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phil.CologneHabeck gibt sich tiefenentspannt und denkt über eigene Denkfehler nach

Lesezeit 5 Minuten
Der Satiriker Thorsten Schroeder gestikuliert mit den Händen, Robert Habeck lächelt.

Thorsten Schroeder und Robert Habeck auf der phil.Cologne 2025

Der Grünen-Politiker eröffnete zusammen mit dem Ethiker Markus Gabriel und Bestsellerautor Daniel Kehlmann das Kölner Philosophie-Fest.

Bevor man über Künstliche Intelligenz spreche, sagt Markus Gabriel, müsse man sich erst fragen, was Intelligenz sei. Eine Definition laute: Die Fähigkeit, ein bestimmtes Problem in einem begrenzten Zeitraum zu lösen. Darin hat uns die KI längst überholt, in Sekunden ist erfasst und verarbeitet, was der Mensch sich über Jahre erarbeiten muss. „Aber“, fragt der Bonner Erkenntnistheoretiker, „ist die Simulation intelligenten Verhaltens schon intelligentes Verhalten? Kann man die Verarbeitung von Gedanken schon denken nennen?“

Vielleicht treffen alte, menschliche Begriffe gar nicht erst auf die neunmalklugen Maschinen zu. Im Zwiegespräch mit KI-Assistenten wie ChatGPT, glaubt Daniel Kehlmann, habe man es mit einer Art von Alien zu tun. Meint: einer so andersartigen Intelligenz, dass sie ebenso gut außerirdisch sein könne. „Von ChatGPT“, so der Romancier, „bekommen Sie eine intelligentere Antwort, wenn Sie den Prompt schreiben: Gib mir eine intelligentere Antwort.“ Das sei eine völlig andere Form des Verstehens, pflichtet ihm der Philosoph bei. KI denke nicht in Sätzen, sondern erfasse den gesamten Text.

Daniel Kehlmann fürchtet den Einfluss simulierter Personen

Gabriel und Kehlmann, internationale Bestsellerautoren, disputieren in der Kölner Flora zur Eröffnung der phil.Cologne, der kleinen philosophischen Schwester der lit.Cologne, über das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz – einem, so Kehlmann, der großen Umstürze der Menschheitsgeschichte, größer noch als die industrielle Revolution. Gabriel glaubt, dass wir noch keine Sprache dafür entwickelt haben, wie wir mit den Maschinen kommunizieren. Kehlmann fürchtet den schädlichen Einfluss simulierter Personen: „Wie werden wir auf Freunde reagieren, die die chinesische Regierung entwickelt hat, wenn Algorithmen jetzt schon Menschen dazu bringen, rechtsradikale Wahnsinnige zu wählen?“

Da helfe, sagt Gabriel, nur selbst bauen und gegenhacken. Die Gedanken fliegen, klug moderiert von Simone Miller, so schnell der Schall sie trägt – von „Hegelmaschinen“ zur „Leibniz'schen Mühle“, von „Gandhi-Bots“ zum japanischen Photoniknetz. Die Köpfe rauchen, aber in der schieren Überfülle ist das sehr anregend. Im Botanischen Gartens erwächst die Ahnung einer radikal andersartigen Zukunft, die fast schon Gegenwart ist.

Daniel Kehlmann und Markus Gabriel sitzen nebeneinander auf dem Podium der phil.Cologne.

Autor Daniel Kehlmann und Philosoph Markus Gabriel auf der phil.Cologne

Unter den Zuschauern ist auch Robert Habeck, der Grünen-Politiker unterhält sich später am selben Ort mit dem Satiriker Florian Schroeder über „Demokratie im Ernstfall“ und zitiert mehrfach das vorangegangene Gespräch. Ein Problem in einer bestimmten Zeit zu lösen, das sei doch exakt die Beschreibung von Politik. „Und in einer bestimmten Zeit, das heißt in der Zeit, die man als Politiker, als Minister hat, in der Legislatur.“ Aber, fährt Habeck fort, man müsse auch erkennen, wann sich die Aufgaben geändert haben.

