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Konzert auf den Poller WiesenEin Abgesang auf den freien Himmel

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William Tyler (l.) und Marisa Anderson auf den Poller Wiesen   

Köln – Hunde bellen, Gänse fliegen hoch. Eine Fledermaus durchmisst das Halbrund des Zeltpavillons. Dahinter fließt der Rhein. Und doch trügt das Idyll. Im Pavillon sitzen mit Marisa Anderson und William Tyler zwei der interessantesten Gitarristinnen, beziehungsweise Gitarristen der USA, eingeladen von der Kölner reiheM, unter freiem Himmel ihr erstes gemeinsames Album „Lost Futures“ zu präsentieren.

Dessen Titel geht auf ein Konzept des verstorbenen Kulturtheoretikers Mark Fisher zurück: All die Zukunftsversprechungen der Moderne, die niemals eingelöst wurden. Was von der Zukunft bleibt, ist die Angst vor ihr.

Anderson erzählt von wilden Pferden und drohenden Abgründen, vom roten Himmel über ihrer Heimatstadt Portland, während sie mit Tyler im Studio arbeitete: „Schau in den Himmel, dann weißt du, was als nächstes passiert!“ Oregons Wälder brannten, das Feuer hatte die Stadt von drei Seiten eingekesselt.

Waldbrände in Portland, Fluten in Tennessee

Als William Tyler anschließend in seinen Wohnort Nashville zurückkehrte, goss es dort aus Strömen und flutete die Keller. Dementsprechend heißt ein Titel, den Tyler (auf der akustischen Gitarre) und Anderson (auf der Telecaster) spielen, „Pray For Rain“, ein anderer „Haunted by Water“.

Ihre Instrumentalstücke scheinen die Landschaft zwischen diesen beiden Extremen heraufzubeschwören: Tafelberge, Canyons, die Prärie. Amerika als weitläufiges und egalitäres Paradies. Ein drittes Stück kombiniert eine Melodie von Stephen Foster, dem Vater so vieler amerikanischer Folksongs mit einer ähnlich folkloristischen aus Dvořáks Sinfonie „Aus der neuen Welt“. Anderson sinniert darüber, warum Dvořák als Klassiker verehrt wird, während Foster als Urheber eines scheinbar naturgegebenen Kanons fast vergessen ist. Der Punkt ist freilich, dass beide von einer Zukunft unter freiem Himmel erzählten, die man heute schweren Herzens verloren geben muss.

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Weshalb, so geschickt die beiden Virtuosen auch ihre Fingerfertigkeiten als natürlichen Lauf der Dinge ausgeben, stets ein dunkler Unterton die Melodien begleitet, oder, wie etwa in „Haunted By Water“, am Ende alleine übrig bleibt. Es sind eben keine Lob-, sondern Abgesänge auf die Schönheit der neuen und wohl auch der alten Welt. Dem Rhein fehlt Wasser, die Tiere sind unruhig.