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Neuer Mittelalter-RomanRebecca Gablé: Warum die Vergangenheit nicht als Metapher für die Gegenwart taugt

6 min
Portrait von Rebecca Gablé in einem Hauseingang in London. Sie lehnt auf einem Treppengeländer.

Im August erscheint der neue Roman „Rabenthron“ von Autorin Rebecca Gablé im Kölner Verlag Bastei Lübbe.

Nach mehr als 15 Jahren erweitert Schriftstellerin Rebecca Gablé mit „Rabenthron“ ihre Helmsby-Reihe um einen dritten Teil – eine Geschichte über Wikinger, Angelsachsen und die britische Königin Emma

„Hier kriege ich immer Herzklopfen“, sagt Rebecca Gablé, während sie auf einen eisernen Maskenhelm im ersten Stockwerk des British Museums in London zusteuert. Es ist nicht irgendein Helm. „Die Briten nennen das ihren Tutanchamun-Fund: der Sutton-Hoo-Helm“, erklärt Gablé beeindruckt. „Er ist wahrscheinlich genauso berühmt wie die ägyptische Maske.“ In England gilt das Relikt aus dem siebten Jahrhundert als eines der spektakulärsten und wichtigsten archäologischen Entdeckungen des Landes.

Für Bestsellerautorin Rebecca Gablé aus dem Rheinland hat es noch dazu eine persönliche Bedeutung: „Es symbolisiert für mich den Einstieg in meine Mittelalterleidenschaft.“ Verbunden mit ihrer Hingabe fürs Schreiben sind daraus seit 1997 im Zweijahresrhythmus an die 15 Historienromane entstanden. Ihren Durchbruch feierte sie mit „Das Lächeln der Fortuna“. Bekannt ist die 60-Jährige aber vor allem für ihre Warringham-Saga. 7,7 Millionen Bücher hat der Kölner Verlag Bastei Lübbe mit ihren Titeln verkauft.

Gesamtauflage von 7,7 Millionen Büchern

Eigentlich ist Gablé, die abwechselnd in Mönchengladbach und in Spanien wohnt, gelernte Bankkauffrau. Den Job habe sie nach vier Jahren zu Gunsten eines Literaturstudiums in Düsseldorf hingeschmissen. Der Schwerpunkt: Mediävistik, die Lehre vom Mittelalter. „Im ersten Semester hatte ich eine Einführung in die altenglische Sprache. Nach 45 Minuten war für mich alles klar, da habe ich mich so verliebt in diese Angelsachsen und ihre Geschichte.“ Die eiserne Kopfbedeckung, die nun in der Vitrine im British Museum die Blicke auf sich zieht, sei genau in dieser Zeit geschmiedet worden. Mehr als 1000 Jahre ist das her – eine gefühlte Ewigkeit. Trotzdem sagt Gablé: „Dieser Helm und ich, wir gehören irgendwie zusammen.“

Und doch hat sie sich bislang in ihren Romanen meist späteren Epochen gewidmet, dem Hochmittelalter und der normannischen Eroberung Englands etwa. Bis jetzt. Die Geschichte ihres neuen Romans „Rabenthron“, das am 18. August bei Lübbe erscheint, beginnt im Jahr 1013, als Angelsachsen und Wikinger um die Herrschaft auf der britischen Insel kämpften und schließlich mit Sven Gabelbart und später Knut dem Großen zwei dänische Könige an die Macht kamen.

Diese Herren spielen in Gablés neuestem Werk allerdings nur Nebenrollen. Die Könige hatten damals „eher kurze Halbwertszeiten“. Die Konstante an der Macht war eine Frau: Emma von der Normandie. „Manche Themen müssen eben länger reifen“, sagt die Schriftstellerin. „Jetzt hatte ich endlich das Gefühl, dass es Zeit ist für diese besondere Königin.“

Der neue Roman liegt auf einem Stein, es sind die alten Mauerreste des Oldminsters von Winchester.

Die Geschichte von Königin Emma und der Familie Helmsby erzählt Gablé auf 896 Seiten.

Gablé-typisch verwebt sie die historische Wirklichkeit der geschichtsträchtigen Figur in ihrem Buch auf üppigen 896 Seiten mit fiktiven Strängen. Die Geschicke von Königin Emma (984 bis 1052), ihren Kindern und Gatten, werden vom sympathischen Vater-Sohn-Gespann der frei erfundenen Helmsby-Familie begleitet – nicht ohne das gewisse Maß an Intrigen, Romanzen und blutigen Schlachten zu vernachlässigen.

„Emma“, sagt Gablé über ihre Protagonistin, „war ein Ausnahmemensch“. Sie war Ehefrau und Mutter von jeweils zwei Königen des Inselreichs. Bis heute gilt sie als einflussreiche Strippenzieherin der englischen Politik des Mittelalters. Dafür habe sie selbst gesorgt, indem sie einen Mönch beauftragt haben soll, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. „So behielt sie die Deutungshoheit über ihre Biografie“, schreibt Gablé im Nachwort ihres Romans.

Königin Emma war Ehefrau und Mutter von jeweils zwei Königen

„Wenn man bedenkt, wie wenig Bedeutung einer Frau im späten zehnten und frühen elften Jahrhundert zugeschrieben wurde, ist das schon bemerkenswert“, sagt sie. Selbst Königinnen und Prinzessinnen seien ausschließlich nach ihrer Funktion bewertet worden und nicht als eigenständige menschliche Wesen. „Die waren nur Bruthennen und Bindfäden, die Königreiche miteinander verbinden sollten, damit sich die Herrscher nicht gegenseitig bekriegen.“

Emma erging es als junges Mädchen ähnlich. Aus taktischen Gründen wurde die normannische Prinzessin mit dem 20 bis 30 Jahre älteren König Æthelred verheiratet – „ein schrecklicher, fürchterlicher Typ“, sagt Gablé mit Nachdruck. Doch Emma sei eben nicht daran zerbrochen, sondern zu einer der mächtigsten Frauen Westeuropas aufgestiegen.

