Am vergangenen Sonntag ist der Kölner Regisseur und Gründer des Filmclub 813 nach einem Straßenbahnunfall in der Südstadt gestorben.
Tod nach KVB-BahnunfallBernhard Marsch war die eigensinnige Seele des Kölner Kinos

Der Kölner Filmemacher Bernhard Marsch
Copyright: Filmclub 813
Eine Rolltreppe in Draufsicht, der Bus 136 nach Hohenlind, wehende Flaggen vorm Dom und der Verkehr, immer wieder der Verkehr, auf den Autobahnzubringern, auf der Inneren Kanalstraße, nachts vorbei am Uni-Center, es regnet, eine „Express“-Reklame dreht sich leuchtend am Hauptbahnhof und am Friesenplatz verwandelt „Er“ sich dank Neonlichtmagie und Reissdorf-Trunk immer wieder in „Sie“: „Kölner Bewegungen“ heißt der kurze 16-Millimeter-Film, den Bernhard Marsch im Sommer 1986 im Alleingang gedreht hat, die rastlose Westentaschen-Sinfonie einer Beinahe-Großstadt, dafür aber in Farbe und voller Liebe für sein Sujet.
Marsch war zwei Jahre zuvor aus Hennef nach Köln gezogen, eigentlich sollte er hier Volkswirtschaft studieren, aber es blieb, wie es auf seiner Homepage heißt, ein „akademisches Intermezzo“, denn sein eigentliches Interesse galt dem Film. Und nach dem ersten filmischen Alleingang fand der Enthusiast Gleichgesinnte in der bewegten Stadt, Filmvorführer, Kritiker, Regisseure und Kinogänger mit einer Vorliebe für Abseitiges, Marginalisiertes.
Bernhard Marsch gründete den Kölner Filmclub 813
Zusammen gründeten sie den Filmclub 813, letzteres die Lieblingszahl des französischen Nouvelle-Vague-Regisseurs François Truffaut. Der Filmclub existiert bis heute und zeigt sein Programm im ehemaligen British Council, noch immer bildet es ein leichtfüßiges Gegengewicht zum offiziellen Kanon und bis zuletzt blieb Marsch die querulante Seele des Vereins. Das Filmclub-Kino ist auch das einzige Kölner Lichtspielhaus, in dem Filme noch von 35-Millimeter-Rollen abgespult werden, der Projektor stammt aus dem Aki-Bahnhofskino in Frankfurt. Die schweren Filmrollen bewegte Bernhard Marsch mit seiner mannshohen Sackkarre per Bahn quer durch Deutschland, als unermüdlicher Arbeiter des Analog-Kinos, als Ein-Personen-Netzwerk für ein anderes, aufregenderes deutsches Kino.
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Bevor ihnen der eigene Saal an der Hahnenstraße zur Verfügung stand, luden Marsch und Konsorten zu sommerlichen Open-Air-Vorführungen auf dem Dach der VHS – unvergessen die Sportfilmreihe „Runter vom Mattenwagen, raus aus dem Geräteraum“ – oder in exotischere Gefilde: In der Orangerie zeigte man brasilianische Kannibalenfilme, im Ehrenfelder Neptunbad bei laufendem Badebetrieb Joe Dantes „Piranhas“.
Die Filmemacher unter den 813ern wurden – zumindest außerhalb der Stadt – als „Kölner Gruppe“ bekannt, Bernhard Marsch trug zu ihrem Œuvre kurze, pikareske Geschichten des Scheiterns bei: In „Halleluja“ (1995) schlägt er als verdächtig freundlicher Autostopp-Mitnehmer einem Bhagwan-Pärchen ein Bad im Baggersee vor, in „8 Essen III“ (1996) ist er einer der dauerredenden Dauerstudenten, die jenseits der Uni-Mensa noch nichts von der Welt oder auch nur der Stadt gesehen haben, wie in so vielen Filme der Kölner Gruppe verheddern und verwirren sich alle Bewegungsbemühungen bis zum Stillstand.
Sein eigenes Verzetteln dokumentierte Marsch in den Nuller Jahren im Kurzfilm „Wohnhaft“ (2004), einem Porträt seiner von Sammelwut zugestellten Wohnung. Weniger schmuddelig, sondern sagenhaft komisch ist „Liebe ist Geschmackssache“ von 1997, beworben als „erstes Porno-Musical der Welt“.
Als Charakterdarsteller kann man Marsch in einigen „Tatort“-Folgen bewundern, nur der Traum vom eigenen abendfüllenden Film wird unerreicht bleiben. Bernhard Marsch starb am frühen Abend des 15. Juni in der Kölner Südstadt an den Folgen eines Straßenbahnunfalls. Er wurde 63 Jahre alt.