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Opernpremiere in DüsseldorfWarum „Der Kaiser von Atlantis“ so aktuell ist

Lesezeit 4 Minuten

Emmett O’Hanlon (links) als Kaiser Overall mitsamt demütigem Gefolge

  1. Während draußen Corona-Leugner die Deutschlandhymne grölen, wird in der Düsseldorfer Oper Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“ aufgeführt.
  2. Im KZ Theresienstadt entstanden, taugt das Werk wie von selbst zur Warnung vor rechten Diktaturen.
  3. Ein beklemmender Abend mit glänzenden Sängern, fand unser Musikkritiker.

Köln – Zweimal Deutschlandlied; einmal draußen, einmal drinnen: Vor der Düsseldorfer Rheinoper wurde es am Nachmittag von Teilnehmern einer gegen die Corona-Maßnahmen gerichteten Demonstration gegrölt, im Haus selbst ließ es am Abend die Klarinette in einer verzerrten Moll-Version in Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“ ertönen. Da soll noch mal einer sagen, Oper sei nicht aktuell. Der Musikbetrieb scheint derzeit die Aktualität gerade dieses Werks – es entstand 1943/44 im KZ Theresienstadt, wohin Ullmann und sein Librettist Peter Kien deportiert worden waren, bevor sie im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet wurden – zu empfinden, denn in den vergangenen Jahren war „Der Kaiser von Atlantis“ bereits in Köln (in der Außenspielstätte am Offenbachplatz) und in Bonn zu sehen.

Politisch vertrackt

Als Warnung vor dem erstarkenden rechtsextremen Rand taugt Ullmanns Kurzoper schon dank ihres Entstehungskontextes. Indes ist die Frage, inwieweit sich dieser dem Werk selbst eingeschrieben hat, vertrackt; sieht man genauer hin, verschwimmt vieles in mehrdeutiger Unbestimmtheit. Sicher lässt sich der Kaiser-Diktator Overall, zu dessen erstem Erscheinen die Hymne erklingt, als Hitler-Figur deuten. Wofür aber „steht“ der allegorische Tod, der angesichts des vom Kaiser befohlenen Krieges „aller gegen alle“ viel zu tun haben müsste, diese „Arbeit“ aber gerade verweigert und so das ganze System in eine Existenzkrise stürzt? Mag „Der Kaiser von Atlantis“ den Vorbildern des Brechtschen Parabeltheaters folgen, so fragt es sich doch: eine Parabel worauf?

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Wer hier mit Hakenkreuzen und SS-Uniformen arbeiten wollte, tappte in eine Falle falsch-abgeschmackter Konkretisierung. Regie, die etwas auf sich hält, gerät da heute nicht mehr oder nur noch selten hinein. Auch Ilaria Lanzino, deren Neuinszenierung für Duisburg geplant war, deren Premiere aber corona-bedingt nach Düsseldorf und vom Frühjahr auf den Herbst verschoben werden musste, vermeidet diesen Fehler. Anspielungen auf den Faschismus kommen allenfalls rudimentär vor: die Uniformen des Soldaten und des Mädchens sind Weltkrieg II-Stil, und die per Video eingespielten Reden des Kaisers mögen gestisch an Mussolini erinnern.

Weg in die Abstraktion

Ansonsten aber tritt Lanzino energisch den Weg in die Abstraktion an: Ein spinnennetzartiges Geflecht aus Seilen beherrscht die Bühne (Emine Güner), in das die Figuren eingespannt sind. Der Kaiser in der Mitte – er zieht die diktatorischen Fäden, ist aber auch selbst Gefangener. Im Gang der Handlung löst sich dieses Geflecht indes nach und nach auf, bis im letzten Bild erlösende Schwärze herrscht. Es ist die Schwärze des Todes, der wieder seine Arbeit aufnehmen kann. Offen lässt die Regie, ob das tatsächlich Befreiung oder nur deren ironische Parodie ist.

Was die Personenführung, die Lichtregie und den szenischen Mikroorganismus anbelangt, so tut Lanzino viel Gutes – wobei man freilich nicht weiß, ob die Beziehungslosigkeit der Figuren Konzept ist oder sich dem corona-induzierten Abstandsgebot auf der Bühne verdankt. Mit dieser Frage wird sich in unseren Tagen noch so manche Opernkritik herumzuschlagen haben. Bemerklich ist allemal die Tendenz zu einer zwanghaft symmetrischen Konfiguration, die sich indes wie das Spinnennetz im Gang des Abends auflöst.

Nicht alles wird unmittelbar verständlich – warum zum Beispiel gemahnt die Trommel des Trommlers ausgerechnet an einen Babybauch? Abstraktheit schließt die Gefahr von Unverbindlichkeit ein – und das verhindert auch alle sorgfältige Durcharbeitung im Detail nicht.

Glänzende Sänger und Sängerinnen

Wenn der Abend trotzdem eindringlich und intensiv wird, so liegt das nicht zuletzt an den überzeugenden Darstellern und an den von Axel Kober überdurchschnittlich inspiriert angeleiteten Düsseldorfer Symphonikern.

Gesungen wird durchweg auf hohem Niveau – volumenstark, präsent, flexibel, rollenadäquat und, wenn es gefordert ist, auch schlicht und einfach „schön“ – wie im Duett des Liebespaares. Es fällt schwer, Abstufungen vorzunehmen, weshalb die Sänger hier summarisch gelobt seien: Emmett O’Hanlon als Kaiser, Thorsten Grümbel als Lautsprecher, Luke Stoker als Tod, David Fischer als Harlekin, Sergej Khomov als Soldat, Anke Krabbe als Mädchen und Kimberley Boettger-Soller als Trommler.

Von seiner besten Seite zeigt sich das kammermusikalisch besetzte Orchester, das die stilistische Diversität der Partitur zwischen Reihenkomposition, Shimmy und Luther-Choral genauso exzellent zur Geltung bringt wie die betörende instrumentale Glut des Werkes. Die Klangwelt des „Wozzeck“ lebt hier genauso fort wie das zutiefst romantische Erbe der Zweiten Wiener Schule.

Weitere Aufführungen: 27. September, 3., 8., 10., 16. Oktober