Robert Habeck tiefenentspannt in Köln

Darin immerhin sollten Menschen der KI überlegen sein. Habeck ist braun gebrannt und tiefenentspannt, das Ende der Ampel scheint auf ihn kurähnliche Wirkung zu haben. Er nutze, sagt Habeck, seine neugewonnene Freiheit nach 20 Jahren zwischen Amt und Wahlkampf zum Lesen und Denken, auch zum Erkennen von Denkfehlern, die eigenen mit eingeschlossen.

Es geht um die großen Fragen: „Unter welchen Bedingungen kann die offene Gesellschaft im Wettbewerb mit Regimes, die deren Regeln missachten, in dieser Welt erfolgreich sein?“ Im Moment, glaubt Habeck, verlieren die liberalen Demokratien diesen Wettbewerb.

Was ist, wenn ein Ölunternehmen sagt, ich garantiere euch, dass der Liter Benzin für die nächsten 30 Jahre unter einem Euro kosten wird?
Robert Habeck

Ist der Mensch, beziehungsweise das Volk als Souverän, denkt Habeck öffentlich weiter, in der Lage, von der eigenen Lebenssituation zu abstrahieren und über den Tag hinaus das Richtige zu tun? Zu seinen neuen Aufgabenfeldern gehöre unter anderem die Arktis. Dort werde in Zukunft ganz sicher nach Öl und Gas gebohrt. Was man angesichts der Klimakatastrophe tunlichst unterlassen sollte. „Aber was ist, wenn ein Ölunternehmen sagt, ich garantiere euch, dass der Liter Benzin für die nächsten 30 Jahre unter einem Euro kosten wird?“

Längst habe ein rechtspopulistischer den linksprogressiven Mainstream abgelöst, echauffiert sich Habeck über das Image seiner Grünen als „Verbotspartei“. „Als ob Klimaschutz irgendjemandem etwas wegnehmen würde. Als ob irgendjemand darunter leidet, wenn Menschen sich nicht klar zwischen Frau und Mann zuordnen können. Die Verbotspolitik liegt bei den Leuten, die verbieten, Regenbogenfahnen aufzuhängen, oder zu gendern.“

Robert Habeck sitzt auf dem Podium in der Kölner Flora, die Hände ineinander verschränkt.

Robert Habeck auf der phil.Cologne 2025

Aber habe nicht, stichelt Florian Schroeder, der linksliberale Mainstream mit einer Verengung, die er für den Fortschritt gehalten hat, zum weltweiten Rechtspopulismus beigetragen? Es sei nicht alles nur Kulturkampf, widerspricht Habeck: „Die Ursache des Rechtspopulismus ist das rechtsextreme Denken derer, die ihn betreiben, und derer, die diese Parteien wählen. Das ist der Faschismus in den Köpfen. Man muss blind sein, um nicht zu sehen, dass es Trump und den Leuten in seinem Umfeld um persönliche Bereicherung geht. Da reißt sich eine Minderheit die Welt unter den Nagel, das ist die Schlachtordnung, die wir eigentlich haben.“

Irgendwann wendet sich das Gespräch – es sind eher selbstverliebte, gelegentlich brillante Monologe Schroeders, gefolgt von besonnenen Reaktionen Habecks – von der weltpolitischen Wetterlage ins Persönliche. Der Satiriker sägt am Stammbaum des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers. Warum er so selten über seinen Großvater, den SA-Obersturmbannführer, und seinen Urgroßvater, der zu Hitlers Führungszirkel gehörte, gesprochen habe? Weil andere Menschen und Ereignisse prägender für seine politische Biografie gewesen seien, lautet die Antwort, etwa das Freiburger Studium zwischen Martin Heidegger und Paul Celan.

An dieser Stelle referiert Habeck aus dem Stegreif und mit einer Präzision, die ChatGPT abgeht, die Unterschiede im Denken des Faschismus-freundlichen Philosophen und des jüdischen Dichters: „Wo Heidegger die Einsamkeit und den heroischen Übermenschen findet, findet Celan die Zerbrechlichkeit, das Verstummen und das Führen des Wortes in das Weiß der Seite, in den Abgrund der Materialität des Buches, als Einladung mitzureden.“ Diese Aufforderung zum Diskurs, zum Zuhören, zum Raum lassen für Anderes, habe er für sich ins Politische übersetzt.

Womit der vormalige Philosophiestudent zugleich den Sinn und Zweck der phil.Cologne resümiert.