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Quentin Tarantino wird 60Wer die Hauptrolle in seinem letzten Film spielen soll

Lesezeit 4 Minuten
Großbritannien, London: Star-Regisseur und Oscar-Preisträger Quentin Tarantino kommt zur 73. Verleihung der British Academy Film Awardsin die Royal Albert Hall.

Star-Regisseur Quentin Tarantino feiert am Montag, dem 27. März, seinen 60. Geburtstag.

Quentin Tarantino hat zu seinem 60. Geburtstag seinen letzten Film angekündigt. Er soll „The Movie Critic“ heißen. 

„Ein Film wird dir nicht wehtun“, erklärt seine Mutter dem kleinen Quentin. Weshalb seine Eltern ihren Sohn einfach mitnehmen, wenn sie abends ins Kino gehen. Das Programm bestimmen sie und nehmen dabei keine Rücksicht auf pädagogische Empfehlungen. Und so sieht der kleine Quentin bereits im zarten Alter von acht Jahren, wie James Caan in „Der Pate“ im Kugelhagel stirbt, wie Barnabas Collins in „Das Schloss der Vampire“ in Zeitlupe von einem Holzpflock durchbohrt wird, oder ein Typ im Kriegsfilm „Catch-22“ von einem Flugzeugpropeller zerteilt wird. 

Am 27. März feiert Quentin Tarantino, der Filmemacher, der für mindestens zwei Generationen das Wort „cool“ buchstabiert hat, seinen 60. Geburtstag. Gleichzeitig konkretisieren sich die Pläne für seinen 10. (wenn man beide „Kill Bill“-Teile als ein Werk betrachtet) und angeblich letzten Film. Der soll „The Movie Critic“ heißen und den neuesten Gerüchten zufolge soll Cate Blanchett die Hauptrolle übernehmen. 

Angeblich soll der Film im Los Angeles der 1970er Jahre spielen. Also dort, wo der junge Tarantino seine prägenden Kinoerlebnisse hatte. Wo die Gewalt schier aus der Leinwand zu brechen schien und die Rätsel der Erwachsenenwelt durchs Dunkel des Saals flackerten. Mit einer Erinnerung an diese Zeit soll also seine Karriere als Regisseur enden. Die meisten großen Filmemacher, so Tarantino, hätten schreckliche Alterswerke produziert. Das wolle er vermeiden und sich rechtzeitig zurückziehen. 

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Quentin Tarantino hat seinen letzten Film angekündigt, er soll „The Movie Critic“ heißen

Der einzige Film, der ihn damals nachhaltig traumatisiert hätte, schreibt Quentin Tarantino in seiner jüngst erschienenen Filmliebhaberfibel „Cinema Speculation“, sei allerdings Walt Disneys „Bambi“ gewesen. Weniger wegen der Urangst des Kindes, seine Mutter zu verlieren, die hier aufs Eindrücklichste durchexerziert wird, als wegen der unerwarteten Wendung ins Tragische, die der zuvor so „drollige“ Film nimmt.

Wer angesichts dieser Kindheitserinnerungen glaubt, den wahren Grund für die späteren Gewaltexzesse in „Kill Bill“ oder „The Hateful Eight“ (oder in eigentlich allen Tarantino-Filmen) gefunden zu haben, oder wenigstens für die nicht ganz ernst gemeinte Selbsteinschätzung, dass für ihn „Grenzüberschreitungen gleichbedeutend mit Kunst sind“, der hat nicht genau gelesen.

Der kleine Tarantino beobachtet Erwachsene in ihrer natürlichen Umgebung

Das Kind ist weniger verstört als fasziniert: „In gewisser Weise war ich wie eine kindliche Version des Grizzly Man, der die Erwachsenen nachts in ihrer natürlichen Umgebung beobachten konnte.“ Nur, dass er den Aufenthalt im fremden Revier im Gegensatz zum tragisch verblendeten Helden aus Werner Herzogs Dokumentarfilm nicht mit dem Leben bezahlen muss.

Als Regisseur hat Tarantino wohl mehr von „Bambi“ gelernt als von „Hügel der blutigen Augen“, nämlich wie man seinem Publikum unvergessliche Erlebnisse schenken kann, in dem man es gekonnt in die Irre führt. Leser, die sich von „Cinema Speculation“ eine tour d’horizon über die 1970er Jahre als goldenes Zeitalter amerikanischen Filmschaffens erwarten, werden ebenfalls auf die falsche Fährte gelockt.

Doch, „Der weiße Hai“, „Beim Sterben ist jeder der Erste“, „Taxi Driver“, die bekannte Leuchttürme dieser freieren, mutigeren Kinozeit werden gebührend gewürdigt. Aber dies mit Tarantinos gewollt eigenwilligem Blick, der etwa dem krassen Rachedrama „Rolling Thunder“ („Der Mann mit der Stahlkralle“) den Vorzug vor Scorseses Meisterwerk gibt (das Drehbuch zu beiden Filmen stammt von Paul Schrader).

Je subjektiver die Sichtweise, desto verführerischer wirkt die Spekulation: Man glaubt, neben dem unbehüteten Tarantino in einer Vorstellung von „Rocky“ zu sitzen: Niemals zuvor, schreibt er, hätten die Zuschauer gejubelt, „wie sie jubelten, als Rock in der ersten Runde den Schlag landet, der Apollo Creed auf die Bretter schickt“. Das Buch ist mindestens ebenso sehr eine Liebeserklärung an (volle) Kinosäle wie an das Kino selbst.

Das beste Kapitel hat sich der Filmemacher für den Schluss aufgespart, genau genommen ist es nur eine überlange Fußnote. Darin schildert er seine Kinobesucher mit dem schwarzen Bummler Floyd, der Ende der 70er eine Zeit lang bei den Tarantinos wohnte: Floyd interessiert sich nicht sonderlich für den jungen Geek, aber er interessiert sich fürs Kino. Und der Geek lauscht und lernt und die überraschendste Wendung von „Cinema Speculation“ ist wohl, wie gut der Vielredner Tarantino zuzuhören vermag und wie viel er gerade von den Hollywoodträumen der Menschen versteht, von denen Hollywood lange nichts wissen wollte.

Quentin Tarantino: „Cinema Speculation“, a. d. Engl. von Stephan Kleiner, Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 26 Euro

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