert: Kühlung durch Luftzug, Stabilität durch Erde. Überall auf der Welt findet Watson solche „einfachen“ Herangehensweisen, denen tatsächlich oft komplexe Prinzipien zugrunde liegen, die sich Menschen über Jahrhunderte der Beobachtung, des Ausprobierens und stetigen Anpassens angeeignet haben.
Anpassungsfähige Lösungen für die Folgen des Klimawandels
Genau hier sieht Watson großes Potenzial für eine nachhaltige Architektur der Zukunft, denn Anpassungsfähigkeit ist heute im Umgang mit den Folgen des Klimawandels vielleicht entscheidender denn je. Das ist übrigens weder allein Watsons eigene, noch eine neue Idee: „Indigene Gemeinschaften schreien seit dreißig, vierzig, fünfzig Jahren von den Dächern, dass wir ihnen zuhören sollen, da sie Wissen besitzen, das uns helfen kann, Beziehungen zur Natur zu verstehen, Nachhaltigkeit zu begreifen und den Klimawandel zu bewältigen, insbesondere in ihren Regionen, aber auch in einem viel breiteren Kontext“, so die Landschaftsarchitektin im Interview mit dem Kunstforum International.

Aus Vulkangestein, Korallen und einheimischem Holz erbaute halbkreisförmige Kuapa (Felswände) und Makaha (Schleusen) regulieren in den „Loko i‘a“, traditionellen hawaiianischen Fischteichen, die Gezeiten, sodass Jungfische hinausschwimmen können, während ausgewachsene Fische im Inneren gefangen bleiben.
Copyright: Mark Lee
Zusammenarbeit statt Ausbeutung
Nun wurde indigenen Gemeinschaften auf der ganzen Welt nicht nur nicht zugehört, ihre Lebensgrundlage wurde durch koloniale Gewalt bedroht und zerstört. Deshalb ist auch nachdrücklich Watsons Appell nicht, sich wieder einmal an ihren Ressourcen, ihrem Wissen, zu bedienen, um einen möglichst großen Nutzen daraus zu ziehen, sondern in einen Austausch auf Augenhöhe zu treten.
Auch ihr Buch entstand in Zusammenarbeit mit zahlreichen indigenen Expertinnen und Experten, die als Co-Autoren genannt werden. „Die Dekolonialisierung des Designs fordert uns auch dazu auf, die Grundlagen unserer Disziplin neu zu definieren“, schreibt etwa Lyla June Johnston, Wissenschaftlerin und selbst Diné, im Vorwort und fordert die Logik „Form folgt Fluss“ statt des modernistischen Grundsatzes „form follows function“: „Dieses Prinzip erkennt an, dass Design sich im Einklang mit den Rhythmen lebender Systeme bewegen muss und nicht gegen sie.“
Unsere Umwelt im Einklang und Rhythmus mit der Natur zu gestalten, klingt nach nettem Kalenderspruch, ist aber, in einer von der Natur fast völlig entfremdeten westlichen Welt, die diese allenfalls als Ressource begreift, eine utopische, radikale Forderung, die Watson und ihre Mitstreiter durchaus sehr ernst meinen. Nicht zuletzt ist „Lo-Tek“ eine vehemente Abkehr von der arroganten Haltung des Menschen, sich über die Natur zu stellen, sie zu kontrollieren, auszubeuten, zu zerstören, bis für ihn selbst nichts mehr übrig bleibt. „Ich habe keine Antworten darauf, wie man eine globale Gesellschaft zu einem naturbasierteren kulturellen Fundament bewegt“, sagt Watson, „aber ich denke, je weiter wir uns davon entfernen, desto stärker werden wir die gravierenden Auswirkungen spüren.“
„Lo—TEK. Water. A Field Guide for TEKnology“ von Julia Watson ist beim Kölner TASCHEN Verlag erschienen. 558 Seiten kosten 50 Euro.

„Lo—TEK. Water. A Field Guide for TEKnology“ von Julia Watson ist beim Kölner TASCHEN Verlag erschienen. 558 Seiten kosten 50 Euro.
Copyright: TASCHEN

