Oskar Roehler im Interview„Es gab keine politische Korrektheit“

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Oskar Roehler 2015

  • Oskar Roehler wurde 1959 in Starnberg geboren. Er ist der Sohn der Schriftstellerin Gisela Elsner und des Schriftstellers Klaus Roehler; mit den Eltern und seiner Kindheit hat er sich auch in Filmen wie „Die Unberührbare“ auseinandergesetzt.
  • Roehler erhielt mehrfach Einladungen in den Wettbewerb der Berlinale, etwa mit „Jud Süß“; 2018 verfilmte er den Roman „HERRliche Zeiten“ von Thor Kunkel, der Wahlkampagnen für die AfD entwarf..
  • Sein Fassbinder-Film „Enfant Terrible“ läuft aktuell im Kino. Unter anderem über sein Werk spricht er im Interview.

Herr Roehler, Fassbinder war einer jener Regisseure, die während der Dreharbeiten ausrasten und Schauspieler tyrannisieren. Heutzutage mehren sich Stimmen, dass – künstlerische Genialität hin oder her –  ein solcher Umgang nicht mehr gut ankommt. Das betraf im vergangenen Jahr zum Beispiel den Dirigenten Daniel Barenboim. … bei wem kommt das nicht gut an?

Nun zunächst mal in der Presse, aber auch in der Allgemeinheit.

Eine Allgemeinheit gab es damals nicht.

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Aber würden Sie denn annehmen, dass das Kinopublikum Rainer Werner Fassbinder – so wie Sie ihn in Ihrem Film als einen echten Kotzbrocken zeigen – nicht abstoßend findet?

Ich sehe das anders: Fassbinder hat die Leute gefüttert. So wie du deine Katze oder deinen Hund fütterst.

Einige Leute aus seinem engsten Umfeld, vor allem auch seine Liebhaber, haben sich immerhin das Leben genommen, weil Fassbinder sie so schroff behandelte oder links liegen ließ.

Naja, wir können froh sein, dass er nicht Politiker geworden ist. Ich finde, dass ein Künstler kein guter Mensch sein muss. Also die, die versuchen, als Gutmenschen dazustehen, sind ja viel perfider als Fassbinder. Er hat immer wenigstens noch die direkte Auseinandersetzung gesucht. Er war halt ein begnadeter Künstler. Und die Leute haben sich um ihn geschart wie die Motten um das Licht. Und wenn sie verbrennen, dafür kann er nicht.

Nach dem heutigen Verständnis der Linken wäre Fassbinder politisch nicht korrekt. Einen seiner Liebhaber nennt er  in Ihrem Film „Neger“.

Damals gab es keine politische Korrektheit. Klar, ich kann jeden verstehen, der in seinem Leben über Jahrhunderte benachteiligt wurde und der ständig nur mit Ungerechtigkeit zu tun hatte, ich bin der Letzte, der kein Verständnis für „Black Lives Matter“ aufbringt. Aber ich glaube, dass man als Künstler zum Selbstschutz einen Trotz dagegen aufbauen muss, man kann das ja nicht alles berücksichtigen.

Man hat eine eigene Stimme und muss versuchen, seine Weltsicht zu verkaufen. Das hat aber nichts mit Rechts oder Links zu tun. Man kann nur die eigene Stimme entdecken, wenn man sich davon frei macht. Vielleicht ist es ja viel wichtiger, die Welt neu zu ordnen und gerechter zu machen. Das hat allerdings mit dem Kunstbegriff, den ich kenne, nichts zu tun. Mein Kunstbegriff ist nicht ideologisch, auch nicht politisch.

Die politische Korrektheit bestimmt in großem Maße das deutsche Kino und die deutsche Filmförderung, weshalb auch ganz selten nur noch wirklich gute Filmkunst hervorgebracht wird. Sie stellen sich mutig dagegen. Aber wie bewahren Sie sich Ihre Unabhängigkeit in dieser Situation?

Ich habe kürzlich ein Buch geschrieben. „Der Mangel“.  Ich beschäftige mich darin stark mit der Kindheit. Weil du als Kind die Welt mit ganz großen Augen betrachtest. Da bist du ein Schauender, einer, der alles in sich aufnimmt und nicht bewertet. Ich hatte keine Lust mehr, ständig bewertet zu werden oder zu bewerten. Das war für mich ein Befreiungsschlag. Ich habe mich da richtig rein geflüchtet, weil ich diese Kakophonie von Stimmen nicht mehr ertragen kann, die auf mich eindringt von allen Seiten.

