NachrufWarum Jeff Beck allen anderen Gitarristen Lichtjahre voraus war

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FILE -  Guitarist Jeff Beck performs at the Louisiana Jazz and Heritage Festival in New Orleans on April 29, 2011. Beck, a guitar virtuoso who pushed the boundaries of blues, jazz and rock ‘n’ roll, influencing generations of shredders along the way and becoming known as the guitar player’s guitar player, died Tuesday, Jan. 10, 2023, after “suddenly contracting bacterial meningitis,” his representatives said in a statement released Wednesday. He was 78. (AP Photo/Gerald Herbert, File)

Jeff Beck in New Orleans im Jahr 2011

Der Rockgitarrist Jeff Beck ist im Alter von 78 Jahren überraschend gestorben. Wir erzählen, warum er von seinen Musikerkollegen so sehr verehrt wurde.

In einer berühmten Szene in Michelangelo Antonionis Swinging-London-Film „Blow up“ folgt David Hemmings Fotograf einer Frau in ein Clubkonzert der Yardbirds. Stocksteif verfolgt das Publikum die Gitarrenakrobatik von Jimmy Page und Jeff Beck. Bis letzterer in seinem Spiel von einem Rauschen im Verstärker gestört wird. Zunehmend verärgert schlägt Beck den Gitarrenhals gegen das defekte Gerät, schließlich schmettert er sein Instrument wütend zu Boden, zerlegt es in ihre Einzelteile und wirft den Hals ins Publikum. Das stürzt sich auf die Rock-Reliquie wie eine Vampirhorde auf ein Opfer. Hemmings bekommt das Stück zu fassen, drängt aus dem Club – und wirft es achtlos weg.

Der Verlauf der Szene ist Antonionis Kritik an einer Gesellschaft des Spektakels geschuldet (der Regisseur hatte ursprünglich The Who verpflichten wollen). Der wahre Jeff Beck, dürfen wir spekulieren, hätte sich wohl kaum an seiner E-Gitarre vergriffen. Sondern das Störgeräusch in sein Solo integriert, so wie er auch – und oft als Erster – Feedback, Verzerrer-Pedale oder Tremolohebel nie um des Effekts willen eingesetzt, sondern mithilfe dieser Effekte sein Instrument nur noch schöner und eindrücklicher zum Singen gebracht hatte.

Denn diesen Spagat beherrschte Beck perfekt: Wenn er mit einer seiner wechselnden Formationen auf der Bühne stand, hörte man ihm zu –doch um diese Aufmerksamkeit musste er nie betteln, Virtuosität als Selbstzweck war ihm fremd.

„Einer der wenigen Gitarristen, der mir im Konzert tatsächlich zuhörte, wenn ich sang, und darauf reagierte“, rief ihm jetzt Rod Stewart hinterher, von 1967 bis 1969 Sänger der Jeff Beck Group. Bereits am Dienstag ist Jeff Beck im Alter von 78 Jahren plötzlich an bakterieller Meningitis gestorben. Das teilte seine Familie am Mittwochabend mit.

Jeff Beck wurde 1944 als Geoffrey Beck im Südlondoner Stadtteil Wallington geboren. Seine Mutter zwang den Jungen, zwei Stunden am Tag Klavier zu üben, im Kirchenchor sang er zudem. Sein wichtigstes Training, erzählte Beck später dem „Guitar Player Magazine“, habe jedoch darin bestanden, Gummibänder über Tabakblechdosen zu ziehen und damit schreckliche Geräusche zu erzeugen. Als er „How High the Moon“ vom E-Gitarren-Pionier Les Paul im Radio hörte, wusste er, welches Instrument er spielen wollte, auch wenn es sein Budget überschritt und er sich seine ersten E-Gitarren selbst basteln oder mit ausbleibenden Ratenzahlungen im Geschäft ertricksen musste.

Was Eric Clapton zu poppig war

Sein großer Durchbruch kam, als Eric Clapton 1965 bei den Yardbirds ausstieg, weil ihm deren geplante Single „For Your Love“ viel zu poppig war. Clapton war die Hauptattraktion der Band gewesen, an deren Sänger Keith Relf sich kaum jemand erinnert. Wie sollte ein unbekannter 20-jähriger Schulabbrecher wie Beck – sein Freund Jimmy Page hatte ihn empfohlen – dem bald darauf zum Gott ausgerufenen Blues-Puristen nachfolgen?

Doch Jeff Becks nur 20 Monate umfassende Zeit bei den Yardbirds sicherte der Band ihren Nachruhm, eigentlich genügte schon sein kurzes, Feedback-getränktes Solo in „Shapes of Things“, das im Februar 1966 den Psychedelic-Boom auslöste: „Ein seltsamer Nebel, der aus dem Osten kommt“, nannte es Beck. Regeln, wie die des wahren Blues, waren ihm egal. Er suchte nach ungehörten Klängen. Später nannte er die 1960er ein frustrierendes Jahrzehnt, weil die Technik seinen Sound-Vorstellungen hinterherhinkte.

Für kurze Zeit schloss sich auch Page den Yardbirds an, doch die Band mit der besten Gitarrendoppelspitze aller Zeiten brach bald nach ihrem Auftritt im Antonioni-Film auseinander: Becks explosives Temperament und Relfs Alkoholismus waren schlicht nicht kompatibel. „Truth“, Becks Solodebüt aus dem Jahr 1968 mit Rod Stewart als Leadsänger, gilt manchen als eines der ersten Heavy-Metal-Alben, jedenfalls schlug es das Debüt von Jimmy Pages neuer Band Led Zeppelin um ein halbes Jahr.

Pink Floyd und die Rolling Stones wollten Jeff Beck rekrutieren

Keine Frage, dass Beck der große Stadion-Star der 1970er hätte werden können: Pink Floyd und die Rolling Stones wollten ihn rekrutieren, doch seine eigene, exzellente Backing-Band verließ ihn, es war wohl wieder eine Frage des Temperaments, und alle weiteren Pläne zerschlugen sich, nachdem sich Beck bei einem Autounfall einen Schädelbruch zugezogen hatte.

Die nächste Inkarnation der Jeff Beck Group entfernte sich vom massenkompatiblen Getöse und wandte sich dem Jazzrock zu, freilich in einer besonders seelenvollen Variante, jedes Technikgepränge ordnete sich hier tief empfundener Melodiösität unter.

Mitte der 70er, nachdem er John McLaughlins Mahavishnu Orchestra auf einer Tour begleitet hatte, wandte sich Beck sogar noch stärker der Jazzfusion zu, nachzuhören auf seinem von George Martin produziertem Album „Blow by Blow“: Es wurde sein kommerziell erfolgreichstes Album, aber Beck, der Erfolg nicht in Absatzzahlen maß, bereute später, es  überhaupt aufgenommen zu haben. Ausschließlich mit Top-Musikern zu spielen und mitzuhalten, sei auch nur eine andere Art von Gefängnis.

Die Jahrzehnte nach „Blow by Blow“ könnte man durchaus als den Versuch beschreiben, sich nur ja nie wieder erwischen zu lassen. „Flash“, 1985 von Nile Rodgers produziert, verknüpfte Popsongs mit Hardrock-Soli, „Who Else!“ (1999) irritierte (aber grandios!) mit technoiden Synthie-Flächen und Breakbeats. Jeff Beck konnte Tina Turner begleiten, Ozzy Osbourne, Stevie Wonder, Kate Bush oder zuletzt Johnny Depp. Er machte, kurz gesagt, was er wollte, klang niemals gleich – aber immer Lichtjahre voraus.

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