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„Monitor“-Chef Georg Restle„Es gibt keinen kritischen Journalismus ohne Haltung“

Lesezeit 8 Minuten
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„Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle

  • Georg Restle ist seit 2012 Leiter und Moderator des WDR-Politmagazins „Monitor“.
  • Im Interview spricht er darüber, wie er mit Morddrohungen umgeht, wieso für ihn Haltung zum Journalismus gehört und worauf er im Rentenalter zurückblicken möchte.

Herr Restle, Sie haben 2019 in einem Tagesthemen-Kommentar die AfD als parlamentarischen Arm rechtsextremer Bewegungen bezeichnet. Anschließend erreichten Sie zahlreiche Drohungen. Wie gehen Sie damit um? Wir sind als öffentlich-rechtlicher Rundfunk dazu verpflichtet, die Grundwerte unserer Verfassung zu verteidigen. Das ist ein aktiver Auftrag, den ich sehr ernst nehme. Wenn ich als Journalist zu dem Ergebnis komme, dass eine Partei Grundfreiheiten wie die Pressefreiheit, die Religionsfreiheit oder die Meinungsfreiheit extrem gefährdet, dann sage ich das in aller Deutlichkeit. Dafür gab es diese Kritik, dafür gab es diese Morddrohungen. Einige davon waren weniger ernst zu nehmen, andere schon - deshalb hat der WDR damals Strafanzeige erstattet. Gut angefühlt hat sich das natürlich nicht. Das fühlt sich auch heute noch nicht gut an. Ich werde ja nach wie vor bedroht, und das nicht nur in sozialen Netzwerken.

Wie haben Sie reagiert, als Sie das erste Mal solche expliziten Drohungen von Rechtsextremisten bekommen haben?

Als investigativer Journalist kriegt man schon häufiger wütende Mails, wird beschimpft und auch bedroht. Insofern war das für mich keine vollkommen neue Erfahrung. Aber diese Drohungen, die Sie ansprechen, waren ja ganz explizit und unmittelbar gegen meine Person gerichtet, sehr konkret und auch nach Auffassung der Sicherheitsbehörden ernst zu nehmen. Danach bin ich schon aufmerksamer gewesen. Wenn ich bei öffentlichen Veranstaltungen aufgetreten bin, habe ich zum Beispiel sehr genau geschaut, wer da im Publikum sitzt. Das habe ich vorher so nicht gemacht. Bei solchen Veranstaltungen gab es auch einen erhöhten Security-Aufwand. In meiner Arbeit beeindruckt mich das aber überhaupt nicht. Ich habe an keinem Punkt daran gezweifelt, dass beispielsweise der Kommentar oder unsere kritische Berichterstattung über die AfD und Rechtsextremismus richtig war. Da habe ich mir im Laufe meiner Karriere aber auch einen etwas härteren Panzer angezogen. Es gab auch Kolleginnen und Kollegen, die gesagt haben: Ich kann mir das nicht mehr antun. Das kann ich verstehen. Ich hoffe nur, dass die meisten den Kurs halten und sich nicht beeindrucken lassen.

Was würden Sie eigentlich heute tun, wenn Sie nicht Journalist geworden wären?

Vermutlich hätte mir eine Karriere als Jurist geblüht. Ich habe zwei juristische Studienabschlüsse – in Freiburg habe ich auf Staatsexamen Jura studiert und in London Völkerrecht. Dann war ich am Max-Planck-Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und habe dort angefangen, meine Doktorarbeit zu schreiben.

Medienschaffende stellen sich vor

Köln gehört zu den Medienstädten Deutschlands: WDR, RTL, Deutschlandfunk und weitere Medienhäuser produzieren ihre Sendungen und Inhalte aus der Domstadt heraus. Doch wer sind die Menschen, die für die Sender und Medienhäuser arbeiten? Wir stellen Moderatorinnen und Moderatoren vor und sprechen mit Medienschaffenden darüber, wie sie in ihren Beruf gekommen sind, wie sich die Medienbranche verändert hat und was die Herausforderungen der Zukunft sind.

Wieso sind Sie dann Journalist geworden?

