Daniel Kehlmanns neuer RomanDie Kunst als Ausrede

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Der Schriftsteller Daniel Kehlmann steht auf der Bühne im Berliner Ensemble. Er trägt ein weißes Hemd und lächelt.

Beim Internationalen Literaturfestival Berlin steht Daniel Kehlmann, Schriftsteller auf der Bühne im Berliner Ensemble.

Daniel Kehlmann erzählt in „Lichtspiel“ die Geschichte des Regisseurs G.W. Pabst, der erst vor den Nazis floh und dann doch in Hitlers Reich zurückkehrte.

Es macht besonders wenig Spaß, unglücklich zu sein, wenn man im vermeintlichen Paradies angekommen ist. So ergeht es dem Regisseur G.W. Pabst zu Beginn von Daniel Kehlmanns neuem Roman „Lichtspiel“. „Kein Windhauch, erstarrt die Palmen ums Schwimmbecken“, heißt es, als wir ihm zum ersten Mal begegnen. „Die Sonne war so hell.“

Der „rote Pabst“, wie er in Europa ob seiner politischen Haltung genannt wurde, hat es im Jahr 1933 noch gerade rechtzeitig in die USA geschafft.  Doch Hollywood ist für ihn nicht die Traumfabrik, die alles möglich macht. Im Gegenteil. Sein Englisch ist schlecht, niemand hört ihm zu, er beherrscht die Regeln des amerikanischen Smalltalk-Geplänkels nicht.

Kein Filmstudio will seine Idee eines großen, politischen Films über das Zerbrechen einer Zivilisation umsetzen: Eine Gesellschaft auf einem Luxusdampfer, die von der Nachricht überrascht wird, dass Krieg ausgebrochen ist und danach ins Chaos stürzt.

Seine Hollywood-Karriere ist vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hat

Stattdessen muss Pabst, einer der Helden des deutschen Stummfilms, groß geworden mit Filmen wie „Die freudlose Gasse“ und „Die Büchse der Pandora“, einen belanglosen Unterhaltungsfilm drehen, von dem er schon vorher weiß, dass er schlecht wird. Seine Hollywood-Karriere ist vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hat.

Erneut hat Daniel Kehlmann ein historisches Thema für seine große Erzählkunst gewählt. Anders als die beiden anderen berühmten Regisseure der Weimarer Republik, F. W. Murnau und Fritz Lang, mit dem er in „Lichtspiel“ häufig verwechselt wird, ist G.W. Pabst in Vergessenheit geraten.

Und dafür gibt es einen Grund: Als alle, die sich als Gegner der Nazis verstanden, das Land verließen, kehrt der Linke und Pazifist erst zurück nach Frankreich und dann, kurz vor dem Überfall auf Polen, in seine Heimat Österreich. Eigentlich will er nur kurz seine alte und kranke Mutter besuchen und dann mit seiner Frau Trude und Sohn Jakob wieder in die USA gehen, doch der Krieg macht das unmöglich. 

Er bleibt und arrangiert sich mit dem System. Dreht wieder Filme, macht ein Zugeständnis nach dem nächsten, lässt sich vereinnahmen und verliert Stück für Stück seinen moralischen Kompass aus dem Blick. Am Beispiel des Regisseurs zeigt Kehlmann, wie schnell man sich im Netz vermeintlich harmloser Kompromisse verfängt, wie verlogen es ist, sich in einer Diktatur als unpolitisch zu bezeichnen. Wenn die Welt in Barbarei versinkt, macht sich auch schuldig, wer schweigt.

Bei Kehlmann verkommt die Kunst zur billigen Ausrede

Die Kunst wird häufig als Bollwerk gegen das Böse gefeiert, als Mittel, dem Irrsinn der Welt etwas entgegenzusetzen. Bei Kehlmann verkommt die Kunst zur billigen Ausrede, sich mit dem System gemein zu machen. Pabst dreht aufwendige Filme, während um ihn herum alles in Flammen steht. „Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einzige, was wichtig war“, rechtfertigt sich der Regisseur. 

Am Ende wird er fast verrückt, weil der eine große Film, der ihm in dieser Zeit gelungen ist, „Der Fall Molander“, verloren geht und nie gezeigt werden kann. Er sollte sein größter Triumph werden und ist zugleich das Projekt, bei dem er die größte Schuld auf sich geladen hat. 

Kehlmann zeigt, wie schmal der Grat zwischen Aufrichtigkeit und moralischer Verkommenheit ist. Pabst glaubt tatsächlich, die Distanz zu den Nazis wahren zu können. In einer der stärksten Szenen des Romans muss er erkennen, wie falsch er damit liegt. Der Regisseur wird nach Berlin zitiert. Er muss bei Propagandaminister Joseph Goebbels, dessen Name nie genannt wird, vorsprechen. Es ist eine Szene, irgendwo zwischen Kafka und Tarantino. 

Kehlmann hat seinen Roman wie einen Film gebaut

Pabst will mit dem Hinweis auf gesundheitliche Probleme neue Filmprojekte zurückweisen. Doch Goebbels macht ihm unmissverständlich klar, wo er steht: „Bedenken Sie, was ich Ihnen bieten kann’, unterbrach der Minister, ‚zum Beispiel KZ. Jederzeit. Kein Problem. Aber das meine ich ja gar nicht. Ich meine, bedenken Sie, was ich Ihnen auch bieten kann, nämlich: alles, was Sie wollen. Jedes Budget, jeden Schauspieler. Jeden Film, den Sie machen wollen, können Sie machen.‘“

Als der Regisseur erkennt, in welcher Lage er ist, kippt seine Welt endgültig ins Surreale: „Pabst ging weiter auf die Tür zu, die vor ihm zurückzuweichen schien. Er ging schneller, die Tür wich noch schneller zurück, er ging noch schneller, aber mit einem Mal hatte der Raum sich umgefaltet, sodass er an der Decke hing und mit dem Kopf nach unten ging (...).“ Es gibt für ihn keinen Ausweg.

Kehlmann hat seinen Roman wie einen Film gebaut, auch wenn er ihn  -abgesehen von einer Klammer - chronologisch angelegt hat, springt er zwischen einzelnen Szenen, Figuren und Erzählperspektiven hin und her, richtet einmal auf diesen, einmal auf jenen den Scheinwerfer. Und wenn man dem Autor etwas vorwerfen will, dann vielleicht, dass die einzelnen Szenen stärker sind als die Gesamtkomposition.

Dennoch gelingt „Lichtspiel“, was nur gute Literatur vermag: Es ist eine Geschichte aus der Vergangenheit, die uns mit Fragen konfrontiert, die auch in der Gegenwart einer Beantwortung harren.


Daniel Kehlmann: „Lichtspiel“, Rowohlt Buchverlag, 480 Seiten, 26 Euro. Kehlmann ist bei der lit.Cologne Spezial zu Gast. Am Samstag, 21. Oktober, 20 Uhr, spricht er mit Knut Elstermann im WDR-Funkhaus, Klaus-von Bismarck-Saal über seinen Roman. Informationen und einige restliche Tickets gibt es auf der Seite des Festivals.

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