Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Lesetipps für den SommerDiese Bücher empfehlen Kölner Literaturexperten für die Ferien

5 min
Lesende Frau am Strand

Noch keine Freienlektüre? Kölner Literaturprofis geben Tipps.

Buchhändlerin, Bibliotheks-Direktorin, Veranstalter, Schriftstellerin – wir haben Kölner Literaturprofis um ihre ganz persönlichen Buchtipps für den Sommer gebeten.

Mutig und schön düster

Hanna Wunsch arbeitet im Programmteam der lit.CologneFür alle, die im Sommer mal etwas ganz anderes lesen möchten, empfehle ich Monika Kims „Das Beste sind die Augen“. Ein Debüt, das mich wirklich fasziniert hat: originell, mutig und ganz schön düster. Monika Kim ist koreanisch-amerikanische Autorin der zweiten Generation und lebt in Los Angeles' Koreatown. Viele der kulturellen Motive in ihrem Roman stammen aus dem Aberglauben, den sie von ihrer Mutter überliefert bekam, die 1985 aus Seoul in die USA auswanderte.

Hanna Wunsch / lit.Cologne

Hanna Wunsch aus dem Programmteam der lit.Cologne

Erzählt wird aus der Perspektive von Ji-won, einer koreanisch-amerikanischen Frau, deren Familie nach der Trennung der Eltern ins Wanken gerät. Als ihre Mutter eine Beziehung mit einem weißen Amerikaner beginnt, der asiatische Frauen auf problematische Weise fetischisiert, fühlt sich Ji-won gezwungen, einzugreifen – und das mit immer extremeren Mitteln. Was als feinfühlige Familiengeschichte beginnt, wird zu einem feministischen Horrortrip über Wut, kulturelle Zuschreibungen und eine sehr spezielle Obsession: Augen. Ja, es wird auch mal eklig – aber wer das überlesen kann (oder gerade lesen will), wird mit einem klugen, eigenwilligen Roman belohnt, der lange nachhallt.

Monika Kim: „Das Beste sind die Augen“, kiwi sphere, 352 Seiten, 23 Euro.


Mitreißend nah, faszinierend scharf beobachtet

Sophia Bahl, Buchhändlerin

Sophia Bahl, Buchhändlerin und Moderatorin, mit ihrem Buch für diesen Sommer

Sophia Bahl ist Buchhändlerin, Literaturveranstalterin und Moderatorin bei manulit in Köln und Gründerin der Lesebühne new.lit.„Wie später ihre Kinder“ ist kein Sommerroman im Feel-Good-Sinne. Nicolas Mathieu schreibt über Hass, Alkohol und Wut, über Frust und Sehnsucht der sozial Abgehängten – ein multiperspektivisches Gesellschaftsdrama in der französischen Provinz. Mitreißend nah, faszinierend scharf beobachtet und differenziert erzählt: vier heiße Sommer zwischen 1992 und 1998 im Leben der ambivalenten, zerrissenen Figuren: Anthony und Hacine, spätpubertäre Kinder der Arbeiterklasse, Clem und Steph, Mittelstandstöchter, und ihre halberfüllten Lieben, halberfüllten Träume, halberfüllten Hoffnungen. In der Hitze der Sommer spitzen sich die Geschichten zu: fesselnd bis zur letzten Seite.

Nicolas Mathieu: „Wie später ihre Kinder“, Hanser Berlin, 448 Seiten, 24 Euro.


So über Kunst zu schreiben, ist eine Kunst

Änne Seidel

Kulturjournalistin und Moderatorin Änne Seidel

Änne Seidel ist Kulturjournalistin. Sie moderiert die Sendungen „Kultur heute“ und „Tag für Tag“ im Deutschlandfunk sowie Lesungen und Kulturveranstaltungen, zum Beispiel für den Kölner Literatur-Verein „Land in Sicht“. Als Autorin recherchiert sie unter anderem für den Dlf-Podcast „Tatort Kunst“.Einer der besten Romane über Kunst, den ich bisher gelesen habe! Und dann auch noch über ein Thema, das für viele Menschen sonst eher abstrakt bleibt: NS-Raubkunst. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Recherchen zu Raubkunst-Fällen eine sehr trockene Angelegenheit sein können, für die man monatelang die Archive durchforsten muss. Alena Schröder schafft in ihrem Roman aber einen emotionalen Zugang zum Thema, indem sie die jüdische Familiengeschichte sichtbar macht, die hinter einem solchen Fall steht. Sie erzählt von vier selbstbestimmten Frauen aus vier Generationen und einem rätselhaften Gemälde von Jan Vermeer. Und das so gut und packend, dass es sowohl für Kunstliebhaberinnen als auch für Kunst-Neulinge funktioniert. So über Kunst zu schreiben, ist eine Kunst!Alena Schröder: „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“, dtv-Taschenbuch, 384 Seiten,
13 Euro.