Ach, das war so ein alter Jugendtraum von mir. Irgendwann erschien mir die Juristerei zu grau und ich wollte mehr Farbe in mein Leben bringen. Der Journalismus hat mich mehr gereizt, als in Instituten meine Doktorarbeit fertig zu machen oder Staatsanwalt oder Richter zu werden. Ich wusste, dass man in all diesen juristischen Berufen Gefahr läuft, nicht mehr in den Spiegel schauen zu können, weil man auch Entscheidungen rechtfertigen muss, hinter denen man selbst nicht unbedingt steht. Der Beruf des Journalisten hat mir die maximale Freiheit versprochen, das tun zu können, was ich für richtig und wichtig erachte. Also habe ich mich 1994 für ein Volontariat beim WDR beworben.

Wie ging es danach weiter für Sie?

Eigentlich hatte ich mir keine großen Chancen beim WDR ausgerechnet. Ich habe mich einfach beworben, weil ich mir dachte: Du willst dir nicht später vorwerfen lassen, dass du es nicht wenigstens versucht hättest. Doch ich habe es geschafft und habe das Volontariat beim WDR absolviert. Bei „Monitor“ habe ich dann mit Klaus Bednarz einen herausragenden Journalisten kennengelernt, der mich davon überzeugt hat, eine journalistische Laufbahn einzuschlagen. So bin ich dann beim WDR geblieben, habe am Anfang als freier Journalist Filme gemacht und für „Monitor“ wie auch für andere Sendungen gearbeitet. Irgendwann wurde ich dann Redakteur, anschließend als Auslandskorrespondent in Moskau und bin dann aus Moskau wieder in meine alte Heimatredaktion zurückgekehrt, dann als Redaktionsleiter. Das hier ist Journalismus pur, wie ich mir das immer erträumt hatte. Insofern bin ich sehr glücklich, da zu sein, wo ich jetzt gerade bin.

Wie lange waren Sie Korrespondent in Moskau?

Zwei Jahre. Eigentlich waren fünf Jahre geplant, aber als der Posten als Redaktionsleiter überraschend frei wurde, bin ich drei Jahre früher aus Moskau zurückgekehrt. Mit einem weinenden Auge auch, weil ich die Zeit in Moskau grandios fand. Ich hatte tolle Kolleginnen und Kollegen vor Ort und erlebte viele Abenteuer in den Weiten Sibiriens, dem Kaukasus, der Ukraine oder der Polarregion – viele Gegenden, in die man als Privatperson sonst nicht kommen würde.

Sie sind ja nicht nur Redaktionsleiter von „Monitor“, sondern auch Moderator. Wie war das für Sie, das erste Mal nicht hinter der Kamera, sondern davor zu stehen und eine Sendung zu moderieren?

Ich stand damals nicht das erste Mal vor der Kamera. Aber als Moderator von „Monitor“ trägt man das ganze Gewicht dieser Sendung auf seinen Schultern. Die Zuschauer haben eine Erwartungshaltung, sie schauen genau auf den Neuen, der das da moderiert. Insofern hatte ich bei der ersten Sendung ganz schön Lampenfieber.

Sie sagten gerade, dass Sie Ihren Vor-Vorgänger Klaus Bednarz für einen großartigen Journalisten halten. Haben oder hatten Sie Vorbilder?

„Vorbild“ ist immer so ein großes Wort. Ich hatte Kolleginnen und Kollegen, die mich geprägt haben, und da gehört Klaus Bednarz auf jeden Fall dazu. Von ihm habe ich jede Menge gelernt – zum Beispiel, dass man sich von Anfeindungen nicht so schnell beeindrucken lassen und standhalten sollte. Gerade in der heutigen Zeit denke ich oft daran, dass Klaus Bednarz gesagt hat: „Wenn man keine Feinde hat, dann hat man etwas falsch gemacht.“

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Wenn man eine regierungs- und gesellschaftskritische Berichterstattung verfolgt, macht man sich eben nicht nur Freunde. Auch von Ina Ruck, damals ARD-Studioleiterin in Moskau, habe ich viel gelernt. Sie hat mir gezeigt, mit wie viel Empathie man Korrespondentin in Moskau sein kann, auch wenn man die Politik von Herrn Putin nicht unbedingt teilt.

