Neue AlbenWie uns Kylie und AC/DC gemeinsam durch den Lockdown helfen

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AC/DC-Gitarrist Angus Young

AC/DC-Gitarrist Angus Young

  • AC/DC und Kylie Minogue, die beiden beliebtesten australischen Acts, haben fast gleichzeitig neue Alben herausgebracht.
  • Die Musik könnte unterschiedlich nicht sein. Und doch erzählen „Power Up“ und „Disco“ die gleiche Geschichte.
  • Warum das so ist, erfahren sie in unserer Doppel-Kritik.

Köln – Am Anfang schuf Gott die Vergänglichkeit, und während E-Gitarren mit feierlichen Dur-Akkorden das neue Werk einläuten, überrascht Presswehen-Sänger Brian Johnson mit einer Epiphanie, wie man sie nicht zwingend auf einem AC/DC-Album erwartet hätte: „Der Augenblick, in dem dir klar wird“, stößt Johnson hervor, während Angus Youngs Gibson-Gitarre ins altvertraute Stakkato übergeht, „dass all diese Augenblicke, die nur an dir vorüberziehen, dich ins Paradies bringen werden.“

Für eine Band, die einst stolz verkündete, sich auf der Autobahn zur Hölle zu befinden, ist das bemerkenswert. Aber verständlich, bedenkt man, dass die Brüder Young, Malcolm und Angus, die Songs und Riffs des soeben erschienenen 17. AC/DC-Albums „Power Up“ bereits vor Jahren geschaffen hatten. Insbesondere für Malcolm, den Kapellmeister dieser Höllenglöckner, war dies ein Arbeiten gegen die Zeit, gegen seine schwindende Konzentration und das aussetzende Gedächtnis. Vor drei Jahren starb er an den Folgen seiner Demenz.

Seine Band hatte auch ohne ihn die Stadien dieser Welt mit Lärm und Kanonendonner gefüllt. Doch dann stieg Schlagzeuger Phil Rudd aus, der einzig gebürtige Australier in der erfolgreichsten Band Australiens. Zwangsweise, denn er stand wegen Drogenbesitzes und Androhung von Mord vor Gericht. Als Nächstes verabschiedete sich Brian Johnson, dessen Ärzte ihm völlige Gehörlosigkeit vorausgesagt hatten, sollte er weiter touren. Und endlich hatte auch Bassist Cliff Williams keine Lust mehr.

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Totgeglaubt

Womit die wenn nicht größte, so doch zumindest konsequenteste aller Rockbands wohl endgültig das Zeitliche gesegnet hatte. Dachte man. Dass sich AC/DC jetzt, am Ende eines Jahres, das sich aus lauter unbemerkt vorüberziehenden Augenblicken zusammenzusetzen scheint, in alter Besetzung von den Totgeglaubten zurückmeldet (für Malcom ist, wie schon vor sechs Jahren, sein Neffe Stevie Young eingesprungen), es grenzt an ein Wunder.

Das ist der Impfstoff, den wir jetzt brauchen. Zwar ist „Power Up“ kein Meisterwerk, aber doch viel besser, als man es sich erhoffen durfte. Es klingt eben exakt wie ein AC/DC-Album. Schon geil. Die Band ist und bleibt eine Naturgewalt: Man wirft ja auch Blitz und Donner nicht vor, sich nur zu wiederholen.

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So erzählt „Power Up“ vom Durchhaltevermögen der Menschen, von ihrer erstaunlichen Beharrlichkeit, wenn es darum geht, hirnlosen, ausschweifenden Spaß zu haben: „Electric Sparks, a shot in the dark, beats a walk in the park“, krakeelt Johnson. Irgendwann werden wir aufhören können, durch die immer gleichen Parks zu spazieren und wieder nachts Funken sprühen lassen.

Die Macht der Nacht und des Eskapismus beschwört auch die erfolgreichste weibliche Künstlerin des fünften Kontinents. Fast zeitgleich mit den Hardrockern aus Sydney hat auch die in Melbourne geborene Kylie Minogue ein Album veröffentlicht, das uns über den Winter unseres Missvergnügens hinweghelfen mag. Und auch „Disco“ wird als Comeback aus heiterem Himmel gefeiert, nachdem sich die Sängerin mit dem Country-Pop ihres 2018er-Albums „Golden“ eher keinen Gefallen getan hatte.

Kylie Minogue

Kylie Minogue

Ganz so überraschend ist der Move freilich nicht: Die triumphale Rückkehr auf die Tanzfläche nach kommerziellen oder privaten Rückschlägen ist Kylies Modus Operandi. „Oh, you get me through those Monday blues“, himmelt sie in „Monday Blues“ einen unbekannten Tanzpartner an, und man möchte das Kompliment sofort zurückgeben: In diesen Wochen voller Montage ist „Disco“ ein höchst willkommener Lichtblick, ja ein Akt des Widerstands. Die nahbarste aller Divas hat große Teile des Albums während des Lockdowns in ihrem Heimstudio aufgenommen, hat sich sogar beigebracht, ihre Gesangsparts mit Hilfe der Musik-Software Logic Pro selbst zu produzieren.

Kein Song auf „Disco“ reicht an ihre besten Club-Hits heran – statt des kühnen Minimalismus von „Slow“ (2003) schwelgt Kylie lieber nostalgisch in künstlichen Geigen und Gloria-Gaynor-Zitaten. Und die selbstvergessene Glückseligkeit von „Spinning Around“ aus dem Jahr 2000 ist 20 schlimme Jahre später leider schlicht unvorstellbar.

Zurück ins Paradies

Dafür besticht das Album durch seine Konsistenz: Eine Dreiviertelstunde lang transportiert Kylie Minogue ihre Hörer ohne Um- oder Abwege ins Paradies und hinterlässt in ihnen, wenn die Musik schließlich doch verklingt, die gleiche Gewissheit, die AC/DC mit ihrer wundersamen Wiederauferstehung ihrem Publikum schenken: We will survive.

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