Mythos NofreteteEine welthistorische Schönheit

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Die Büste der Königin Nofretete (um 1340 v.Chr) steht im Neuen Museum.

Die Büste der Königin Nofretete (um 1340 v.Chr) steht im Neuen Museum in Berlin.

Vor 100 Jahren wurde die Büste der Nofretete erstmals in Berlin ausgestellt. In einem Gastbeitrag beleuchtet der Kölner Historiker Jost Dülffer beleuchtet, warum sie bis heute fasziniert.

Genau 100 Jahre ist es her, dass die Büste der Nofretete zum ersten Mal in Berlin ausgestellt wurde. Wohl jeder kennt sie, überall ist sie abgebildet, fand unzählige materielle Nachbildungen, wird tausendfach als Stilmodell gebraucht – die Pop-Ikone Beyoncé ist nur eines der markantesten Beispiele der Gegenwart. Aber wer war sie eigentlich? Sie war im alten Ägypten, 14 Jahrhunderte vor unserer Zeit, Mitherrscherin von König Echnaton.

Ihr Fund war eine Sensation

Dieser wurde schon im 19. Jahrhundert bekannt als erster Vertreter einer monotheistischen Religion. Ägypten wurde in dieser Zeit imperial von den europäischen Mächten durchdrungen, so auch der entsprechende „ägyptische Antikendienst“. Finanziert vom deutschen Baumwollhändler und Mäzen James Simon wurde bei Grabungen in Amarna Ende 1912 unerwartet die Büste Nofretetes gefunden. Wegen ihrer historischen Herkunft wie auch ihrer außerordentlichen Schönheit stellte das eine Sensation ersten Ranges dar.

Im Zuge der damals üblichen Fundteilung – aber wohl auch unter ein wenig Täuschung – kam sie nach Berlin. Gleich 1913 wurden dort die Funde aus Amarna mit großer öffentlicher Anteilnahme ausgestellt, aber nicht Nofretete. Schwang hier schon ein wenig Skepsis über den Erwerb der Büste mit? Repliken kursierten jedenfalls bald massenweise. Es dauerte bis nach dem Ersten Weltkrieg, bis die Königin den Weg vom Schreibtisch James Simons in Berlin zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt im Ägyptischen Museum fand.

„Wie viele Fremde sind nicht nach Berlin gekommen, nur um die schöne Königin zu sehen! Man pilgerte zu ihr wie nach Paris zur Venus von Milo. Die Welt beneidet uns um diesen Kunstschatz“, hieß es in der Presse. Sie schien das zeitgenössische Ideal der modernen Frau zu verkörpern, diente somit auch als Symbol des Feminismus und wurde schnell Objekt von Marketing und Sexualität – nicht nur in Europa, sondern auch in den USA.

Wohin gehört Nofretete – wem „gehört“ sie?

Auch in der NS-Zeit diente sie weiter als Projektionsfläche, die Herrscher von Amarna seien„ ihrem Blutszusammenhang größtenteils indogermanisch gewesen“. Und auch anderswo in Europa wurde sie mit rassischen Begriffen gefeiert. Ihr wurde zugleich eine zeitlose Schönheit beigemessen, welche Nofretete vollends aus allen historischen Zusammenhängen heraus löste, sie ließ sich faschistisch und demokratisch deuten, ja sie fand Beachtung wie eine aktuelle Frau, genauer: als gegenwärtige weiße Frau und damit auch des antiken Ägyptens als „weiß“, wie Sebastian Conrad in seiner lesenswerten Neuerscheinung „Die Königin: Nofretetes globale Karriere“ darlegt.

Im Zweiten Weltkrieg ausgelagert, kam Nofretete auf verschlungenen Wegen 1956 wieder „in ihre Wahlheimat an der Spree“ zurück – so die Presse. Aber nun setzte die Auseinandersetzung erst recht ein und dauert bis in die Gegenwart: Wohin gehört Nofretete – wem „gehört“ sie? Bereits in den 1920er Jahren gab es ernst gemeinte fachliche wie politische Diskussionen, angesichts von Forderungen aus dem selbständig gewordenen Ägypten, die Büste an ihren angestammten Fundort zurückzugeben oder mit anderen Objekten zu tauschen. Es scheiterte jedoch am Aufschrei der Öffentlichkeit.

Das wiederholte sich seit den 1950er Jahren bis in die Gegenwart mit Forderungen der ägyptischen Antikenverwaltung. Sebastian Conrad, der Berliner Globalhistoriker, zeichnet diese Restitutionsdebatten bis in die Gegenwart differenziert und genau abwägend nach, ohne selbst Stellung zu beziehen. Jedenfalls kann für ihn die internationale Rechtsauffassung zur Zeit des Fundes nicht unbesehen heute noch Geltung haben. Dies ist das eine große Verdienst seiner Untersuchung.

Der Kulturkampf um die Büste hält bis heute an

Die andere und noch spannendere ist es, mit Nofretete die Indienstnahme der altägyptischen Kultur auch in anderen Weltgegenden nachzuverfolgen, die Königin aus ihrer europäisch konstruierten Tradition herauszulösen. Das ging bis ins 19. Jahrhundert zurück und erreichte nach dem Zweiten Weltkrieg etwa Indien, dann auch China und Brasilien: Man behauptete eine Verwandtschaft mit der Nilkultur, von ähnlichen Skulpturen angefangen bis hin zu Pyramiden.

Am stärksten war und ist die Wirkung Altägyptens aber in Afrika und seiner Diaspora, so auch in Nordamerika, vor allem in der Musik. Seit den 1930er Jahren erhielt Nofretete in der afroamerikanischen Deutung immer stärker eine „schwarze“ Identität zugesprochen– gezielt gegen eine europäische „weiße“ Aneignung. Und auch in Afrika selbst bildete sich ein „Afrozentrismus“, von Nelson Mandela ausgedrückt und entwickelt etwa durch den senegalesischen Historiker und Politiker Cheik Anta Diop. Afrika als Wiege der Menschheit wurde gerade durch die Einbeziehung Altägyptens zu einem zentralen Argument. „Blackwashing“ wie „Whitewashing“ bilden seither wechselseitige Vorwürfe der je behaupteten falschen Verwendung. Dieser Kulturkampf hält bis in die Gegenwart an.

„Nofretetes moderne Karriere wird also erst vor dem Hintergrund der sich verändernden Logik der Globalisierung ganz verständlich“, schreibt Conrad. Das mit klaren Worten zu entfalten, ist ein großes Verdienst des anschaulich geschriebenen, reich bebilderten und sehr lesenswerten Buches. Es geht gar nicht mehr um die historische Königin aus Amarna oder gar um ihre reale Hautfarbe, sondern um die heute diskutierten und zugesprochenen Eigenschaften, die viel über unsere eigene Welt aussagen. Ein schönes Buch – über eine welthistorische Schönheit.


Sebastian Conrad: „Die Königin. Nofretetes globale Karriere“, Propyläen Verlag, 384 Seiten, 29 Euro, E-Book: 26,99 Euro.

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