Nächste Woche läuft „Mission Impossible: The Final Reckoning“ in den Kinos an und schließt die Filmreihe ab. Wir hätten da noch ein paar Fragen.
„Mission Impossible“Wer verbirgt sich hinter Tom Cruises Superagenten Ethan Hunt?

Tom Cruise in einer Szene aus „Mission Impossible: The Final Reckoning“
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Wer ist Ethan Hunt? Seit 34 Jahren spielt Tom Cruise den Agenten im Außendienst, am 21. Mai läuft der achte Film der „Mission Impossible“-Reihe in den deutschen Kinos an. „The Final Reckoning“ ist Hunts mutmaßlich letzter Einsatz, das merkt man allein schon daran, wie viel Zeit Regisseur und Drehbuchautor Christopher McQuarrie darauf verwendet, kurze Ausschnitte und neu belebte Figuren aus den vorangegangenen Filmen ins aktuelle Geschehen einzupflegen.
In den ersten 40 Minuten bringt das „The Final Reckoning“ beinahe ins Stolpern, bevor der Film dann gewaltig Fahrt aufnimmt. „Unsere Leben sind die Summe unserer Entscheidungen“, raunt es dazu immer wieder aus den Lautsprechern, elegant das Subjekt umgehend, dass doch hinter jeder Einzelnen dieser Entscheidungen stehen müsste.
Erst stolpert „The Final Reckoning“, dann nimmt der Film gewaltig Fahrt auf
Wer also ist Ethan Hunt? Ein Blick auf die Fernsehserie aus den 60er Jahren („Kobra, übernehmen Sie“), auf der seine Kinoabenteuer beruhen, hilft nicht weiter. Ein Ethan Hunt kommt hier nicht vor, obwohl andere Figuren der Serie durchaus im Rahmen der Filmreihe aufgegriffen werden, wenigstens ihren Namen nach. Im ersten „Mission Impossible“-Film aus dem Jahr 1996 lernen wir Ethan Hunt als den jungen Späher seines Teams kennen, die Führungsposition der IMF (Impossible Missions Force) fällt ihm erst zu, als sämtliche seiner Kolleginnen und Kollegen – so scheint es zumindest – im Laufe einer verunglückten Mission ermordet werden. Den Rest des Films muss sich der junge Draufgänger als Ermittler in eigener Sache betätigen, auf der Suche nach dem Verräter, der ihn in seine verzwickte Lage gebracht hat.
Brian De Palma, der Regisseur dieser Eröffnungsfolge, ist der Thriller-Spezialist des New Hollywood. Zum Freudianer Alfred Hitchcock verhält sich De Palma wie der Psychoanalytiker Jacques Lacan zu Sigmund Freud: Er nimmt seinen Meister wörtlicher als alle anderen Epigonen, verschachtelt aber dessen Grammatik des Unbewussten zu einem labyrinthischen Gefüge, aus dem es am Ende womöglich keinen Ausweg gibt. Im Lacan'schen Modell der Subjektbildung erkennt das Kind den Menschen, den es vor sich im Spiegel sieht, als Bild seiner Selbst – und entfremdet sich zugleich vom eigenen Ich. Jedes Subjekt ist das Produkt eines Missverständnisses, niemand ist mit sich selbst identisch. Schon gar nicht Tom Cruises Superagent in einer Serie, in der jedes Gesicht eine abziehbare Gummimaske sein kann.