Vor wenigen Jahren ging eine sehr anspruchsvolle Retrospektive mit Filmen des deutschen Kinos aus der Adenauer-Zeit durch Europa, die sensationelle Kunst jenseits der Heimatfilme und Schnulzen zum Vorschein brachte, solche Filme wie „Schwarzer Kies“ oder „Die Rote“ von Helmut Käutner oder „Kirmes“ von Wolfgang Staudte, die nach sich zogen, die abschätzige Haltung gegenüber diesem Kino zu revidieren, das  Leute wie Fassbinder für tot erklärten. Hat man vielleicht sogar Fassbinder überschätzt?

Nein, auf keinen Fall. Ich stelle ihn weit über Käutner und Staudte, weil die in einer konventionellen Erzählweise komplett gefangen waren. Fassbinder war viel lebendiger, der war viel dichter an der Zeit. Seine Geschichten waren viel virulenter. Das habe ich ja damals gemerkt, als ich im Kino war, als ich jung war. Mich hat der ganze Quatsch überhaupt nicht interessiert.

Was hat Sie interessiert und an Fassbinder und seinem filmischen Werk gefesselt?

Du konntest Fassbinders Denken beobachten, du konntest den lebendigen Prozess studieren, mit dem er sich der gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst wurde, so wie immer wieder auch die formalen Mittel, mit denen er das fassen wollte. Er hat so viele unterschiedliche Filme gemacht, fantastische schwarze Komödien, die fast niemand gesehen hat, die in meinen Film eingeflossen sind, fantastische essayistische Filme, wo er selber über die Gesellschaft referiert  auf Spaziergängen mit Hanna Schygulla, während das Filmgeschehen irgendwo stattfindet.

Die Filme kommen manchmal dilettantisch rüber, aber sie haben immer so einen  Kern von Bewusstwerdung.  Oder dieser fantastische Beitrag in „Deutschland im Herbst“ – das soll ihm mal jemand nachmachen. Das ist outstanding. Auch „Veronika Voss“ und „Querelle“ sind outstanding. Er hat den Leuten die Avantgarde und die Schwulenszene gezeigt, das hat auch noch keiner gemacht. Das sind viel größere soziokulturelle Reflexionen, als sie all die anderen Filmemacher vollbracht haben. Die sind dagegen bieder.

„Enfant Terrible“ ist also offenbar eine Hommage. Es gibt auch Szenen, in denen man Fassbinder bei Dreharbeiten zu Filmen wie „Katzelmacher“, „Angst essen Seele auf“,  „Deutschland im Herbst“, „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ oder „Querelle“ sieht.  Wie entstand das Drehbuch? Gab es Treffen mit noch lebenden Fassbinder-Schauspielern? Zum Beispiel mit Hanna Schygulla, die Sie gerade erwähnten?

Hanna Schygulla ist für mich eine völlige Randfigur. Ausgerechnet in den Filmen, die mich nicht interessiert haben, hat sie die Hauptrolle gespielt.

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Reden wir aber doch noch mal über Ihre filmische Umsetzung. Es gibt Kollegen von Ihnen, denen Authentizität sehr wichtig ist, weshalb Sie sich mit Zeitzeugen treffen und diese oftmals sogar auch in Ihre Filme einbinden wie zum Beispiel Heinrich Breloer…

Es gibt immer eine unschuldige Phase, in der sich Kunstwerke entwickeln. In dieser Phase stoße ich auf Leute, die irrsinnig Interessantes über ein Thema zu sagen haben. In meinem Fall waren das Fassbinder-Schauspieler, mit denen ich im Lauf meiner Karriere drehen durfte. Volker Spengler, Udo Kier und Margit Carstensen. Und das war ganz selbstlos, da hat man ganz viel geredet. Und da gab es ganz freundschaftliche Nächte. Das bewegte sich auf einer ganz anderen Ebene als bei Breloer. So was, was Breloer gemacht hat, kommt immer dann zuwege, wenn der Redakteur vom Fernsehen sagt, treffe Dich doch mal mit dem oder der. Das ist völlig unfruchtbar. Das habe ich nie gemacht, oder ich habe es versucht und bemerkt, dass es langweilig ist, mit Hanna Schygulla zu reden oder mit Harry Beer.

Es ist langweilig, wenn du dazu gezwungen wirst und merkst, die Leute können und wollen dir gar nichts erzählen. Ich bin ja auch kein Journalist. Bei mir geschah das im Vorfeld. Ich habe sieben Tage mit Udo Kier im Wohnwagen gesessen, da hat er mir seine Anekdoten erzählt. Mit Volker Spengler habe ich ganze Nächte zugebracht, der konnte nicht mehr aufhören zu erzählen. Da habe ich von den ganzen Liebesgeschichten um Armin Meier erfahren, die sind per Zufall zu mir gekommen. Wenn mein Auftrag gewesen wäre, mal alle nach Fassbinder zu befragen, hätte ich nie einen Film über ihn gemacht.

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