Jazz als wahre VolksmusikMatthias Schriefl tritt mit Shreefpunk in Köln auf

Im Allgäu geboren, in Köln ausgebildet: Trompeter Matthias Schriefl
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- Dass Jazz in den Allgäuer Alpen erfunden wurde, ist ein Promotion-Gag von Matthias Schriefl.
- Der Trompeter ist dafür selbst in die Rolle des Yeti geschlüpft – es zeigt die unbekümmert-unberechenbare Haltung des Musikers.
- Mit seiner anarchischen, bunt-verrückten Klangwelt tritt er am Mittwochabend im Freideck der Kantine auf.
Vor sieben Jahren tauchte im Internet ein sensationelles Dokument auf. Das schwarz-weiß gefilmte Kleinod im Stil des deutschen Stummfilmexpressionismus belegte: Jazz wurde in den Allgäuer Bergen erfunden!
Staunend sah man, wie Musiker mit Alphorn, Flöten und Klarinette im tiefen Pulverschnee ein Volkslied anstimmen und aus dem Nebel ein Yeti auftaucht – ein wildes, bis auf einen knappen Lendenschurz nacktes Wesen mit Trompete, dessen Oberkörper in einem Sousafon steckt. Binnen Sekunden zerfleddert der Yeti mit Grooves und Blue Notes das brave Volkslied, wozu er grunzt: „That’s Jazz, Guys!“
Die stilechte Filmgaudi war natürlich nur ein Promotion-Gag von Matthias Schriefl, der dafür selbst in die Yeti-Rolle schlüpfte. Gleichwohl fängt der Clip perfekt die unbekümmert-unberechenbare Haltung des Trompeters, Multiinstrumentalisten und Bandleaders ein, der 1981 im Allgäu zur Welt kam.
Seine von folkloristischem Ballast befreiten Heimatklänge haben großen Anteil am Gesamtkunstwerk, doch bei Schriefl amagalmiert der Jazz nicht nur Folklore, sondern viele weitere Spielformen, was sich mal vertraut, mal herausfordernd fremd anhört, stets hintersinnig und ungestüm. Seine anarchische, bunt-verrückte Klangwelt ist quasi grenzenlos: Ob Berg-Klang, „Brazilian Motions“, Schlager oder Weihnachtslieder: Jazz ist für ihn Volksmusik, denn Volksmusik ist Jazz.
Ideenreichtum
Angesichts dieses Ideenreichtums bräuchte man nichts anderes mehr hören als Schriefl. Doch erst wer aufmerksam auch anderen Klängen und Rhythmen dieser Welt lauscht, wird genießen, auf was er sich bezieht und kreativ neu zusammensetzt. Maßgeblichen Anteil an dieser Musikschmiede hat seit 17 Jahren seine Working Band Shreefpunk, mit der er in wechselnden Konstellationen und mit variierten Konzepten die Ecken, Kanten und Möglichkeiten des Zusammenspiels auslotet. Die Formation tourte durch die ganze Welt, im Kern als Trio aus Trompete, Bass und Gitarre, das variabel erweitert wird. Inzwischen verzichtet Shreefpunk zumeist auf elektronische Verstärkung, dem Motto folgend, das einer großartigen CD ihren Titel gab: „Keine Angst vor Shreefpunk“.
Nun findet in der Kantine das erste Shreefpunk-Konzert in diesem Jahr statt, als „Shreefpunk plus Strings“. Das Sextett besteht aus Schriefl, Alex Eckert (Gitarre) und Alex Morsey (Bass, Tuba), hinzu kommen mit Claudia Schwab, Barbara Grahor und deeLinde drei Streicherinnen, die als eine Art Crossover der Formation Netnakisum aus der Steiermark musizierend, singend, jodelnd oder plaudernd für die Shreefpunk-Unberechenbarkeit stehen. Danach wird Schriefl erst einmal wieder Köln verlassen. Immer noch ist er eng verwachsen mit der Stadt, in der er an der Musikhochschule Trompete bei Andy Haderer studierte und die Reihe Jazz-O-Rama kuratiert. Jetzt aber will er die angestaute Spielfreude reisend ausleben: Mit seinem Weggefährten Johannes Bär wandert er durch ihre gemeinsame Heimat, an den Abenden musizierend.
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Seit Corona-Beginn lauscht Schriefl zudem den Kirchenglocken über Köln, tief berührt, „weil es so stark den spirituellen Zusammenhalt in der Gesellschaft charakterisiert“. Daraus entwickelt er das Projekt „Geläut“: „Jazz hat die Funktion der Befreiung. Inmitten von Machtmissbrauch, Grenzüberschreitungen und digitaler Gleichschaltung suche ich Antworten, die von Natürlichkeit, Können und Schönheit geprägt sind.“
Shreefpunk plus Strings, 15.7., 20 Uhr, im Freideck der Kantine, Neusser Landstraße 2.