Verena Altenbergers nimmt in der Folge „Paranoia“ Abschied als Polizeiruf-Ermittlerin. Der immersive Psycho-Thriller kann aber nicht vollends überzeugen.
So war der PolizeirufVerena Altenberger geht, die Fragezeichen bleiben

Marta Kizyma (Rolle: Sarah Kant) mit Verena Altenberger (Rolle: Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff) und Stephan Zinner (Rolle: Dennis Eden).
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Verena Altenberger macht Schluss. Die sechste Folge im Team des Münchener Polizeirufs ist auch ihre letzte. Im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen verriet die Schauspielerin, dass die Zusammenarbeit nur auf vier Jahre angelegt gewesen sei und sie Abwechslung und neue Herausforderungen brauche. „Ich will gehen, wenn noch nicht alles zu Ende erzählt ist. Andererseits ist so ein Abschied schon irgendwie traurig.“
Das lässt natürlich Böses erahnen für eine Figur, die in ihrer letzten Folge nochmal durch den Fleischwolf gedreht wird. Sie stürzt fast in den Tod, wird mit einem Messer verwundet und landet zuletzt wohl in den Fängen ominöser Kräfte. Aber nochmal der Reihe nach.
„Paranoia“ verknüpft zwei Morde mit roten Schnürsenkeln
Für Bessie Eyckhoff (Verena Altenberger) und ihren Kollegen Dennis Eden (Stephan Zinner) beginnt der Fall mit dem Mord an Umut Kanoglu (Aslan Aslan), der zehn Jahre lang ein unauffälliges Leben als Arbeiter in einem Imbiss führte. Davor soll dieser Kontakt zum Terroristen Mohammed Atta gehabt haben, einen der Attentäter um die Terroranschläge am 11. September. In der Mordnacht sah ein Zeuge zwar eine verdächtige Person, auffällig waren aber nur ihre roten Schnürsenkel.
Indes betritt eine der Figuren die Bühne, die der titelgebenden „Paranoia“ ein Gesicht geben wird, die Sanitäterin Sarah Kant (Marta Kizyma). Die fährt mit ihrem Kollegen und Ex-Lover Carlo Melchior (Timocin Ziegler) einen Einsatz. Auf dem Weg durch das Gebäude verletzt sich Carlo, Sarah Kant läuft alleine weiter und findet eine schwerverletzte Frau mit vielen Stichwunden. Sie sieht sogar noch kurz den Täter - wieder rote Schnürsenkel. Ein besorgter Nachbar hilft Kant dabei, die Verwundete nach unten zu tragen.
Hauptfigur des „Polizeiruf 110“ verfällt in Verfolungswahn
Auf dem Weg ins Krankenhaus werden die Sanitäter aber von der Leitstelle überraschend umgeleitet, sie sollen die Verletzte in die Eisbach Klinik bringen. Am nächsten Tag, als sich Kant nach der Patientin erkundigt, heißt es, sie sei dort nie eingeliefert worden. Auch die Leitstelle hat nur einen falschen Alarm protokolliert. Von dem Opfer bleibt nur noch eine blutverschmierte Videokassette übrig, die Kant im Rettungsfahrzeug findet. Sarah Kant platzt in Carlos Wohnung, obwohl der gerade Zärtlichkeiten mit seiner neuen Freundin austauscht, und macht die Kassette auf dem Videospieler an. Es ist ein Foltervideo, das Opfer ist vermummt. Carlo schmeißt seine distanzlose Ex-Freundin raus, die behält aber weiterhin den Wohnungsschlüssel. Sie ist geradezu wahnhaft obsessiv gegenüber Carlo.
Von da an stürzt Sarah Kant in tiefen Verfolgungswahn. Sie wendet sich erneut an Carlo, der aber nichts mit dem Ganzen zu tun haben will und darin nur Kants Versuch sieht, ihn wieder an sich zu binden. Sie haben einen heftigen Streit. Kurze Zeit später ist Carlo selbst tot, ebenfalls mit Stichwunden. Sarah Kant meldet den Mord und gibt Bessie zwar eine recht verwirrte Aussage, dann flieht sie, weil sie jemanden mit roten Schnürsenkeln sieht.
Ein grüner, schlecht animierter Toaster ist nicht das einzige Fragezeichen
Auch wenn das Ermittlerteam schnell in Betracht zieht, Sarah Kant könnte ihren Ex-Freund ermordet haben, können sie zumindest ihre Aussage über das erste erstochene Opfer bestätigen, indem sie die Nachbarschaft befragen. Einer der Nachbarn gegenüber, offenbar ein Voyeurist, der den Notruf erst abgesendet hat, hat das Geschehen sogar gefilmt. Als sie sich mit ihm unterhalten, taucht Sarah Kant am Tatort auf. In einer Verfolungsjagd stürzt Bessy beinahe zu Tode, und Dennis Eden schafft es noch, ihr ein Stockwerk entgegenzukrabbeln, bevor ihn die eigene Höhenangst packt. In ihrer abgewendeten Todesstunde sieht Bessie einen umherfliegenden, schlecht animierten grünen Toaster, der durch die Dunkelheit fliegt (das wohl größte Rätsel des Falls). Die Feuerwehr kann die beiden Gipfelstürmer bergen.
