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LiteraturnobelpreisWarum László Krasznahorkai unter Kühen am glücklichsten ist

4 min
Dieses Foto wurde am 26. Juli 2021 aufgenommen und zeigt den ungarischen Schriftsteller Laszlo Krasznahorkai, der anlässlich der Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur 2021 in Salzburg für ein Foto posiert. Der ungarische Schriftsteller Laszlo Krasznahorkai, der am 9. Oktober 2025 den Nobelpreis für Literatur 2025 erhielt, wird als postmoderner „Meister der Apokalypse” bezeichnet.

Der ungarische Autor László Krasznahorkai posiert 2021 in Salzburg

Der Literaturnobelpreis geht 2025 an den ungarischen Autor László Krasznahorkai. Er galt schon lange als Anwärter auf die höchste literarische Auszeichnung.

In der ersten Szene von Béla Tarrs „Sátántangó“ von 1994 folgt die Kamera fast acht Minuten lang einer herrenlosen Kuhherde, die über ein verlassenes Gehöft streift, bis sie schließlich in der Ferne offener Felder verschwindet. Ein Sinnbild für eine Welt, deren Gott gestorben und deren utopische Projekte krachend gescheitert sind, der nur die Gleichgültigkeit, die Grausamkeit und deren Erdulden geblieben ist. Und als erste Zumutung an die Zuschauer des düsteren Sieben-Stunden-Films auch ziemlich lustig.

„Sátántangó“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Debütromans seines ungarischen Landsmanns László Krasznahorkai, erzählt die Geschichte einer auseinanderbrechenden Dorfgemeinschaft. Krasznahorkai hat auch das Drehbuch zum Film geschrieben, insgesamt fünfmal haben der grimmige Regisseur und der reiselustige Autor zusammengearbeitet.

Am Donnerstag hat die Schwedische Akademie in Stockholm Laszlo Krasznahorkai den Literatur-Nobelpreis zuerkannt. Der 71-Jährige werde „für sein überwältigendes und visionäres Werk geehrt, das inmitten eines apokalyptischen Terrors die Macht der Kunst bekräftigt“, erklärte die Jury, und betonte die „Leichtigkeit und eine große lyrische Schönheit“ in dessen Werk. Krasznahorkai sei „ein großer epischer Schriftsteller“ der in der mitteleuropäischen Tradition stehe, die sich von Franz Kafka bis Thomas Bernhard erstrecke „und durch das Absurde und groteske Übertreibungen gekennzeichnet ist“. Man könnte auch noch die großen Russen und Herman Melville hinzufügen, Autoren mit großem Atem.

Ich bin sehr glücklich, ich bin ruhig und gleichzeitig sehr aufgeregt. Es ist mein erster Tag als Nobelpreisträger.
László Krasznahorkai

Der frisch Ausgezeichnete weilt zurzeit in Frankfurt, gab von dort aus dem schwedischen Rundfunksender Sveriges Radio ein erstes Interview: „Ich bin sehr glücklich, ich bin ruhig und gleichzeitig sehr aufgeregt“, sagte er. „Es ist mein erster Tag als Nobelpreisträger.“

Den „Satanstango“, so der eingedeutschte Titel, hat Krasznahorkai noch als junger Mann verfasst, während er sich als Nachtwächter eines Milchviehbetriebs verdingte. „Das war der beste Job, den ich jemals hatte“, erinnert er sich in einem auf „Youtube“ zu findenden Video, „allein mit 300 Kühen. Nie wieder habe ich solchen Frieden empfunden, so eine übernatürliche, oder eben ganz natürliche Ruhe.“

TOPSHOT - Mats Malm, Permanent Secretary of the Swedish Academy, announces Hungary's Laszlo Krasznahorkai as the winner of the 2025 Nobel Prize in Literature at the Swedish Academy in Stockholm, Sweden, on October 9, 2025.

Mats Malm, Staatssekretär der Schwedischen Akademie, gibt am 9. Oktober 2025 in der Schwedischen Akademie in Stockholm, Schweden, bekannt, dass Laszlo Krasznahorkai aus Ungarn den Nobelpreis für Literatur 2025 erhält.

Mit 18 war der Sohn einer gutbürgerlichen jüdischen Familie aus dem elterlichen Haus und der südostungarischen Kleinstadt Gyula nahe der rumänischen Grenze geflohen, um auf Wanderschaft quer durch das kommunistische Ungarn zu gehen - auch um den Zugriff der Armee zu entgehen, die noch ein zweites Jahr Militärdienst von ihm verlangte, das Krasznahorkai laut eigener Aussage nicht überlebt hätte. So erlebte er als Bergarbeiter Solidarität unter Kumpels, brachte als blutjunger Direktor eines provinziellen Kulturhauses den Kindern der Roma das Lesen und die Liebe zu den Büchern bei und die ungarische Bevölkerung gegen sich auf – sie setzten das Kulturhaus in Brand und Krasznahorkai auf die Straße. Kein Wunder, dass er das Leben unter Kühen so erholsam fand.

Später, als etablierter Autor, setzte Krasznahorkai seine Wanderungen in großem Stil fort, lebte eine Zeit lang in der Mongolei, in China und Japan, auch in New York im Apartment des großen Beatpoeten Allen Ginsberg, der ihn förderte. Immer auch wieder in Deutschland, vor allem in Berlin, wo er lange Jahre seinen Zweitwohnsitz hatte. Seit 2017 besitzt Krasznahorkai sogar einen deutschen Pass.

Romane in Nachtzügen geschrieben

Als Reisender, ob in der eigenen Vorstellung oder in Nachtzügen, schreibt Krasznahorkai auch seine Bücher. Schon immer, sagt er, habe er sich große Textmengen über längere Zeiträume hinweg merken können. Die schreibt er erst nieder,   wenn er 15 bis 20 Seiten geistig abgespeichert hat. Wahrscheinlich ergeben sich aus diesen Gedankenketten die typischen Endlossätze Krasznahorkais. So besteht jedes der zwölf Kapitel des „Satanstango“ lediglich aus einem Satz. „Nur Gott darf Punkte machen“, soll sich der Autor einmal gerechtfertigt haben.

Lang hatte er gezögert, Schriftsteller, und damit Teil der Literaturgeschichte und auch der Gesellschaft, zu werden. Als Péter Esterházy den „Satanstango“ unbedingt veröffentlichen wollte, fragte Krasznahorkai ihn, ob man nicht seinen Namen weglassen könne. Allein die Unzufriedenheit mit dem Erstling habe ihn anschließend zum Weiterschreiben getrieben, wenigstens einen perfekten Satz möchte er schreiben. Auch der zweite Roman, „Melancholie des Widerstands“, gilt heute als moderner Klassiker.

Der Ungar fand schnell bekannte Fürsprecher, Susan Sontag nannte ihn den „zeitgenössischen ungarischen Meister der Apokalypse“, WG Sebald lobte die Universalität seines Blickes. Der lichtete sich in späteren Jahren, „Baron Wenckheims Rückkehr“ von 2016 etwa – in der eine Gyula ähnelnde ungarische Kleinstadt irrige Hoffnungen auf einen schwer fassbaren Adligen setzt – ist ein hochkomisches Meisterwerk, wenn auch nicht weniger apokalyptisch. Lange galt Krasznahorkai als Anwärter auf den mit einer Million Euro dotierten Nobelpreis, jetzt wird der „große Lichtausmacher“ (laut „SZ“) hoffentlich zum Allgemeingut.

Ginge es nur so leicht über die Lippen wie „kafkaesk“, man möchte unsere Welterfahrung glatt als „krasznahorkaiesk“ bezeichnen.