Autorin Simone Buchholz kommt nach Köln„Durchgeknallt empfinde ich als Kompliment“

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Autorin Simone Buchholz

Autorin Simone Buchholz

Beim „Leseclubfestival“ kann man Autoren in intimer Runde erleben - zum Beispiel Simone Buchholz. Wir haben vorab mit ihr gesprochen.

Beim Leseclubfestival treffen sich Autoren und Autorinnen vom 23. bis zum 25. März in zehn deutschen Städten zu einem exklusivem Austausch mit maximal 20 Lesern und Leserinnen. Tickets gibt es noch bis zum 15. März – wer eins kauft, bekommt damit auch das Buch zugeschickt. Bis zur Veranstaltung bleibt dann noch genug Zeit zum Lesen. Neben Simone Buchholz (24. März) sind in Köln in diesem Jahr dabei: Demian Lienhard („Mr. Goebbels Jazzband“), Dirk Gieselmann („Der Inselmann“) und Verena Kessler („Eva“). 

Frau Buchholz, empfinden Sie es als Kompliment oder als Beleidigung, wenn man Ihren Roman durchgeknallt nennt?

Ich finde alles, was Grenzen sprengt - und nichts anderes ist ja durchknallen - ziemlich gut, weil wir viel zu viele Grenzen und Regeln und feste Strukturen haben.

Als Krimiautorin haben Sie lange innerhalb eines Genres geschrieben. War der Roman für sie eine Befreiung?

Ich habe zehn Genre-Romane geschrieben, das waren ungefähr fünfzehn Jahre meines Lebens. Natürlich habe ich immer schon diese Genre-Regeln gebrochen. Aber dazu muss man sie halt erstmal kennen und verstehen lernen - und sich auch immer wieder an sie halten. Und mit den letzten zwei, drei Kriminalromanen habe ich gemerkt, dass mir das immer schwerer fällt. Selbst meine Hauptfigur hat sich dagegen gesträubt. Dass ich dann von Suhrkamp das Go bekommen habe, etwas anderes zu machen, hat mir sehr dabei geholfen, das auch als Befreiung sehen zu können und nicht als einen angstvollen Schritt in ein totales Risiko.

Duchgeknallt empfinde ich als Kompliment für meinen Roman
Simone Buchholz

Ein Risiko war es trotzdem.

Klar ist es ein Risiko, die Komfortzone zu verlassen. Aber ich hatte das Gefühl, auch meine Hauptfigur war dann irgendwann auserzählt oder braucht zumindest mal eine Pause davon, dass ich sie ständig durch die Hölle schicke. Ich habe nur darauf gewartet, dass ich endlich den Werkzeugkasten benutzen kann, den ich mir über die jahrelange Arbeit im Genre vollgeladen habe. Dass ich diesen Werkzeugkasten endlich mal ohne Grenzen durchwühlen und in die Luft fliegen lassen kann. Und das hat wirklich einfach sehr großen Spaß gemacht und war total befreiend.

Beim Lesen Ihres Buchs fällt auf, wie konventionell der deutsche Buchmarkt ist.

Das ist aber glaube ich auch ein total deutsches Phänomen. Ich bin immer wieder in Frankreich unterwegs und in Großbritannien. Und da gibt es zum Beispiel diese Grenze zwischen Literatur und Unterhaltung gar nicht – also dass Literatur nicht unterhalten darf und Unterhaltung möglichst stromlinienförmig und zugänglich sein muss. Aber das Abenteuer des Erzählens und auch das Abenteuer des Lesens braucht natürlich beides. Eine Geschichte muss aufregend sein, nicht unterhaltsam – das ist der bessere Begriff. Sie muss aufregend sein, aber auch etwas zutiefst Menschliches berühren können. Denn sonst wird sie nur so weg konsumiert. Und dann darf es auch ruhig spannend oder lustig sein. Aber das immer so zu trennen, finde ich unglaublich einschränkend, sich selbst begrenzend und auch ängstlich.

Sie kommen nach Köln zum Leseclubfestival - hat sie diese ungewöhnliche Form der Literaturvermittlung gereizt?

Ach, ich mache ehrlich gesagt alles (lacht). Der Verlag hat gefragt, ob ich da Bock drauf habe und ich dachte: Warum nicht? Der Roman ist zum Beispiel entstanden, weil ich gefragt wurde, ob ich Lust habe im November auf dem Nordatlantik auf einer Fähre bei einem Krimifestival mitzumachen. Das mag wahrscheinlich auch nicht jeder - aber ich gehe sogar im November auf den Nordatlantik, wenn ich gefragt werde und es interessant finde. Und das Leseclubfestival ist natürlich auch sehr interessant. Bei einer normalen Lesung bleibt man in der gewohnten Komfortzone, und ich finde den Moment spannend, in dem man das Konzept aufbricht und alles dem Publikum in die Hand gibt.

