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phil.CologneWenn unsere deutsche Vergangenheit uns einholt

Lesezeit 4 Minuten
Die Autoren Asal Dardan (l.) und Dmitrij Kapitelman auf der phil.Cologne 2025

Die Autoren Asal Dardan (l.) und Dmitrij Kapitelman auf der phil.Cologne 2025

Die Autoren Asal Dardan und Dmitrij Kapitelman sprachen auf der phil.Cologne darüber, wie die deutsche Vergangenheit immer noch unsere Gegenwart bestimmt.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine. Die explosive Lage im Nahen Osten – das alles ist eng mit der deutschen Gegenwart und Vergangenheit verwoben. Verwoben zu einem unentwirrbaren Knäuel aus Schuld, Erinnerung, Trauma, Propaganda, Verantwortung, Nostalgie … auch, weil hier sehr viele Menschen leben, die Verwandte in diesen Ländern haben oder selbst einmal dort gelebt haben.

Eigentlich also beinahe unmöglich, das alles an einem phil.Cologne-Termin zu besprechen. Doch trotz dieser Überfülle an Gesprächsfäden ging das Konzept auf – auch dank der präzisen, unaufgeregten und mitfühlenden Moderation von Ferdos Forudastan. Mit ihr auf der Bühne in den Ehrenfelder Balloni-Hallen saßen zwei Autoren: Asal Dardan und Dimitrij Kapitelman. Beide hatten ihre aktuellen Bücher mitgebracht. Und mit dem Titel von Asal Dardans „Traumaland“ war auch dieser Abend überschrieben. Dardan wurde 1978 in Teheran geboren und wuchs in Köln, Bonn und Aberdeen auf. Ihr Buch trägt den Untertitel „Eine Spurensuche in deutscher Vergangenheit und Gegenwart“. Darin zeigt sie unter anderem auf, wie die Naziverbrechen noch heute ein Echo in rassistischer Gewalt finden.

Wie sehr persönliche Erfahrungen unseren Blick prägen beziehungsweise verengen – das hat sie bei einem Gespräch in ihrem Bekanntenkreis erlebt: Als sie während der Arbeit an ihrem Buch erzählt habe, dass auch Dessau eine Rolle spielt, hätten alle an das Bauhaus gedacht, die berühmte Kunst- und Architekturschule. Asal Dardan ging es aber um drei Menschen, die dort nach der Wende aus rassistischen Motiven ermordet wurden. „Da habe ich gemerkt: Uns trennt nicht Bildung oder Haltung, sondern Prägung.“

Uns trennt nicht Bildung oder Haltung, sondern Prägung
Arsal Dardan

Viele Menschen in Deutschland würden gerne mit der Vergangenheit ihres Landes abschließen oder sehen keinen Zusammenhang mit heutigen Gewalttaten oder Diskriminierungen: „Aber wir sind mit unserer Vergangenheit verbunden und diese Vergangenheit führt direkt zu mir persönlich“, ist Arsal Dardan überzeugt. Sie findet es richtig, dass heute die Opfer rassistischer Gewalttaten stärker in den Blick genommen werden. „Ich glaube aber, dass wir auch wieder dahin zurückgehen müssen, über die Täter zu sprechen. Wir müssen auch sie aus diesem 'Anderssein' herausholen. Denn sie kommen aus unserer Gesellschaft. Und wir müssen uns fragen: Was in unserer Gesellschaft bringt immer wieder diese Leute hervor? Wo ist die Verbindung? Was ist die Linie zwischen dem Heute und dem Damals?“

Diese Linie sieht auch Dmitrij Kapitelman ganz deutlich. Er wurde 1986 in Kiew geboren und kam mit neun Jahren mit seiner Familie nach Deutschland, als jüdischer „Kontingentflüchtling“. Und landete „in einem Plattenbau voller Faschos. Seitdem habe ich nie die Chance bekommen, zu vergessen, dass diese Kontinuitäten existieren, die mir die Zähne ausschlagen könnten.“ In seinem Roman „Russische Spezialitäten“ schreibt er über eine Familie aus Kiew, die in einem Leipziger Laden ebendiese verkauft. Und über die schwierige Beziehung des Sohns der Familie zu seiner Mutter, die hoffnungslos der russischen Propaganda verfallen ist.

Nostalgische, sowjetische Verführung

Diese Romanfigur ist kein Einzelfall und trägt starke Züge von Kapitelmans eigener Mutter. In der osteuropäischen Diaspora allgemein und speziell in Deutschland gebe es „in fast jeder Familie irgendein Mitglied – Mutter, Vater, Bruder, Onkel – das in den Putinismus kippt. In diese nostalgische, sowjetische Verführung“, erzählt er. Die funktioniere im Ausland sogar noch viel besser als in Russland selbst – weil die schöne Fiktion nicht durch die Realitäten vor Ort gestört würde.

Wie krass seine Mutter die Realitäten verleugnet, hat er selbst erlebt, als er während des Kriegs in Kiew war: „Der Bunker bebte und ich habe ihr geschrieben: Wir werden bombardiert. 'Nein, werdet ihr nicht, hat meine Mutter entgegnet: Russland bombardiert nur militärische Ziele.' Nur zwei Wochen später wurde ein Kinderkrankenhaus zerstört.“

„Wenn man lange genug dieses Weltbild unterstützt, wenn man damit sozusagen symbiotisch lebt, dann wird das, fürchte ich, zu einer zweiten Natur“, sagt der Autor. Die Propaganda wirke wie Drogen: „Das Zeug im Ausland ist pur und es wirkt vielleicht auch deswegen stärker, weil die Verwurzelung in der neuen Heimat und die Zusammengehörigkeit fehlt.“ Das macht anfällig für Propaganda, sagt Dmitrij Kapitelman: „Die Leute haben in Deutschland keinen guten Identitätsdealer.“