„Matthäuspassion“ in KölnPeter Dijkstra drückte aufs Tempo, nicht alle kamen mit

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Peter Dijkstra steht mit offenem Hemdkragen vor einem Fenster.

Peter Dijkstra dirigierte Bachs „Matthäuspassion“ mit dem Gürzenich-Orchester in Köln.

Bachs Osterklassiker bestach in der Kölner Philharmonie mehr mit dramaturgischem Kalkül als mit seelischer Bewegung.

Restlos ausverkauft ist die Kölner Philharmonie bei klassischen Konzerten nur noch selten. Aber eine Matthäuspassion am Karfreitag, dazu noch mit städtischen und auswärtigen Kräften hochrangig besetzt, füllt das Haus nach wie vor bis auf den letzten Platz. Das hat nicht nur künstlerische Gründe: Es gibt wohl kaum ein Werk, in dem sich das klassische Musikpublikum auch als Wertegemeinschaft so vereint fühlt, wie in dieser doppelchörigen Monumentalkomposition, die (wahrscheinlich) am Karfreitag 1727 in der Leipziger Thomaskirche erstmals erklang.

Die vorösterliche Passionsaufführung als kulturelles Highlight des städtischen Lebens - das ist eine schöne Idee, deren Realisierung aber in künstlerischer Sicht schwierig geworden ist. Man kommt an den Einsichten der historischen Aufführungspraxis nicht mehr vorbei, kann sie aber oft nicht so widerspruchsfrei umsetzen wie die einschlägigen Ensembles der Szene. Das führt oft zu stilistischen Schieflagen, von denen auch die mit stehenden Ovationen begrüßte Aufführung des Gürzenich-Orchesters nicht verschont blieb.

Peter Dijkstra ist ein Dirigent der festen Hand und der klaren Entscheidungen

Der Dirigent Peter Dijkstra griff dabei (von den präzise einstudierten Knaben des Kölner Domchores abgesehen) nicht auf ein hiesiges Vokalensemble zurück, sondern auf den Chor des Bayerischen Rundfunks, dem er als langjähriger Chef vorsteht. Der Niederländer, zeitweise auch Professor an der Kölner Musikhochschule, ist ein Dirigent der festen Hand und der klaren Entscheidungen. Seine Gestik ist imperativ und bestimmend, selten gewährend - eine Haltung, von der die dramatischen und unmittelbar zupackenden Sätze des Werkes naturgemäß mehr profitierten als die tröstenden und reflexiven.

In den Turba-Chören kam das Eifern und Keifen der hasserfüllten Volksmenge eindrucksvoll über die Rampe; in den Chorälen überzeugte vor allem die sinnig gegliederte, über Zeilenenden souverän hinwegfließende Phrasierung. Dem Todesmoment ließ Dijkstra eine lange Pause folgen, bevor der Choral „Wenn ich einmal soll scheiden“ seine erschütternde Wirkung entfaltete - aber selbst an dieser zentralen Stelle empfand man eher das dramaturgische Kalkül als die seelische Bewegung.

Das Gürzenich-Orchester folgte dem Maestro nicht immer ohne Mühe

Der Chor ist mit Dijkstras ausgesprochen schnellen Tempi natürlich bestens vertraut; das Gürzenich-Orchester indes folgte dem Maestro nicht immer ohne Mühe - in der großen Choralbearbeitung „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ waren die Details der instrumentalen Figuration kaum noch zu erkennen.

Viel Freiheit zur Entfaltung blieb auch den Vokalsolisten nicht, die Peter Dijkstra immer wieder über die dringend benötigten Atemzäsuren hinwegtrieb. Am besten kam damit der kroatische Bassbariton Krešimir Stražanac zurecht, der in „Mache dich, mein Herze, rein“ trotz fröhlichen Eilschritts noch zu schwebend-poetischem Ausdruck fand. Der eher leichtstimmige Tenor Fabio Trümpy nahm sich in der „Geduld“-Arie so weit zurück, dass er streckenweise sogar hinter der schlanken Continuo-Gruppe verschwand.

Stark im Ausdruck und eigenwillig im Timbre sang die Sopranistin Jeanine De Bique; ihrer Alt-Kollegin Ulrike Malotta gelangen vor allem in den Arien des zweiten Teils ausgesprochen erfüllte und berührende Momente. Mit viel Ernst und Würde, aber oft unstet in Klang und Intonation formte der Bassist Thomas Stimmel die Christusworte.

Vom immer wieder hervortretenden Stressklima der Aufführung blieb einzig der großartige Evangelist Sebastian Kohlhepp völlig unberührt: Er sang mit hohem körperlichen Einsatz, füllte den Bibelbericht mit fesselnder Plastizität und gab dabei auch der Trauer und Empörung großen Raum.

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