Neues Nick-Cave-AlbumDie Tränen fließen schon nach dem ersten Song

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Nick Cave auf der Bühne

Nick Cave auf der Bühne

London – „Ghosteen“, das 17. Studioalbum des australischen Sängers Nick Cave, beginnt wie so ein Nick-Cave-Album eben beginnt, mit ein paar Zeilen über Elvis. Es war einmal ein Song, singt Nick Cave, ein Song über den King of Rock ’n’ Roll, über den König, der erst ein junger Prinz war, mit pechschwarzem Haar, und dann starb. Vor 35 Jahren hat Cave in „Tupelo“ über Elvis’ Geburt während eines heftigen Sturmes gesungen, und das Album, auf dem dieses Lied zu finden ist, hatte er „The Firstborn is Dead“ genannt, in Anspielung auf Elvis Aaron Presleys’ Zwillingsbruder Jesse, der 35 Minuten vor ihm tot geboren wurde. 

Aber „Ghosteen“ ist zugleich ganz anders als alle anderen Alben von Nick Cave. Es enthält nur noch Spurenelemente von Rock ’n’ Roll, stattdessen säuselt hier ein einsames Keyboard wie der Geist eines Alleinunterhalters, und Caves sonore Stimme steigt höher und höher, während er von der Frau des Königs erzählt, die einen Garten bestellte, in dem ein Baum wuchs, auf dessen höchsten Zweig ein Nest war, in dem ein Vogel lag, von dessen Flügel eine Feder sich in den Himmel erhob, während der König starb und das Herz seiner Frau brach und Garten, Baum, Nest und Vogel wieder zur Erde zurückkehrten, aus der sie geschaffen waren. Die Feder aber fliegt höher und höher, und Nick Caves Stimme ist schließlich nur noch ein Säuseln, sie klingt so brüchig wie nie zuvor. „Und ich liebe dich“, wiederholt sie mantraartig immer wieder, und dass mit der Zeit endlich auch der Friede, und eine Zeit für uns kommen würde und natürlich ist dieser „Spinning Song“ kein Lied über Elvis, sondern über Arthur, den Erstgeborenen von Nick Caves Zwillingssöhnen, der im Alter von 15 Jahren von einer Klippe in der Nähe des englischen Seebades Brighton zu Tode stürzte: „The Firstborn is Dead“. „Ghosteen“ ist also weniger ein Album als eine Geisterbeschwörung und schon dieses erste Stück kann man unmöglich zu Ende hören, ohne die Tränen zurückhalten zu müssen.

Weitermachen statt alleine trauern

Zur Zeit des tragischen Unfalls, im Juli des Jahres 2015, befand sich Cave mitten in der Produktion von Album Nummer 16, „Skeleton Tree“, und eines Films, der seinen kreativen Prozess im Bewegtbild bannen sollte. Statt sich in seiner Trauer zurückzuziehen, vielleicht für immer, entschloss sich der Sänger schließlich dazu, weiterzumachen, das Album fertigzustellen, den Film auch diese schlimmste Zeit seines Lebens dokumentieren zu lassen, ja sogar auf Tour zu gehen, auf Tuchfühlung mit seinen Fans. Ein kathartisches Erlebnis für beide Seiten und eine völlig neue Art der Verbindung zwischen Star und Publikum. Im Netz antwortete Cave in den „Red Hand Files“ auf wirklich jede Frage, lud auch live zu völlig ungeschützten, ja waghalsigen „Conversations with Nick Cave“.

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„Ghosteen“ ist nun aber gerade kein vertontes Townhall-Meeting und auch nicht einfach das Tagebuch eines Trauerprozesses, sondern das Ergebnis eines neuen Freiheitsgrades in Caves Kunst. Die wühlte einst vorzugsweise im Dreck und spuckte dabei Alttestamentarisches aus, nun aber scheint sie schwermütig zu schweben wie ein Mark-Rothko-Gemälde.

Lernen von Buddha

Die zweite Platte des Doppelalbums enthält zwei lange Meditationen (unterbrochen von einer kurzen Sprechpassage), und schließt mit der Parabel von der Frau, deren einziges Kind im Sterben lag und welcher der Buddha versprach, dass sie ihr Kind retten könne, wenn sie ihm ein Senfkorn aus einem Haus brächte, in dem niemand gestorben war. Die Mutter klopfte an jede Tür, aber in jedem Haus hatte der Tod schon einmal Einzug gehalten.

„Jeder verliert jemanden“, singt Cave. Der Tod verbindet uns alle. Jetzt, schließt der Sänger sein profundestes Werk, warte er noch darauf, dass der Frieden auch zu ihm komme.

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