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Zum plötzlichen Tod von XatarEr war der Goldjunge des Gangsta-Rap

Lesezeit 4 Minuten
01.10.2022, Hamburg: Giwar Hajabi alias Xatar steht im Foyer eines Hotels. Hajabis Film «Rheingold» wurde im Rahmen des 30. Filmfests Hamburg im Cinemaxx vorgeführt.

Giwar Hajabi alias Xatar ist am Donnerstagabend in Köln tot aufgefunden worden.

Berüchtigt wurde er durch den Überfall auf einen Goldtransport, berühmt durch seine authentischen Rap-Zeilen. Xatar ist mit 43 Jahren in Köln gestorben.  

Nicht einen Tag gebe es, bekannte Xatar vor einem Jahr im Interview mit dieser Zeitung, an dem er es nicht bereue, das Klavierspielen aufgegeben zu haben. Eine offene Wunde sei das, ein richtiger Komplex, fügte er in ungewohnter Offenheit hinzu. Xatar ist kurdisch für Gefahr, bürgerlich heißt der Rapper Giwar Hajabi. Er wächst in einem musikalischen Haushalt auf, sein Vater ist Komponist, seine Mutter Musikerin.

Doch eine behütete Kindheit bleibt ihm verwehrt. Aus der iranischen Provinz Kurdistan flüchten seine Eltern mit ihm in den Irak. Aber auch Saddam Husseins verfolgt die kurdische Minderheit. Seine Eltern kommen in Haft, werden gefoltert, er wird mit ihnen eingesperrt. Die erste Knasterfahrung mit drei Jahren. Nach einer Zwischenstation in Paris landet die kleine Familie mithilfe des Deutschen Roten Kreuzes 1985 in Bonn, wohnt in einem Hochhaus am Stadtrand. Das Geld ist knapp. Die Mutter geht putzen, der Vater findet eine Anstellung als Dirigent und verlässt die Familie, Hajabi gibt das Klavierspiel auf und konzentriert sich auf Hip-Hop. Sein neues Vorbild ist der Westküsten-Produzent Dr. Dre.

Auf dem Gymnasium vertickt Xatar Drogen und Porno-Kassetten

Auf dem Gymnasium wird er ausgegrenzt, sucht nach Abkürzungen zu Geld und Ruhm, vertickt Drogen und raubkopierte VHS-Pornos an seine Mitschüler. „Asi“ hatten sie ihn geschimpft. „Ich wurde dann der Asi, den sie wollten“, so Xatar. Als die deutsche Polizei ihn wegen Verdachts auf Drogenhandel sucht, flieht er nach London, studiert an der Metropolitan University International Business und Music Business.

Zurück in Deutschland gründet er sein eigenes Plattenlabel, „Alles Oder Nix“ und betitelt so auch sein Debüt, auf dem er Geschichten aus dem Milieu erzählt, die er nicht erst erfinden muss. Der Ruhm kommt nicht schnell genug, um sein Label zu finanzieren, hat er sich bei Menschen verschuldet, deren Angebote man nicht ablehnen kann.

Das fehlende Geld besorgt er sich spektakulär, überfällt zusammen mit Komplizen als Polizisten und Steuerfahnder verkleidet auf der A81 bei Ludwigsburg einen Goldtransporter, von der Beute im Wert von 1,8 Millionen Euro fehlt bis heute jede Spur. Der Rapper flieht über Moskau in den Irak, wo er, nach eigenen Angaben, durch den kurdischen Geheimdienst festgenommen und auch gefoltert wird.

Nach der Haftentlassung kommt der Durchbruch

Nach Deutschland abgeschoben, legt er vor dem Landgericht Stuttgart ein umfassendes Geständnis ab und wandert für mehrere Jahre in die Justizvollzugsanstalt Rheinbach. Hinter Gittern setzt er mithilfe eines eingeschmuggelten Handys und eines Diktiergeräts seine Musikkarriere fort. Erfolgreich. Das zweite Album „Nr. 415“ steigt in die Charts ein. Er hat es nach der Türnummer seiner Zelle benannt. Das dritte, „Baba aller Babas“, bringt den Durchbruch. Der frisch Entlassene findet sich an der Spitze der Hitparade wieder, als Deutschlands authentischster Gangsta-Rapper.

Aber das ist nicht die ganze Geschichte: Als Rapper überzeugt er mit bedrohlichem Flow, als Beatbastler sogar noch mehr. Der Gangster ist musikalisch. Und auch geschäftlich umtriebig, diesmal zahlt er sogar Steuern, verdient im Schmuckgeschäft, mit Köfte-Grills und Shisha-Bars.

Der deutsche Starregisseur Fatih Akin verfilmt sein abenteuerliches Leben unter dem Titel „Rheingold“, das Biopic wird ein Kassenschlager, Xatar zur mythischen Figur.

Im vergangenen Jahr präsentierte er zusammen mit der fernsehbekannten Kölner Band Heavytones neu arrangierte Versionen seiner größten Hits und trat dabei nur in den besten Adressen auf, in der Kölner Philharmonie oder der Elbphilharmonie. Sein Vater, erzählte Xatar im Interview, habe in der Alten Oper in Frankfurt und der Bonner Beethovenhalle dirigiert. Jetzt kehre er zu seinen Ursprüngen zurück und wenn er probe, werde sein Kind in der Philharmonie herumlaufen, „so wie ich damals bei den Konzerten meines Vaters – das ist doch crazy!“

Xatar starb am Donnerstagabend in Köln im Alter von nur 43 Jahren. Als am Freitag die ersten Gerüchte über seinen Tod durch die sozialen Medien gingen, herrschte Trauer und Fassungslosigkeit. Hip-Hop-Journalist Rooz Lee fand die richtigen Worte: „Rest in Power, Bruder. Dein Leben war Alles oder Nichts“.