Sarah Kant findet kurzzeitig Zuflucht bei ihrer Schwester, bei der sie während des Kindergeburtstags ihrer Nichte und vor versammeltem Aufgebot das Foltervideo zu Ende schaut. Der Chefarzt der Eisbach Klinik ist darin zu sehen und bestätigt ihre Verschwörung. Die erstochene und aus dem Krankenhaus verschwundene Frau taucht schließlich als Leiche an einer Baustelle auf, sie soll für eine Scheinfirma des BND gearbeitet haben.
Die Auflösung des Falls
Zuletzt scheint Sarah Kant zumindest in Bessie Vertrauen gefasst zu haben und trifft sich mit ihr in einem Park. Kant gibt Bessie alle Infos zun Inhalt der Videokassette. Ihre Aussprache wird aber unterbrochen, als Eden Bessy anruft und mitteilt, dass Carlo und die aus dem Krankenhaus verschwundene Frau unterschiedlichen Mördern zum Opfer fielen. Kant, die sich als enttarnt wähnt, rammt Bessie ein Messer in den Oberschenkel und flieht. Daraufhin entführt sie ein unbekannter Mann.
Und für Dennis Eden kann das eigentlich nur eins heißen. Da möchte jemand wirklich etwas vertuschen. Er erzählt Bessie von einem Fall, in dem der BND einen Mann in einem syrischen Gefängnis verhörte und mutmaßlich folterte. Er spekuliert, dass es sich bei dem Folteropfer auf der Kassete um den ermordeten Umut Kanoglu handelte. Er sei vielleicht kein Opfer der Bösen geworden, sondern der „Guten“.
Sie verfolgen Kants Entführer anhand der GPS-Daten seines Autos. Als sie ihn erreichen, hat Kant ihn bereits niedergestochen und versucht ihm den Mord an Carlo anzulasten. Das anrückende SEK und Dennis Eden wecken aber wieder die Paranoia. Bessie kann sie nicht überzeugen, ihr Messer fallen zu lassen. Da Bessie sie konfrontiert, verletzt sich Kant schwer bei einem Sturz. Bessie begleitet sie in einem Krankenwagen. Die Sanitäter bekommen von der Leitstelle mitgeteilt, dass sie die Verletzte zur gefürchteten Eisbach Klinik bringen sollen, woraufhin die wehrlose und kaum sprachfähige Kant panisch wird. Die Folge endet darin, dass Bessie aus dem Rückfenster des Rettungswagens ein Auto sieht, das sie verfolgt.
Fazit zu „Paranoia“
In ihrem Interview mit der Augsburger Allgemeinen beschrieb Schauspielerin Verena Altenberger das Schicksal ihrer Figur als recht eindeutig: „Die Situation am Ende spiegelt ja wider, was zuvor einer anderen Frau passiert ist. Und man weiß, wie es dieser Frau ergangen ist. Insofern kann man sich schon vorstellen, was mit Bessie passieren wird“.
Trotzdem bleibt das Ende offen. Und die vielen übrig gebliebenen Fragezeichen unterstreichen ein Gefühl von Paranoia, das sich zwischenzeitlich zwar voll in die Figur von Sarah Kant verlagern lässt, im Verlauf der Folge aber immer wieder ausbricht. Wer waren also die Drahtzieher dieser ominösen Verschwörung? Steckte wirklich der BND hinter allem oder jemand noch mächtigeres? Und was wird zum Schluss aus Bessie?
Die Immersion gelingt, aber der Ton wird nicht konsequent gehalten
Die Paranoia gelingt, weil das Böse abstrakt bleibt. Ihr stehen aber die humoristischen, auflockernden Momente völlig im Wege, die die Spannung immer wieder aufbrechen - etwa wenn das Ermittlerteam wie zwei Kätzchen auf einem Baum von der Feuerwehr abgeholt werden muss, oder Bessie mit einem KI-Rasenmäher spricht, als wäre er ein Hund. Der fliegende Toaster tut da auch sein übriges. Auch nicht humorvoll gemeinte Momente, etwa die wiederholten Kampfschreie Kants, wirken deplatziert, und der Dialog schwächelt an entscheidenden Stellen.
Zudem hat die Nähe zum Verschwörermilieu eine bedenkliche Inhaltlosigkeit zur Folge. Die offenen Fragen spiegeln zwar die Paranoia, machen es aber unmöglich auf viele der Fragen einzugehen, die in der Folge gestriffen werden, etwa zu Terrorismusbekämpfung. Alles bleibt vage. Da opfert man die thematische Dichte der paranoiden Immersion. Und was ein möglicherweise krimineller BND und ein plötzliches Verschwinden von Bessie für einen Rattenschwanz nach sich ziehen müsste... Es bleibt abzuwarten, wie die nächste Folge daran anknüpfen wird. Bis hierhin fällt das Urteil trotz vieler starker Momente gemischt aus.