Online-PremiereEin Liebesroman voller Drogen, Morde und Missbrauchsopfer

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Lola Klamroth 

Köln – Ein Liebesroman, beharrt die mexikanische Autorin Fernanda Melchor, sei „Saison der Wirbelstürme“. Allerdings geht es in ihrem vielfach ausgezeichneten (auch für Angelica Ammars Übersetzung) Buch um die Abwesenheit von Liebe. Um die Kaltherzigkeit als Symptom und Folge der Ausbeutung.

La Bruja, die Hexe, erzählen sich die Bewohner einer verarmten mexikanischen Gegend in der Nähe von Veracruz, könne Liebestränke brauen und Krankheiten heilen. Aber auch tödliche Flüche ausstoßen.

Eines Tages wird die Hexe, die eigentlich ein transsexueller Mann ist, tot im Zuckerrohrdickicht gefunden. Melchors Roman erzählt die Geschichte  dieses Mordes in atemlosen, nur wenig vertrauenswürdigen Monologen – es könnten auch Protokolle von Verhören sein – ihrer Feinde, Schutzbefohlenen und Liebhaber. Womit Melchor ziemlich direkt an den Südstaaten-Chronisten William Faulkner anknüpft. Nur, dass sich die Autorin zu Faulkner verhält, wie Quentin Tarantino zu Howard Hawks.

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Giftiges Hexengebräu

„Saison der Wirbelstürme“ ist ein giftiges Hexengebräu aus Femiziden, Drogenkriminalität, Prostitution, Inzest, Transphobie und allgemeiner Verwahrlosung. Jeder ist ein Junkie oder ein Trickster und Liebe nur eine Tauschware wie jede andere. Man wähnt sich im finstersten Mittelalter, doch Melchors Roman beruht auf wahren Begebenheiten, die nur wenige Jahre zurückliegen.

Dass die Regisseurin Mina Salehpour entschieden hat, ihre ursprünglich für die Bühne geplante Inszenierung des Stoffes in digitaler Form als sechsteilige Serie mit Episoden zwischen 15 und 22 Minuten Länge aufzuteilen, kann man gut  verstehen:  In ihrer Intensität drohen diese Monologe das Streaming-Format zu sprengen.

Vom Sand verschluckt

Salehpour beschränkt sich inszenatorisch auf wenige Motive: Auf den anthrazitgrauen Sand, in dem sich die Protagonisten winden und der sie zu verschlucken droht; auf Horrormomente, zuckende Figuren im Schwarzlicht, oder vor gleißenden Scheinwerferbatterien. Oder gefangen in einem gelb-rot ausgeleuchteten Plastikdarm unter unbarmherzig pochenden Industrial-Klängen.

In der Hauptsache aber setzt sie auf die schonungslose Bildkraft von Melchors Sprache und auf das fiebrige Rechtfertigungsdrängen, welches hier jede Schauspielerin und jeder Schauspieler auf je besondere Weise zu erzeugen vermag: Nicola Gründel, Stefko Hanushevsky, Lola Klamroth, Seán McDonagh und Bruno Cathomas als enigmatischer Erzähler. 

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Sie alle pressen sich uns förmlich aus der Flachheit des Bildschirms entgegen. Die Nahaufnahme hat der Film dem Theater voraus, und „Saison der Wirbelstürme“ wirkt wie ein Close-up auf all die Dinge, die man lange verdrängt hatte – und die einen nun umso unwiderstehlicher in ihren Bann ziehen.

„Saison der Wirbelstürme“ ist am Dienstag, 22. Juni, ab 18 Uhr  für acht Stunden abrufbar unter www.schauspiel.koeln

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