Netflix-Doku „Shiny Flakes“Der Drogenbaron im Kinderzimmer

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Maximilian Schmidt hinter Gittern. 

Köln – Die Kamera fokussiert den blonden Mann am anderen Tischende, 24 Jahre alt, während die Gitter, Wände und Türen der JVA Leipzig im Hintergrund verschwimmen. Aus dem Off spricht die Regisseurin Eva Müller. „Hattest du nie ein schlechtes Gewissen?“ „Inwiefern?“, fragt Maximilian Schmidt zurück. „Dass du Leute abhängig oder krank machst.“ „Für mich war die logische Argumentation: Wenn nicht von mir, dann von irgendwem anders.“

Im Februar 2015 stürmen Polizisten die Wohnung der Familie Schmidt in Leipzig. Sie werfen den damals 20-Jährigen Maximilian in seinem Kinderzimmer zu Boden, fesseln ihn und beschlagnahmen Drogen im Wert von mehreren Millionen Euro. Schmidt verschickte sie über den Onlineshop „Shiny Flakes“ tonnenweise, per Post, innerhalb von Deutschland und bis nach Kolumbien. Seine Familie bekam von all dem nichts mit.

Eva Müller begleitete Maximilian Schmidt mehrere Jahre

Es war dieser Kriminalfall, der die Macher der preisgekrönten Serie „How to Sell Drugs Online (fast)“ inspirierte. Die wahre Geschichte hinter der fiktiven Serie zeigt Netflix ab dem 3. August mit einer Dokumentation: „Shiny_Flakes: The Teenage Drug Lord“, produziert von der Kölner Bildundtonfabrik. Über mehrere Jahre begleitet Eva Müller Maximilian Schmidt, lässt ihn Szenen aus seiner Zeit als Drogenbaron nachspielen und führt lange Interviews: mit Schmidt, seinem Strafverteidiger, dem JVA-Leiter, dem Staatsanwalt, dem damaligen Präsidenten des LKA Sachsen und Schmidts psychologischem Gutachter. „Der Fall offenbart eine neue Form von Verbrechen und einen neuen Tätertyp, den man vorher so noch nicht gesehen hatte“, sagt Müller gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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Im Dezember 2013 eröffnete Maximilian Schmidt mit 18 Jahren „Shiny Flakes“: Eine Art Amazon für fast alle Drogen, sagt sein Strafverteidiger Stefan Costabel, inklusive Kundenbewertungen – der Unterschied ist nur, dass Schmidt auf seiner Webseite der einzige Anbieter ist. Der Teenager revolutioniert den Drogenmarkt der digitalen Unterwelt. „Effektiv waren die Postboten meine Kuriere“, sagt Schmidt in der JVA und grinst. Monatelang konnte die Polizei nur hilflos zugucken.

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„Ich glaube, es ist uns gut gelungen, ein kaum nachvollziehbares Verbrechen zu visualisieren“, resümiert Müller. Ihr Team baut in einer Leverkusener Lagerhalle Schmidts Kinderzimmer maßstabgetreu nach: Mithilfe von Fotos des Zimmers aus den Polizeiakten kaufen sie denselben Schreibtisch, denselben Fernseher, dieselbe Bettwäsche. Hier spielt Schmidt für die Kameras seinen Drogenhandel nach: Er ahmt die Chats mit seinem Lieferanten nach, er verschließt wieder pinke Pillen in Plastiktüten und zerstückelt mit Hammer und Meißel MDMA-Steine. „Das Marihuana ist in Wirklichkeit griechischer Bergtee, die Pillen sind aus Traubenzucker. Die Stempel, die für die Pillen damals benutzt wurden, hat Szenenbildner Johnny Hausmann aus China besorgt. Damit ließen wir die Pillen in einem Bonbon-Geschäft nachpressen“, sagt Müller. „Wir hatten einen riesigen Ehrgeiz, so originalgetreu wie möglich zu drehen.“

Müllers Liebe zum Detail, ihr Anspruch, „Shiny Flakes“ visuell ansprechend nachzuerzählen, zahlt sich aus. Die Zuschauer sind immer nah dran: Sie sehen die Pakete, Briefmarken, Waagen und kleine Plastiktüten auf dem Laufband zur Kasse fahren. Sie sehen, wie Schmidt durch seitenlange Excel-Tabellen und Bitcoin-Tabellen, die alle für den Film neu erstellt wurden, scrollt. Es ist eine Dokumentation, der man die jahrelange Arbeit, den Ehrgeiz, alles eins zu eins nachzustellen, in jeder Sequenz ansieht. Ein Erzähler ist dadurch gar nicht nötig.

„Ein Tätertyp wie Herr Schmidt ist mir bisher nicht begegnet“

Außergewöhnlich an diesem Film ist die Nähe der Zuschauer zum Täter: Maximilian Schmidt lacht viel zwischen den Interviews, lässt sich in der JVA und bei Freunden begleiten und macht den Eindruck eines jungen Menschen, der von einem großen Abenteuer erzählt. Für ihn, sagt er, war der Drogenhandel ein Spiel. Ein Spiel, in dem er gut war.

„Ein Tätertyp wie Herr Schmidt ist mir bisher nicht begegnet“, sagt Gutachter Hanns Christof Hieronymus in „The Teenage Drug Lord“. „Dass er noch immer auf das, was er geleistet hat, stolz ist – das halte ich für selbstverständlich.“ Jeder andere erfolgreiche Drogenhändler, sagt auch sein Strafverteidiger, schmeiße das Geld zum Fenster heraus, lebt völlig über seine Verhältnisse. „Max hat das überhaupt nicht getan“, sagt Costabel. „Das ganze Geld hat er gar nicht ausgegeben.“ Millionen von Euro, die Schmidt einnahm, sind bis heute verschwunden.

Wissen Eltern, was im Kinderzimmer vor sich geht?

Der Aufbau von „Shiny Flakes“, sagt Müller, sei ein Verbrechensfeld, das man zeigen müsse – alleine, um darüber aufzuklären. Gerade bei Eltern und Lehrern, die nicht wissen, was hinter der Kinderzimmertür vor sich geht. „Mir ist es wichtig, den Ausgleich zu haben“, sagt Müller. „Der Film muss spannend und unterhaltend sein und trotzdem ein relevantes Thema gründlich recherchiert beleuchten.“

Teenager, die Online mit Drogen handeln – diese Geschichte erzählte Netflix bereits mit der Serie „How to Sell Drugs Online (fast)“, deren dritte Staffel vergangene Woche online ging. Die Idee für die Serie bekamen die Macher beim Lesen eines Artikels zum Fall Shiny Flakes. Viel mehr Gemeinsamkeiten haben die beiden Geschichten jedoch nicht: In der Serie geht es um Freundschaft und Liebesbeziehungen, um brenzlige Situationen mit Dealern. Das alles, sagt Müller, spielte bei Maximilian Schmidt keine Rolle. „Ich glaube, es ist spannend für Kenner der Serie den Originalfall zu sehen“, sagt Müller. „Gäbe es die Serie nicht, hätten wir den Film aber trotzdem gemacht.“

„Shiny_Flakes: The Teenage Drug Lord“, Netflix, ab 3. August

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