Die Welt verändert sich rapidePhilosophen erklären, wie man dennoch gut lebt

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Die Zukunft sieht finster aus. Aber warum eigentlich? Gibt es nicht etwas, das uns Zuversicht geben sollte?

  • Die großen Krisen unserer Zeit sind auch ein durchgängiges Thema der diesjährigen, zum siebten Mal ausgerichteten Phil.Cologne.
  • Die Menschen spüren, dass etwas, ein bedeutender Zeitabschnitt, zu Ende geht. Nicht anders war es kurz vor dem „Ausbruch“ der Französischen Revolution.
  • Der in Karlsruhe lehrende Philosoph Michael Schefczyk glaubt, dass die Stoiker ein Wissen besaßen, das uns heute noch in unserem Leben helfen kann.

Köln – Alles ist in Unordnung geraten. Die Welt, in der wir leben, hat die alten Zeiten hinter sich gelassen. Gewissheiten von früher taugen plötzlich nicht mehr. Wir leben in einer Zeit des Epochenbruchs, heißt es, in der alles als fest Geglaubte sich nunmehr verflüssigt habe, so wie der Fluss, von dem Heraklit sagte, dass man nie zweimal in den selben steigen könne.

Die großen Krisen unserer Zeit sind auch ein durchgängiges Thema der diesjährigen, zum siebten Mal ausgerichteten Phil.Cologne. Der Aufstieg der Populisten, die Gefährdung der Demokratien weltweit, zunehmende Verletzungen von Menschenrechten – die Zukunft sieht finster aus. Aber warum eigentlich? Gibt es nicht etwas, das uns Zuversicht geben sollte?

Eine Umwertung aller Werte

Sind uns tatsächlich alle Utopien als Lehren von besseren Orten als dem der Gegenwart, abhanden gekommen? Robert Habeck und Harald Welzer diskutieren zur Eröffnung des Philosophen-Festivals genau diesen Punkt: Ob es nicht Hoffnung auf das Kommende geben darf und sollte. Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Und ehe man sich umsieht, steht man inmitten eines Revolutionsgeschehens. Es gärt an allen Ecken und Enden.

Die Menschen spüren, dass etwas, ein bedeutender Zeitabschnitt, zu Ende geht. Nicht anders war es kurz vor dem „Ausbruch“ der Französischen Revolution. Die Stände des Klerus und des Adels hatten sich mit ihrer parasitären Lebensweise auf Kosten des Volkes selbst überlebt. Es fehlte nur ein Funke in Form einer wirtschaftlichen Krise und schon brach die Revolution los.

Eine Umwertung aller Werte steht auch uns bevor, glaubt der israelische Bestseller-Autor Yuval Noah Harari. In der Biotechnologie würden atemberaubende Fortschritte gemacht, die Investoren in aller Welt aufhorchen ließen. Millionen von Dollar würde in die Forschung fließen, um den nächsten Schritt der Evolution vorzubereiten, der nun aber nicht mehr ein Zufallsprodukt der Launen der Natur, sondern menschengemacht sei.

Nietzsches Traum vom Übermenschen

Einmal geschehen, sei nichts mehr wie zuvor, warnt Harari. Nietzsches Traum vom Übermenschen könnte schon in diesem Jahrhundert Realität werden. Ist das alles gut?, fragen sich nicht nur Philosophen. „Wie perfekt darf der Mensch sein?“ will der Bonner Philosoph Markus Gabriel daher wissen.

Neben der Biotechnologie ist die Digitalisierung das große Thema unserer Tage. Alles verändert sich durch sie. Die gesamte Arbeitswelt werde umgekrempelt. Die Kriege anders geführt. Das Leben anders gelebt, prophezeit Harari.

Phil.Cologne

Das internationale Philosophen-Festival Phil.Cologne ist in seiner Art das größte und erfolgreichste in Europa. Im vergangenen Jahr besuchten es über 10000 Menschen. Dieses Jahr sind 50 Veranstaltungen im Programm. Den Auftakt machen Grünen-Chef Robert Habeck und der Soziologe Harald Welzer mit der Frage: „Könnte alles anders sein?“ Sie diskutieren darüber, welche Regeln eine bessere Welt bräuchte und ob Utopien noch Sinn machen. Die israelische Soziologin Eva Illouz erklärt, warum die Liebe endet. Es gibt wieder ein philosophisches Programm für Kinder in „Klasse denken“.

Wo aber bricht die nächste Revolution aus? Das diskutieren Florian Grosser und Eva von Redecker. Wann erkennen wir eine Revolution? Wo beginnt der Umsturz? Können wir den Zeitpunkt in der Gegenwart feststellen oder ist immer nur der Historiker derjenige, der weiß, wann es zum Umschlag in der Entwicklung gekommen ist?

Und der könnte seinen Grund in der wachsenden Ungleichheit zwischen den Menschen finden. Immer weniger haben immer mehr. Andererseits schrumpft die Armut auf der Welt. Wie passt das zusammen? Ist Reichtum unmoralisch?, fragt der Bochumer Philosoph Christian Neuhäuser, und gibt die Antwort: Ja, wenn er anderen schadet.

Bei all den Krisen, wo bleibt da der Mensch? Die Zeiten, in denen es immer schneller zu gehen schien, waren gefährliche Zeiten, wie es der bereits verstorbene britische Historiker Eric Hobsbawm bezeichnete. Die 20er Jahre etwa des 20. Jahrhunderts waren ein Abschnitt höchster kultureller Blüte, doch kurz nach dem Erblühen kam der Zerfall mit den Barbareien der Nazis und dem Zweiten Weltkrieg.

