Am Donnerstag der lit.Cologne liest Navid Kermani aus „Was jetzt möglich ist“. Es geht neben dem Iran um Afghanistan, den Westen und die Ukraine.
Navid Kermani auf der lit.CologneWas Afghanistan mit dem Ukraine-Krieg zu tun hat
Fragen sind wichtiger als Antworten. Das ist die Quintessenz des Donnerstagabends in den Balloni Hallen in Köln-Ehrenfeld. Sie würden – so wie Literatur – zwar zu keiner Lösung führen, dafür aber Gründe liefern, um nach Lösungen zu suchen. Und genau das bewirkt Navid Kermani, Schriftsteller, Publizist, habilitierter Orientalist und Public Intelectual – ein Begriff, den Moderatorin Sonia Mickich direkt zu Anfang infrage stellt. Die Veranstaltung der lit.Cologne wirft viele Fragen auf, die zum Teil unbeantwortet bleiben, aber in jedem Fall zum Nachdenken, Zweifeln und nachfolgenden Diskutieren anregen.
Navid Kermani liest auf der lit.Cologne aus „Was jetzt möglich ist“
Seiner Lesung aus „Was jetzt möglich ist“, die einem Gespräch zwischen Kermani und Mickich über seine Neugier und breite Themenspanne folgt, stellt er eine These voran, die direkt mehrere Fragen aufwirft, welche erst später beantwortet werden sollen. Kermani, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, liest aus seiner Meinungssammlung, seinem, wie er es nennt, Tagebuch, den 30. Text vor: „Afghanistan? Schon kein Thema mehr – Das deutsche Desinteresse an der Welt“, der im August 2021 in der „Zeit“ erschienen war.
Dass momentan und an diesem Abend viel über die Ukraine und den Iran – um den sich auch am Vortag der Eröffnungsabend der lit.Cologne drehte – gesprochen wird, sei gut und wichtig, sagt Kermani. Doch Afghanistan sei, so sein Gefühl, vollkommen vergessen gegangen. Dabei ist der Abzug des Westens erst gute eineinhalb Jahre her. Mit seiner These „Ohne das afghanische Desaster wäre es so nicht zum Ukraine-Krieg gekommen“ bringt Kermani das Publikum, das spätestens jetzt aufmerksam zu hört, zum Rätseln.
Doch davon lässt sich der Wahl-Kölner nicht beirren und liest ruhig seinen Text vor und setzt dann sein ernstes, aber lockeres und zwischenzeitig lustiges Gespräch mit Journalistin Sonia Mickich, die er sich als Moderatorin gewünscht hatte, fort. Als das letzte amerikanische Flugzeug den Flughafen Kabul verließ, habe es nicht nur eine Niederlage markiert, sondern auch die Hoffnung und den Glauben an den Westen genommen. „Punkt für Punkt zeigen die Geschehnisse auf, dass Realpolitik zu einem realpolitischen Desaster führt“, so Kermani.
Navid Kermani in Ehrenfeld: Fragen um der Fragen willen
Die Geschehnisse haben laut Kermani die Wahrnehmung von anderen Ländern verändert, Mickich nennt es eine geopolitische Verschiebung, und vermeintlich gezeigt, dass der Westen schwach ist. Diese Wahrnehmung habe es auch im Kreml gegeben, sagt Kermani. Deshalb habe Russland die Ukraine angegriffen, weil mit einer wirksamen Unterstützung des Westens nicht zu rechnen war. Eine Täuschung, „damit hat Putin nicht gerechnet.“ Ob Putin nicht trotzdem den Krieg begonnen hätte, bleibt offen.
Weitere Fragen müssten wir uns jetzt stellen. Wie wir den Krieg beenden können. Wie die Ukraine ihr Territorium behalten kann. Was Briefe aus China über die Position Russlands im Krieg aussagen und warum die Ukrainer die einzigen sind, die diese interessant finden. Wir müssten uns fragen, ob unser Friedensweg der einzige ist, der gegangen werden kann oder ob es auch andere gibt.
Auf einige dieser Fragen scheint Kermani Antworten zu haben, die er teilweise andeutet, andere wieder stellt er, einfach um sie zu stellen. Und passenderweise beendet auch Mickich, die während der eineinhalbstündigen Veranstaltung viel mehr Gesprächspartnerin als Moderatorin ist, den Abend mit einer letzten kurzen, an Kermanis „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ angelehnten Frage: „Sollten wir alle mehr Neil Young hören?“. „Ja“, gibt Kermani grinsend eine klare Antwort.