Philharmonie KölnDas Londoner Aurora Orchestra ging mit Schostakowitsch ans Limit

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Dirigent Nicholas Collon  

Köln – Gegen halb acht begannen die Orchesterwarte, das Podium freizuräumen: Sämtliche Pulte und fast alle Stühle verschwanden. Das philharmonische Sonntagskonzert mit dem Aurora Orchestra ging aber nicht etwa in ein Tanzvergnügen über; vielmehr machten die Londoner Musiker, was sie auch sonst gerne mal tun: Sie spielten das Schlussstück ihres Programms, Dmitri Schostakowitschs Sinfonie Nr. 9, auswendig und im Stehen.

Klar ist diese Gewohnheit mittlerweile zum Alleinstellungsmerkmal der munteren Truppe geworden, sie ist aber weit mehr als ein wirkungsvoller Coup: Man spürte sofort, wie der Zugewinn an körperlicher wie geistiger Bewegungsfreiheit das Musizieren veränderte, wie sich der Klang öffnete, die Spielenergie wuchs, ein gemeinsamer musikantischer Puls aufkam, den der Dirigent Nicholas Collon nur noch locker koordinieren musste.

Musik, die an eine Karnevalskapelle anmutete

Von dieser Spielweise geht, was man leicht verstehen kann, aber auch ein enthemmender Effekt aus, die Neigung, eher ans Limit zu gehen, die dynamischen Möglichkeiten der Instrumente voll auszufahren. Ein übriges tat hier der schräge Humor des Stückes, das zuweilen wie der Aufmarsch einer Karnevalskapelle anmutet. Als Zugabe wiederholten die Musiker das Finale in den Reihen des Publikums, das auf diese Weise auch einmal die Binnenwirkung des Orchesterklangs zu hören bekam - und darüber schier aus dem Häuschen geriet.

Auch wenn der Rest des Programms in gewohnter Sitz - und Leseordnung vollzogen wurde, ging es dabei ganz und gar nicht konventionell zu. Die relativ kleine Streicher-Besetzung gab den Bläsern größeres Gewicht und stärkeres Profil, was Tschaikowskys Violinkonzert einiges von seinem pastosen romantischen Mischklang nahm.

Solist Valeriy Sokolov bewies seine makellose Technik

Nicholas Collon, bis zum Ende der Saison noch erster Gastdirigent des Gürzenich-Orchesters, arbeitete stattdessen einen alerten Klassizismus heraus, der dem Werk in jeder Hinsicht guttat. Dazu passte das helle, schlanke, von einer makellos leichtgängigen Technik gelenkte Spiel des ukrainischen Solisten Valeriy Sokolov.

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