Kommt zu Ihren Lesungen jetzt ein anderes Publikum?

Ich glaube, ich habe einen Teil der Krimi-Leserschaft verloren, aber einen ganz schön großen, neuen Teil dazu bekommen. Das sehe ich natürlich sowohl an den Verkaufszahlen, aber auch bei den Lesungen selbst. Die Leser aus meiner alten Crowd sagen dann: „Das ist etwas ganz anderes, aber es ist trotzdem immer noch das, was wir von dir kennen.“ Das Gefühl, dass ich mich offenbar als Erzählerin habe transportieren können, finde ich gut. Und es kommen auch welche, die mich gar nicht kennen und sagen: „Ich habe überhaupt nicht verstanden, worum es hier geht, ich bin total verwirrt. Aber es hat mich so mitgenommen und irgendwas hat da emotional gekickt bei mir - und jetzt will ich das auch unbedingt lesen!“. Das ist eine sehr schöne Erfahrung, die ich von Kriminalromanen so nicht kenne. Die sind ja nicht so rätselhaft und so – durchgeknallt eben.

Für mich ist das ein Riesenthema: Sterben lernen
Simone Buchholz

Welche Fragen beschäftigen Ihr Publikum bei den aktuellen Lesungen am meisten?

Ein Thema ist immer: Wo ist denn da die Autorin in dem Buch? Sind Sie denn eher Malin oder Iva? Und das ist immer ganz lustig, weil ich sie dann immer mit einer ganz anderen Antwort überrasche. Aber das darf ich Ihnen jetzt nicht verraten – sonst kommt ja keiner mehr.

In Ihrem Roman geht es um das Thema Unsterblichkeit. Die Figuren in der Geschichte altern auch nicht. Ein aktuelles Thema in Zeiten von ewiger Jugend in den Sozialen Medien – oder eher ein Menschheitsthema?

Was gerade in den Sozialen Medien passiert, ist, glaube ich, einfach nur eine neue Blüte dessen, was die Menschheit umtreibt, seit sie existiert. Alchemie wurde erfunden, um Gold, aber auch ein Mittel gegen die Sterblichkeit zu produzieren. Warum gibt es Religionen? Weil Menschen Angst vor dem Tod haben. Weil wir nicht hinter unsere eigene Endlichkeit denken können. Natürlich ist es DAS Menschheits-Thema schlechthin. Wobei ich glaube, dass die christliche Religion oder vor allem der Katholizismus da gar nicht so eine gute Adresse ist mit diesem ganzen Fegefeuer und der Hölle und der Schuld ...

Im Vergleich dazu ist das Schiff in Ihrem Roman ja eigentlich sehr angenehm...

Dadurch, dass in unseren aufgeklärten Gesellschaften die Religionen nicht mehr so eine große Rolle spielen, ist eine Lücke entstanden. Und jetzt müssen wir uns vermehrt alleine mit der Absurdität auseinandersetzen, dass wir geboren werden, um zu sterben. Und deshalb hat so eine Verherrlichung der Jugendlichkeit auf Social Media wahrscheinlich auch damit zu tun, dass die Angst vor dem Sterben konkreter geworden ist - weil wir uns da jetzt eben selbst mit auseinandersetzen müssen. Es gibt keine Religion oder Ideologie mehr, die uns das abnimmt.

Wie gehen Sie selbst damit um?

Also ich bin jetzt 51 und für mich ist das ein Riesenthema: Sterben lernen. Ich habe alte Eltern, ich bin selbst definitiv in der zweiten Hälfte des Lebens angelangt. Aber ich sehe das auch generell als ein zentrales Thema unserer heutigen Gesellschaft: Wie gehen wir damit eigentlich um, dass wir sterblich sind? Und was bedeutet das für eine offene und freie Gesellschaft, die sich eben nicht mit Ideologien oder Religionen narkotisiert?

Simone Buchholz lebt in Hamburg und hat zehn Bände ihrer erfolgreichen Chastity-Riley-Krimireihe veröffentlicht. „Unsterblich sind nur die anderen“ (Suhrkamp) spielt auf einer Nordatlantikfähre und ist eine im besten Sinne wilde Stil- und Genremischung.

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