Den Irrwitz der Welt auf den Punkt gebracht

André Patten

André Patten, Literaturveranstalter und Vorsitzender der Literaturszene Köln, mit seinem Buch für den Sommer

Andre Patten veranstaltet seit 2014 Literatur mit dem Verein „Land in Sicht“ und ist stellvertretender Vorsitzender der Literaturszene Köln.Morgen ersetzen sie uns, sagt Marta und meint die Künstliche Intelligenz, die bald die menschliche Arbeitskraft in der Content-Farm Smile Smile ablösen könnte, wo nonstop irrsinnige Inhalte für die sozialen Medien entstehen. Als ich vor Jahren als Texter arbeitete, wirkte der Gedanke, von Maschinen ersetzt zu werden, noch fern (sic!). Doch der Irrsinn aus sinnfreien Inhalten, Listen („Nummer 7 wird dich zum Weinen bringen!“) und Clickbait war schon damals Realität. Elias Hirschl bringt in seiner Roman-Satire „Content“ den Irrwitz dieser Welt auf grotesk-unterhaltsame Weise auf den Punkt – zwischen neoliberaler Verwertungsmanie, algorithmisierter Partnersuche und der Sucht nach Content. Ein großer Spaß, nicht nur für ehemalige Texter.

Elias Hirschl: „Content“, Paul Zsolnay Verlag, 224 Seiten, 23 Euro.


Die feministische Antwort auf den Zauberberg

Ulrike Anna Bleier für Fußballtipp

Schrifstllerin Ulrike Anna Bleier

Ulrike Anna Bleier ist Schriftstellerin und Leiterin der Kölner Kulturpaten.Wer dieses Buch liest, liest eigentlich zwei Bücher, denn Empusion von Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk ist die feministische Antwort auf den Zauberberg von Thomas Mann, dabei aber nur halb so voluminös. Es spielt ebenfalls im Sanatorium, aber nicht in Davos, sondern im schlesischen Görbersdorf. Man spricht über Weltpolitik und Wissenschaft, doch wer genau hinhört, hört vor allem die misogynen Untertöne in diesen von Männern geführten Gesprächen. Der Schneetraum von Hans Castorp wird bei Tokarczuk zum Horrortrip, denn ein unheimliches Wesen, das in den Wäldern wohnt, holt sich in einem schaurigen Ritual alljährlich einen Jüngling. Auch dieses Buch endet mit dem Ersten Weltkrieg – und mit dem Coming-out eines polnischen Ingenieuranwärters! Ich mochte den Witz, das Tempo, den raffinierten Plot und empfehle es als Reiseliteratur ebenso wie zur Rekonvalesenz von allen erdenklichen Krankheiten.Olga Tokarczuk: „Empusion“, Kampa Taschenbuch, 384 Seiten, 16 Euro.


Liebevolle Erzählung mit subtilem Witz

Anja Flicker, die neue Direktorin der Kölner Stadtbibliothek.

Anja Flicker, Direktorin der Kölner Stadtbibliothek.

Anja Flicker ist Direktorin der Stadtbibliothek Köln, begeisterte Leserin und war – bisher – kein Fan des Autors, dessen Buch sie empfiehlt.Aus „Gründen“ wird die 15-jährige Kim in den Sommerferien von Köln nach Duisburg-Ruhrort „abgeschoben“. Auf einen Gewerbehof zu ihrem leiblichen Vater. Niemals zuvor war die verwöhnte Kim an einem solchen Ort, der magisch wirkt, nutzlos scheint und zugleich voller Visionen steckt. Vom „Unscharfen“, wie sie ihren Erzeuger für sich nennt, hörte sie bisher nur nebulöse Andeutungen und so hat Kim eine Menge Fragen.

Beharrlich, mit viel Witz und Unterstützung der etwas schrägen Truppe vom Schrottplatz, lüftet sie peu à peu was ihre drei „Eltern“ bisher vor ihr geheim gehalten haben. In wunderbaren Details erzählt Jan Weiler, wie sich die beiden annähern, eine Beziehung aufbauen und gegenseitig ihre Leben verändern.

Der Roman macht Spaß und ist zugleich sentimental rundum ein echtes Lesevergnügen.Jan Weiler, „Der Markisenmann“, Heyne, 2022, 10,99 Euro.