Noch fiel kein Meister vom Himmel; Epiktet empfahl tägliche Übungen

Vielleicht müssen wir weit zurückgehen in Zeiten, in denen das Leben noch viel einfacher zu sein schien. Als es noch eindeutige Fragen gegeben hat und der Mut zur eindeutigen Antwort nicht gefehlt hat.

Der in Karlsruhe lehrende Philosoph Michael Schefczyk glaubt, dass die Stoiker ein Wissen besaßen, das uns heute noch in unserem Leben helfen kann. Die Stoiker waren Philosophen, die einer bestimmten griechischen Denkerschule angehörten.

Sie diskutierten ihre Philosophie in einer Säulenhalle (Stoa). Von den frühen Zeiten dieser Denker weiß man auf direktem Weg eigentlich nichts. Zenon von Kition soll der Begründer dieser Schule gewesen sein und um 300 v. Chr. in der Athener Halle unterhalb der Akropolis - sie war wohl bunt bemalt - gelehrt haben.

Der Logos bestimmt alles

Aber es gibt nur die Schilderungen anderer, späterer Philosophen von dem, was in den Anfängen gedacht wurde. Erst die späteren Denker wie Seneca, Marc Aurel oder Epiktet können wir heute auch im Original lesen. Ihre Sicht der Welt: Sie ist ein einziger Organismus mit einem ihm immanenten Prinzip des Werdens. Alles hängt mit allem zusammen. Der Logos ist dabei nicht nur das Sprachliche, sondern das Vernunftprinzip. Der Logos bestimmt alles.

Diese Sicht hat Folgen für den Menschen. So ist es dem Weisen gegeben, nach Vernunfteinsicht nicht nur Dinge zu erkennen, sondern auch zu handeln. Die Stoiker glaubten, dass man nur über die Einsicht in die Natur zu vernunftgemäßem Handeln gelangen könne.

Ohne etwas über die Welt zu wissen, kann man nicht über gut oder schlecht urteilen. Der Mensch gilt den Stoikern als ein Vernunftwesen. Darauf zielt im Übrigen auch seine – unbestritten vorhandene – Eigenliebe ab: Er liebt sein eigenes Vernünftigsein. Das ist der Kern der ethischen Lehre der Stoa.

Die Kunst zu erkennen, was man nicht ändern kann

Die Stoiker teilten vereinzelt das Schicksal der Verbannung. Seneca wurde verbannt und auch Epiktet ging es nicht besser. Die Lehre des Letzten erscheint für uns Heutige in der Tat hochaktuell. Er ging aus von moralischer Autonomie und der Freiheit des Individuums.

Wichtiger in praktischer Hinsicht war jedoch eine andere Unterscheidung. Er erkannte einen Unterschied zwischen moralischen Werten wie Tugend, Schlechtheit, gut und schlecht und solchen Dingen, die nicht der „prohairesis“, also unserer Entscheidung unterworfen sind.

Eine der wichtigsten Trennungen von Vorstellungen im Leben eines Menschen. Denn es ist natürlich die Kunst zu erkennen, was ich nicht ändern kann. In diesen Feldern brauche ich mich dann auch nicht zu bemühen und kann nur versuchen, die Sachen so zu akzeptieren, wie sie nun einmal sind. Dafür steht mir meine volle Energie in den Dingen zu Verfügung, die durch meine Entscheidungen beeinflusst werden können.

Streben nach Glück einschränken

Für Epiktet (geb. 50 v. Chr.) hat das die Konsequenz, dass wir unser Streben nach Glück einschränken müssen. Glück können wir nur da erwarten, wo die Dinge in unserer Macht stehen. Daher sollten wir unsere stärksten Wünsche und Begierden auch nur auf sie begrenzen. Die Menschen leben nach Ansicht der Stoiker und auch nach Epiktet in einer Welt, die durch einen Gott aufs Beste eingerichtet ist.

Diese Welt ist in großen Teilen vorherbestimmt. Sie können jedoch nicht über ihr Schicksal bestimmen. Deshalb müssen sie versuchen, ihr Leben dem der Natur möglichst gut anzupassen. Ansonsten werden sie durch Leidenschaften und Irrationalität unglücklich sein, die sonst das menschliche Leben beherrschen.

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Da ein Meister in diesen Dingen noch nie vom Himmel gefallen ist, empfahl Epiktet tägliche Übungen, klassisch Askese genannt. Man soll mögliche negative Ereignisse antizipieren, Begierden und Abneigungen beherrschen lernen. Auch unsere Impulse sollen wir beherrschen lernen, damit wir auf zufällige Ereignisse reagieren können. Und natürlich hilft philosophische Schulung dabei, Irrtümer in den Aussagen über die Welt zu beherrschen.

Der Philosoph Christoph Quarch möchte, dass wir das kosmologische Denken Platons wieder vom Himmel holen. Der hatte bekanntlich gelehrt, dass es ursprüngliche Ideen gibt, denen die sinnlich wahrnehmbare Welt nachgebildet ist. Der Kosmos Platons ist somit eine durch den Logos, also durch die Vernunft durch und durch bestimmte Realität. Das Bewusstsein, dass es da draußen etwas gibt, was unserer Verfügbarkeit entzogen ist, könnte in der Tat den Heutigen etwas lehren. Denn beim Anblick einer Größe wie der des durch ewige Gesetze bestimmten Kosmos’ durchströmt uns ein Gefühl der Erhabenheit. Es könnte uns die Demut lehren, die uns Heutigen zu oft abgeht.

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