In der Kölner Philharmonie tat die Pianistin wenig, um dem Publikum den Zugang zum späten Schubert zu erleichtern.
Mitsuko Uchida spielt SchubertAn der Schwelle des Schweigens

Mitsuko Uchida
Copyright: Decca/Justin Pumfrey
Franz Schuberts letztes Klavierwerk ist zugleich sein modernstes. Die B-Dur-Sonate D 960 folgt zwar in ihren Umrissen noch der traditionellen Sonatenform, stellt ihre innere Mechanik aber radikal infrage. Wo sein großer Vorläufer Ludwig van Beethoven kontrastierende Themen setzt, die sich in zugespitzter Rhetorik aneinander reiben, entwirft Schubert schier endlose Melodielinien, die von aller Ereignishaftigkeit befreit scheinen. Man muss sich darauf einlassen, das eigene Zeitempfinden vollständig suspendieren - sonst droht qualvolle Langeweile.
Bei ihrem Klavierabend in der Kölner Philharmonie tat Mitsuko Uchida wenig, um dem Publikum den Zugang zum späten Schubert zu erleichtern. Die ohnehin geringe Bewegungsenergie des Kopfsatzes bremste sie durch ein ausgesprochen langsames Tempo noch weiter aus. Kaum hörbar erhob sich das weit gespannte Hauptthema über die sanft pochende Begleitfigur. Nach fernem Donnergrollen und einer extrem gedehnten Pause begann der mühsame Prozess ein zweites Mal. Jetzt erst entwickelte sich ein kontinuierlicher musikalischer Fluss - aber Mitsuko Uchida signalisierte, dass es weiterhin ein Äußerstes kostete, ihn nicht versiegen zu lassen.
Eine Musik des Rückzugs, vielleicht sogar der Verweigerung
Niemand wird bestreiten, dass dies eine Musik des Rückzugs, vielleicht sogar der Verweigerung ist. Und fraglos hat Schubert in keinem anderen Werk so exzessiv oft die Vorschrift „Pianissimo“ in den Notentext geschrieben. Aber passte das, was Mitsuko Uchida daraus machte, noch in den Rahmen einer öffentlichen Aufführung, war es nicht eher eine rein private Andachtsübung, die das Publikum allenfalls als stillen Teilhaber, aber kaum mehr als Adressaten akzeptierte?
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Im Saal hatte damit offenbar (fast) niemand Probleme, auch wenn sich Stil und Gangart in den folgenden Sätzen kaum änderten: Nach dieser beinahe 50 Minuten dauernden Schubert-Exegese an der Schwelle des Schweigens gab es einen derart frenetischen Beifall, dass es die scheue Künstlerin fast vom Podium zu fegen schien.
Mitsuko Uchida hatte diese ausgesprochen eigenwillige Interpretation im Laufe des Abends sinnig vorbereitet. Unmittelbar vorgeschaltet war eine fragile Miniatur aus György Kurtágs „Játékok“-Sammlung, die hochkonzentriert auf den Punkt bringt, was Schubert zu unendlichen Raum- und Zeitfluchten dehnt. Vor der Pause hatte die japanisch-britische Pianistin Schuberts Position zwischen Wiener Klassik und Wiener Moderne erhellt - anhand von Beethovens Sonate op. 90 und den drei Klavierstücken op. 11 von Arnold Schönberg.
Während unter Mitsuko Uchidas Händen die disparaten Elemente im e-Moll-Kopfsatz der Beethoven-Sonate nicht recht zueinander finden wollten, war der folgende E-Dur-Satz meisterhaft gespielt: ausgeglichenen, entspannt und durchlässig, dabei in Ton und Linie minutiös kontrolliert. Noch stärker wirkte die Darstellung der Schönberg-Stücke, die bei aller konstruktiven Dichte viel nachromantische Klangschönheit enthielten. Aber hier wie überall an diesem Abend war es eine Schönheit, die nicht frei Haus geliefert wurde, sondern nur zur Abholung bereitstand.