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Oper Bonn„Li-Tai-Pe“ bietet triviale Exotik zu brillanter Musik

Lesezeit 4 Minuten
Li-Tai-Pe

Szene aus Li-Tai-Pe

Bonn – Kennen Sie Franckenstein? Nein, nicht nicht Mary Shelleys monstererschaffenden Nerd (der sich ja auch nur mit „k“ schreibt), sondern den deutschen Komponisten Clemens von Franckenstein (1875-1942)? Wenn nicht, dann ist das kein Grund, in Sack und Asche zu gehen, denn ihn haben heutzutage nicht einmal Musikexperten auf dem Schirm. Das ist merkwürdig genug, denn zumal mit seiner Oper „Li-Tai-Pe“ – 1920 in Hamburg uraufgeführt, also im selben Jahr wie Korngolds „Tote Stadt“, Schrekers „Schatzgräber“ und Braunfels’ „Vögel“ – erzielte der gebürtige Franke und spätere Intendant der bayerischen Staatstheater einen Scoop mit einem fetten „Erfolgsschwanz“ bis in die 40er Jahre hinein.

Franckensteins Oper ist einer Wiederentdeckung des Projekts Focus '33

Im Rahmen ihres Forschungsprojektes „Fokus ’33“ – es widmet sich einst vielgespielten Werken, die nach 1933 und 1945 anhaltend aus den Spielplänen verschwanden, und fahndet nach den Gründen dafür – hat die Bonner Oper jetzt „Li-Tai-Pe“ in seiner ansprechenden Produktion auf die Bühne gebracht. Und weil man über gut zwei Stunden gerne zuschaut und zuhört, stellt sich die Frage, warum dieses Werk nicht überlebt hat, besonders dringlich. Und damit naheliegend die nach der Legitimität von Kanonbildung überhaupt. Eine Oper wie Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“ – die vorherige Bonner Premiere – macht ihr Verschwinden im Orkus aus sich selbst heraus plausibel, „Li-Tai-Pe“ tut dies auf beunruhigende Weise nicht.

Wer nach besagten Gründen forscht, mag vielleicht auf das auf Anhieb leichte Gewicht des Sujets stoßen. Der Handlungsort China in Rudolph Lothars lapidar-schlüssig durchexerziertem Drei-Akte-Libretto hat hier nicht so viel zu sagen, es handelt sich um einen wohlfeilen Exotismus. Genauer: Es geht nicht um China, sondern allenfalls um eine europäische Imago von China. Ein versoffen-genialer Volksdichter – Li-Tai-Pe – überzeugt den Kaiser mit seinem Auftrags-Werbungsgedicht für dessen prospektive Gattin und zieht sich darob den Hass zweier Hofschranzen zu. Die sind mit ihren eigenen poetischen Ergüssen gescheitert und wollen Li-Tai-Pe mit einer Intrige zu Fall bringen. Die freilich scheitert an dem Mädchen, das ihn bislang unerwidert liebt, den Betrunkenen schon einmal aus der Gosse rettete und ihm jetzt, als Page verkleidet, zum Schutzengel wird. Am Ende steht ein Happy End mit kaiserlicher und „dichterischer“ Doppelhochzeit.

Alkoholgegner dürfte die Handlung wohl irritieren

Ja, das ist eine nette, harmlose, wenngleich Alkohologegner mutmaßlich irritierende Legende, die allerdings zentrale Motive der deutschen Operngeschichte – von den „Meistersingern“ bis zum „Rosenkavalier“ – aufgreift und mit dem komplexen Verhältnis von Kunst und Macht auch einen gar nicht so harmlosen Subtext hat. Zugleich ist der Dichter, der auf Belohnung verzichtet und statt dessen mit Wein, Weib und Gesang in Ruhe gelassen werden will – ein später Nachfahr des Sängers in Goethes gleichnamiger Ballade. Er steht für die Autonomie des Ästhetischen.

Regisseurin Adriana Altaras hütet sich trotzdem wohlweislich, aus diesem Plot allzu viel herauskitzeln zu wollen. Immerhin ist gerade der Herrschaftsaspekt durch die durchgehaltene Zwei-Ebenen-Struktur im von Akt zu Akt wechselnden Bühnenbild (Christoph Schubiger) schlagend genug ins Bild gesetzt. Hier die U-Bahn -Station gegen die Oberwelt im modernen Hochhäuser-China, dort die machtimprägnierte Treppenanlage im alten Reich der Mitte, dann wieder der Blick in die Große Halle des Volkes mit Hammer und Sichel – das alles spricht für sich. Ob Kaiser oder Mao Tsetung, ob das China der Garküchen oder des Uniformenprotzes – es kann und darf letztlich einerlei bleiben. Die Chinoiserien der Inszenierung, etwa die zur Erheiterung des Publikums beflissen einher trippelnden Mandarine – sie geraten zum ironischen Zitat.

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Und die Musik? Die ist bemerkenswert „gut“, um es platt zu sagen. Jedenfalls kann sie im Verein der genannten Renner des Jahres 1920 prima mithalten. Sicher mutet sie für diese Zeit vergleichsweise retrospektiv an: Das ist im Prinzip süffigste deutsche Spätromantik, in der sich Wagnersche Leitmotivtechnik und der Deklamationsstil der „Ring“-Tetralogie mit Strauss’scher Orchesterfarbe, Harmonik und „Nervenkontrapunktik“ kreuzen. Und es gibt Anklänge an Debussys Impressionismus. Aber Franckenstein aktiviert dieses Vokabular für eine szenisch schlüssige, von großem Atem getragene Musiksprache mit zwingend angelegten Steigerungen. Hermes Helfricht am Pult bringt das alles mit dem Beethoven Orchester kongenial herüber.

Direkt zu Herzen in ihrem schieren Übermaß an suggestivem und tatsächlich an Walther von Stolzings Preislied erinnernden Wohllaut gehen schließlich Li-Tai-Pes gedichtete Liebeserklärungen. Ist das „traditionell“? Vielleicht, aber warum, bitte schön, hat dann Korngold überlebt, Franckenstein aber nicht?Die vom Premierenpublikum einhellig beklatschte Produktion erfreut auch durch die Sängerleistungen, wobei das insgesamt hohe Niveau Unterschiede nicht ausschließt. Nicht ganz überzeugend der Tenor Mirko Roschkowski in der Titelpartie mit teils raumlos-klangstumpfen Höhen. Großartig hingegen Anna Princeva als Yang-Gui-Fe mit schwellend-raumfüllendem Sopran, eine bestrickende Verkörperung des erotischen Begehrens. Tadellos in Artikulation, Tongebung und Bühnenpräsenz auch Joachim Goltz als Kaiser, Giorgos Kanaris als Akademie-Direktor sowie Tobias Schabel und Johannes Mertes als Hofintriganten. Macht- und prachtvoll agiert nicht zuletzt der Chor, der freilich auch oft genug bequem herumstehen darf – da gefriert die Szene dann immer wieder zum Tableau.

Weitere Aufführungen: 4., 11., 19., 24. Juni