Gibt es vielleicht einen Beitrag, in den Sie involviert waren, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Die monatelange Recherche über den Brandanschlag auf ein Lübecker Flüchtlingsheim 1996 hat mich umgetrieben wie kaum eine andere. Damals kamen zehn Menschen ums Leben. Es war meine erste große Recherche für „Monitor“, doch sie ist mir nicht nur wegen des unfassbaren Leids der Betroffenen und Angehörigen in Erinnerung geblieben, sondern auch weil ich gelernt habe, mich in der Berichterstattung von einem gewissen Mainstream fernzuhalten. Es kam damals zu Vorverurteilungen, ein Heimbewohner wurde von der Staatsanwaltschaft verantwortlich gemacht.

Da sind viele Journalisten sehr unkritisch mit umgegangen. Wir standen damals sehr alleine mit unserer Kritik an den Ermittlungsbehörden, die unserer Meinung nach von Anfang an in die falsche Richtung ermittelten. Es gab klare Hinweise, dass Rechtsextremisten involviert waren in diesen Brandanschlag. Damals habe ich gelernt, es auszuhalten, wenn fast alle anderen Medien in eine ganz andere Richtung marschieren, und den eigenen Recherchen zu vertrauen. Auch wenn sich das oft sehr einsam anfühlt.

Es soll in diesem Gespräch auch um Haltung im Journalismus gehen. Wie finden Sie es, wenn man als Journalist Mitglied einer Partei ist?

Ich selber bin kein Mitglied einer Partei und finde es persönlich auch nicht gut. Wenn man aber Parteimitglied ist, sollte man transparent damit umgehen. Wenn beispielsweise ein Parteimitglied der CDU die Politik von Frau Merkel kommentiert, dann gehört es für mich dazu, dass das mit erwähnt wird.

Wie viel Haltung gehört in den Journalismus?

Ich glaube, der Begriff „Haltung“ wird oft missverstanden im Sinne einer konkreten politischen Einstellung. Darum geht es aber nicht. Wenn ich monatelang zu einem Thema recherchiere, entwickle ich automatisch eine Haltung dazu. Es gibt keinen investigativen, kritischen Journalismus ohne Haltung. Wir berichten über Dinge, weil wir es für wichtig halten, dass die Gesellschaft auf eine Fehlentwicklung aufmerksam wird, und dann sagen wir auch, dass wir es für eine Fehlentwicklung halten. Man sollte Haltung jedoch nicht wie eine Monstranz vor sich her tragen. Haltung darf auch niemals über Wahrhaftigkeit stehen. Nur auf Basis präzise recherchierter Fakten kann man sich Haltung überhaupt erlauben.

Sie kommentieren aktuelle Geschehnisse auch in den „Tagesthemen“. Wieso finden Sie Haltung in journalistischen Kommentaren wichtig?

Ich finde journalistische Kommentare sehr wichtig, weil sie Orientierung geben und wichtige gesellschaftliche Debatten anregen können. Diejenigen, die meinen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben Kommentare nichts verloren, täuschen sich gewaltig über dessen Aufgaben. Wir sind ja dafür da, gesellschaftliche Debatten abzubilden und auch voranzutreiben. Wie kann man das tun, ohne auch mal selbst Position zu ergreifen?

Es wäre ja auch fad und langweilig, wenn wir das nicht mehr tun würden. Journalisten und Journalistinnen tun es unterschwellig oft sowieso, wenn sie darüber entscheiden, ob ein Thema relevant ist oder nicht. Ein haltungsfreier Journalismus läuft außerdem Gefahr, sich zum verlängerten Arm von Kampagnen zu machen - von Politikern, die sagen: Das ist unsere Politik, bildet das bitte 1:1 ab. Damit werden wir am Ende zu Regierungssprechern, und das sind wir nicht.

Sie haben noch einige Jahre als Journalist vor sich. Worauf möchten Sie zurückblicken, wenn Sie irgendwann in Rente gehen?

Wenn ich zurückblicke, dann möchte ich sagen: Ich konnte immer in den Spiegel schauen. Ich will mir treu geblieben sein und das Gefühl haben, dass die Arbeit, die ich als Journalist gemacht habe, für die Gesellschaft in irgendeiner Weise nützlich war. Dass ich sie im Rahmen meiner Möglichkeiten ein winziges Stückchen gerechter, demokratischer und menschlicher gemacht habe.

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