Netflix-Serie „Freud“Zum Glück alles andere als ein braves Biopic

Lesezeit 4 Minuten
Der junge Freud (Robert Finster) kämpft um wissenschaftliche Anerkennung.

Der junge Freud (Robert Finster) kämpft um wissenschaftliche Anerkennung.

Führt man sich das Bild Sigmund Freuds vor Augen, so stellt man sich einen Herrn mit grauem Vollbart und Halbglatze vor, der eine Zigarre in der Hand hält und auf einem Schwarzweißfoto mit forschendem Blick in die Kamera schaut.

Mit dieser Ikonographie des alten, weisen Mannes räumt nun die deutsch-österreichische Netflix-Serie „Freud“ gründlich auf. Denn hier geht es um den jungen Freud (Robert Finster), der in den ersten Filmminuten die Taschenuhr vor dem Gesicht einer Frau hin- und herpendeln lässt. Die Patientin hat die Stimme verloren, nachdem ihre Tochter von einer Kutsche überfahren wurde und soll nun unter Hypnose geheilt werden. Sie durchlebt die Szene erneut, und als sich das Kind in der Erinnerung losreißt, entfährt ihr ein Schrei. „Ausgezeichnet“, sagt der Arzt, „das ist doch schon sehr glaubwürdig“. Die Dame ist seine Haushälterin, und Freud übt mit ihr eine fingierte Hypnosebehandlung, mit der er Chef und Kollegen in der Nervenheilanstalt von seiner „therapeutischen Revolution“ überzeugen will.

Horror- und Mysteryelemente

„Wollen Sie auch etwas Kokain?“ fragt er Leonore (Brigitte Kren), und schon bevor das Intro eingespielt wird, ist klar, dass Regisseur Marvin Kren mit seiner Serie kein braves Biopic über den Begründer der Psychoanalyse im Sinn hat. Kren hat mit der Serie „4 Blocks“, aber auch mit den filmischen Horrorgemälden „Rammbock“ (2010) und „Blutgletscher“ (2013) auf sich aufmerksam gemacht.

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Das könnte Sie auch interessieren:

In „Freud“ verbindet er die biografische Aura seiner Titelfigur mit Elementen aus dem Crime-, Mystery- und Horrorgenre. Das mag auf den ersten Blick obskur erscheinen, ergibt aber Sinn. Denn gerade diese Genres verdanken ihre größten Erfolge den Freud’schen Erkenntnissen über die Ängste, Traumata und das Unbewusste des Menschen. Die Filme von Alfred Hitchcock, David Lynch, Abel Ferrara oder David Cronenberg wären ohne die Psychoanalyse nicht denkbar.

Sich der Popikone Freud zu bemächtigen und diese in die Abgründe der menschlichen Seele zu entführen ist ein durchaus legitimes Unterfangen. Und wo lassen sich diese Abgründe besser ins Bild fassen als im Wien des Jahres 1886? Die österreichische Hauptstadt hat ihr morbides Image stets gut gepflegt, und Kren weiß die engen Gassen, dunklen Kanäle und den dekadenten Charme der untergehenden K.-u.-k.-Monarchie bestens für seine Zwecke zu nutzen. Als „Entdecker, Rebell und Außenseiter“ fühlt sich der junge Freud zu Höherem berufen und kämpft in der konservativen Neuropathologie um wissenschaftliche Anerkennung. „Ich bin ein Haus. In mir ist es dunkel. Mein Bewusstsein ist ein einsames Licht. Eine Kerze im Luftzug. Sie flackert. Einmal hierhin, einmal dorthin. Alles andere liegt im Schatten. Alles andere liegt im Unbewussten. Aber sie sind da die anderen Zimmer“ erklärt Freud den ignoranten Kollegen seine ersten seelenkundlichen Theorien.

Und damit begibt sich die Serie auf die Reise mit einer flackernden Erzählstrategie in die schrill möblierten Zimmer des Unbewussten. Hier ermorden Offiziere junge Dirnen mit dem Bajonett, kämpft der Inspektor Kiss (Georg Friedrich) nicht nur gegen das Verbrechen, sondern auch gegen eigene Kriegstraumata, lädt eine ungarische Gräfin (Anja Kling) die Wiener High Society zu spiritistischen Sitzungen ein und plant ein finsteres Komplott, mit dem der Untergang der Doppelmonarchie entschieden beschleunigt werden soll. Hierfür hält sie sich die schöne Fleur Salome (Ella Rumpf) als Medium, die nicht nur das wissenschaftliche Forschungsinteresse des jungen Sigmunds weckt.

Finstere Träume

Kren hat seine Erzählung als wilden, halluzinogenen Rausch aus finsteren Träumen, verdrängten Erinnerungen, perversen Verbrechen, verkoksten Fantasien, morbider Mystik und schwarzer Magie angelegt. Das entwickelt durchaus die gewünschte Sogwirkung des Serienformats und überzeugt durch seine kühne Verbindung von Vordergründigem und Tiefsinnigem.

Aber mit Episode 5 „Trieb“ gehen der Erzählung die Pferde durch. Da nehmen die dunklen Mächte reißerisch das Zepter in die Hand, fährt ein finsterer Geist in Körper und Seele neu rekrutierter Sektenmitglieder, werden animalische Sexszenen und Blutorgien demonstrativ von der Leine gelassen. Von dieser Überdosis Genre kann sich „Freud“ in der Zielgeraden nur noch unvollständig erholen – auch wenn die bizarre Kulmination der Ereignisse natürlich ins radikal-therapeutische Konzept der Serie passt, mit dem verdrängte Lust und Ängste aus den Hinterzimmern des Seelenhauses hervorgezerrt werden. Was würde der gute, alte Freud nur darüber denken? Wahrscheinlich würde er milde lächeln, leise den Kopf schütteln und vergnügt an seiner Zigarre ziehen.

Die acht Folgen „Freud“ sind von Montag, 23. März, an auf Netflix zu sehen.

KStA abonnieren