Im zweiten Teil ist er prompt nicht wiederzuerkennen. Der Anfänger mit Vertrauensproblemen hat sich in der Version vom Hongkong-Actionspezialisten John Woo zum selbstbewussten Extremsportler gewandelt, der mit einer Hand an Steilklippen hängt – dies nur aus Freude an der Bewegung – und auf dem Motorrad den Gesetzen der Physik trotzt. Den dritten Teil, diesmal führt J.J. Abrams Regie, beginnt Hunt dagegen als glücklich verheirateter Jedermann im Vorruhestand. Es ist fast wie im Talking-Heads-Song „Once in a Lifetime“: „Du könntest dich in einem schönen Haus wiederfinden, mit einer schönen Ehefrau und vielleicht fragst du dich: Wie bin ich denn hierhin gekommen?“
Es macht auch keinen Sinn. Im Grunde begegnet der Zuschauer in den ersten drei Filmen drei nicht miteinander vereinbaren Charakteren, die zufällig alle Ethan Hunt heißen und von Tom Cruise gespielt werden. Einziger Garant seiner Identität ist Ving Rhames, der als IMF-Hacker Luther Stickell in jeder Folge der Reihe auftritt und jedweder Version von Ethan Hunt in bedingungsloser Treue ergeben ist.
Ethan Hunt ist ein Held wie aus Ayn Rands Roman „Atlas Shrugged“
Erst Brad Bird, der Regisseur des vierten „Mission Impossible“-Teils „Ghost Protocol“ hält eine Antwort auf die Frage, wer Ethan Hunt sei, parat: Er ist ein Held wie aus Ayn Rands libertärem Roman „Atlas Shrugged“ (auf Deutsch unter den Titeln „Atlas wirft die Welt ab“, „Wer ist John Galt?“, „Der Streik“ und „Der freie Mensch“ erschienen), ein radikaler Individualist, ohne den das Kollektiv zusammenbrechen würde. Oder schlicht ein Irrer.
Das Ergebnis ist dasselbe. In „Ghost Protocol“ geht jeder von Hunts elaborierten Plänen schief, am Ende steht die Impossible Missions Force dennoch siegreich da. Den Ausschlag gibt Hunts unbeugbarer Wille, das Unmögliche möglich zu machen. Er sei die lebende Verkörperung des Schicksals, behauptet Alec Baldwin als CIA-Direktor in „Rogue Nation“, dem fünften Film. Richtiger wäre es zu sagen, dass Hunt dem vorherbestimmten Lauf der Dinge immer wieder mit einem seiner berühmten Sprints davonrennt: Seine Pläne gehen auf, weil er bereit ist, sie im Sekundenbruchteil zu ändern.

Tom Cruise posiert auf der Londoner Premiere von „Mission Impossible: The Final Reckoning“
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Christopher McQuarrie hat seit „Rogue Nation“ jeden „Mission Impossible“-Teil inszeniert und mitverfasst, weil er die (Ayn-)Rand-Figur erfolgreich mit der Urverletzung der Figur aus dem ersten Film – er fühlt sich für den Verlust seines Teams verantwortlich – verknüpft hat: Ethan Hunt riskiert auf seinen Weltrettungsmissionen regelmäßig die ganze Welt, um ein einzelnes Teammitglied zu retten. Das ist nur scheinbar ein Paradox: Die Welt bedeutet nichts ohne die Menschen, die für dich die Welt bedeuten.
Und McQuarrie hat es verstanden, die Hunt-Methode auf das Filmemachen selbst anzuwenden. Die Hauptantriebskraft der Serie ist Tom Cruises Sehnsucht nach einem altmodischen Kino der Attraktionen, der 62-Jährige könnte problemlos in die Rolle eines allseits respektierten Charakterdarstellers hinein altern, aber er will dem Tod als Wiedergänger der Stummfilmstars Buster Keaton und Harold Lloyd trotzen: Seine Zeit kann nicht ablaufen, solange er über einem Abgrund am Uhrzeiger hängt, wie Lloyd in „Safety Last!“.
In „The Final Reckoning“ ticken gleich mehrere Bomben und Weltuntergangscountdowns, während Tom Cruise zwischen zwei Doppeldecker-Flugzeugen turnt, dass man seinen Augen kaum traut. Unter Zeitdruck und in schwindelnden Höhen lebt es sich intensiver. Für den Bruchteil einer Sekunde mag Ethan Hunt sogar mit seinem Spiegelbild verschmelzen – und wir Zuschauenden mit der Leinwand.