Eröffnung der phil.Cologne„Wir brauchen eine größere Katastrophe“

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Slavoj Zizek spricht, hinter ihm auf einer Leinwand die Aufschrift phil. Cologne.

Slavoj Zizek, slowenischer Philosoph, spricht bei der Eröffnung der Phil.Cologne in der Flora.

Die phil.Cologne startete mit einem Auftritt von Slavoj Žižek. Der Philosoph bemängelte, dass die Gesellschaft nicht zu den entscheidenden Änderungen bereit sei.

Einen Leitfaden für Nichtverwirrte hat Slavoj Žižek sein neues Buch „Die Paradoxien der Mehrlust“ genannt. Doch wer nun glaubt, er wolle da etwas entwirren, irrt. Der slowenische Philosoph ist vielmehr darüber beunruhigt, dass wir angesichts der aktuellen Weltenlage nicht viel verwirrter sind.

Dabei gehe es nicht darum, die Wahrheit auszusprechen, die sei uns durchaus bewusst, betont er zum Auftakt der phil.Cologne in der voll besetzten Flora im launigen Gespräch mit Wolfram Eilenberger. Allein handelten wir nicht danach. Die simple Strategie der Aufklärung, Dinge nur klar benennen zu müssen, um die Symptome verschwinden zu lassen, funktioniere nicht mehr. Wir seien nicht bereit, radikal genug zu denken.

Eröffnung der Phil.Cologne Slavoj Zizeks Psychoanalyse

Psychoanalyse biete die Chance, sich neu zu erfinden, das sei ein schmerzhafter, aber notwendiger Prozess. Doch in seiner Psychoanalyse der Gegenwart beklagt Žižek eine fehlende Bereitschaft in unserer Gesellschaft, genau das zu tun. Wir wollen in alten Mustern weitermachen, die Probleme lösen, indem wir dem Wachstum nicht abschwören, sondern es nur verringern.

Mit Freud gesprochen sieht er eine kollektive Verleugnung. Wir wüssten etwa alle, dass wir der Ukraine helfen müssen in diesem Krieg. Aber unsere Strategie sei, bloß nicht zu viel an unserem Leben zu ändern. Warum nutzen wir dieses so entscheidende Ereignis nicht, um unsere Wirtschaftsordnung grundlegend zu verändern, fragte der Philosoph. Zu glauben, das System sei mit den bestehenden Mitteln zu verändern, sei eben genau jene Verleugnung, die er beklagt.

Zizek führt in Köln die schweren philosophischen Kaliber an

Das sei doch eine extrem dunkle, verzweifelte Analyse des politischen Diskurses, bemerkte Eilenberger, der Žižek immer wieder klug einfing und befragte. Unsere Art, den Herausforderungen zu begegnen, sei also vielmehr Teil der Krankheit und nicht die Kur? Die schlichte Antwort des Slowenen: „Absolut.“ Genau deshalb brauche es heute mehr Philosophie als jemals zuvor. Es reiche nicht mehr aus, auf dem Zug der Weltgeschichte zu sein, wir müssten vielmehr die Notbremse ziehen, bezog er sich auf Walter Benjamin. Und immer wieder kam er auf Hegel zu sprechen: Optimismus im Angesicht der Katastrophe, der Glaube, aus dem Schlechten entstehe etwas Gutes, sei genau falsch. Der Gegensatz sei zutreffend. Aus der französischen Revolution erwuchs Terror.

Eilenberger wollte wissen, ob denn die Aktionen der Letzten Generation genau das Ziehen der Notbremse sei, die Slavoj Žižek fordert. Oder ob nicht vielmehr deren Forderungen nach beispielsweise einem Tempolimit auch nur Pseudo-Notbremsen seien, entstanden aus dem Glauben, dass wir mit einigen wenigen Korrekturen etwas ändern können.

Philosoph lobt das Handeln junger Leute

Es sei gut, dass die jungen Leute überhaupt etwas tun. Von einer Revolution wollte Žižek dann aber auch nicht sprechen. Man könne darüber streiten, ob sich festkleben gut oder schlecht sei, in Wahrheit erlaube die jetzige Situation nur einen Schluss: „Wir brauchen eine größere Katastrophe.“ Wir bewegten uns auf die Selbstzerstörung zu. Da helfe nur noch eine Form des Kriegskommunismus.

Žižek bot in diesen zwei Stunden alles, was seine Fans an ihm lieben und seine Gegner ihm ankreiden: Wilde Assoziationsketten, unterhaltsame Anekdoten – gerne über Sex – und viel Freude an der Provokation, auch wenn diese in Köln nicht so recht zündeten.

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