Wenn die Autorin so ins Erzählen kommt, klingt das fast, als würde sie von einer alten Bekannten sprechen. Zwei Jahre lang habe sie sich in das Leben der einstigen Queen hineingedacht. Es scheint, als kenne sie jedes Detail, jede Verstrickung, jede Wendung der Geschichte.

Ich finde, dass man schnell an seine Grenzen stößt, wenn man versucht, die Vergangenheit als Metapher für die Gegenwart zu verwenden
Rebecca Gablé

Bei einer Führung durch die Kathedrale von Winchester, der Hauptstadt des alten Königreichs und Emmas zeitweisem Wohnsitz, geht sie nickend durch die hohen, kühlen Gänge. In Truhen werden hier normalerweise die Gebeine von Königin Emma, ihres zweiten Ehemanns Knut und anderer angelsächsischer Würdenträger aufbewahrt. Gerade sind die nahezu 1000 Jahre alten Knochen für einen DNA-Test im Labor. Dafür zieht ein anderes Ausstellungsstück Gablés Aufmerksamkeit auf sich. „Darf ich den anfassen?“, fragt sie ehrfürchtig, während sie vor einem großen Steinbrocken steht. Es sind die Überbleibsel der alten Kirchenmauern des Old Minsters von Winchester, dem Ort, an dem Emma der Geschichte nach begraben wurde. Leserinnen und Leser werden das alte Kloster auch in „Rabenthron“ wiederfinden, genauso wie viele andere reale Schauplätze in England und der Normandie.

Der Historie fühle sie sich verpflichtet, sagt Gablé. Mit der Gegenwart haben ihre Themen hingegen wenig zu tun. Doch gerade heute, wo der Feminismus attackiert wird und Frauen in Machtpositionen immer noch in der Unterzahl sind, scheint die Erzählung dennoch zeitgemäß, fast schon modern. Es sei aber keine bewusste Entscheidung gewesen, Emma vor diesem Hintergrund genau jetzt ins Spiel zu bringen, sagt Gablé. „Ich finde, dass man schnell an seine Grenzen stößt, wenn man versucht, die Vergangenheit als Metapher für die Gegenwart zu verwenden.“ Was in ihre Figuren hineininterpretiert und aus ihnen hinausgelesen wird, überlasse sie ihrem Publikum. „Das sind unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Erfahrungen, unterschiedliche Lebenswelten. Jeder reflektiert anders, für jeden ist das Lesen ein anderes Erlebnis.“

Rebecca Gablé vor der Kathedrale von Winchester

Rebecca Gablé vor der Kathedrale von Winchester – hier werden die Gebeine von Königin Emma und ihrem Mann, König Knut dem Großen, aufbewahrt.

Doch die Fakten – auch wenn die Überlieferungen aus der Epoche eher spärlich sind – die stehen eben fest. Beim Schreiben müsse sie da manchmal schlucken. Ohne zu viel zu verraten: Das brutale Schicksal einer Nebenfigur habe sie „schon mitgenommen. Das war sehr grenzwertig“, sagt Gablé. „Ich hätte es aber als verfälschend empfunden, den Teil der Geschichte auszusparen.“

Denn, wenn Historienroman draufstehe, müsse schließlich auch Historie drin sein. „Sonst ist es eine Mogelpackung“, sagt die Schriftstellerin. Die Erfolgs-Serie „Vikings“ etwa, die sich ebenfalls um die Wikingerzeit und die militärischen Auseinandersetzungen in England dreht, habe sie nach 15 Minuten ausgeschaltet. „Da wird Schindluder mit der Geschichte betrieben.“

Trotz selbst auferlegter Chronistenpflicht verfolge sie mit ihren Büchern jedoch in erster Linie eine eskapistische Intention. „Ich schreibe Romane, um zu unterhalten. Es ist meine Absicht, dass die Leser mal der Gegenwart entfliehen und in eine andere Welt hineintauchen können“, so Gablé.

Weniger bedrohlich als das aktuelle Weltgeschehen ist der Rabenthron-Kosmos rund um Königin Emma allerdings nicht. Krieg gibt es da ebenso wie hinterhältige Anschläge und politische Machtspiele. „Ich glaube, wir können uns da hereinfallen lassen, wie in eine Fantasy-Welt, weil es zeitlich so furchtbar weit weg ist. Die Geschichte bedroht uns nicht mehr, die Abenteuer haben keine Auswirkungen mehr auf unser Leben“, sagt die Autorin.

Außer, man könnte in der Zeit wandeln. Einer Reise ins 11. Jahrhundert würde Gablé trotz Tyrannei und Barbarei sofort zustimmen. Nur zwei Bedingungen habe sie: „Ich wäre gerne vor dem Essen wieder zurück.“ Auf die mittelalterliche Küche könne sie gut verzichten. Außerdem: In die Zeitmaschine würde sie gerne als Mann steigen. Eine privilegierte Königin wie Emma gebe es schließlich nur einmal und „als Mann hat man damals einfach mehr zu sehen bekommen“.


Die Autorin reiste auf Einladung des Verlags Bastei Lübbe mit Rebecca Gablé nach England.

Rebecca Gablé: „Rabenthron“, Lübbe, 896 Seiten, 30 Euro. E-Book: 24,99 Euro.