Rautenstrauch-Joest-MuseumWir brauchen eine neue Utopie der Liebe

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Eine Wand mit Plakaten, Zeichnungen und Sprüchen in der Ausstellung des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums

„Reflexionswand“ zur postkolonialen Liebe in der Kölner Ausstellung

Unser romantisches Liebesideal ist verlogen, ausbeuterisch und tendenziell rassistisch. Sagt unter anderem die Gender-Theorie. Im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum suchen jetzt queere und migrantische Künstler nach neuen, postkolonialen Utopien der Liebe.

Vor einigen Wochen konnte man in der „Süddeutschen Zeitung“ einen Artikel lesen, dessen Autor den großen deutschen Museen in leicht süffisantem Ton nachwies, dass sie sich in Stadtteilzentren verwandeln müssten, sollten sie all ihre Versprechen für mehr Vielfalt und Inklusion tatsächlich wahr machen wollen. Dort gebe es nämlich bereits all die schönen niederschwelligen Mitmach-, Werkstatt- und Diskussionsformate, von denen die unter Rechtfertigungsdruck geratenen Museen immer nur reden würden. Alternativ käme als Vorbild auch die letzte Documenta mit ihrem Denken in kuratorischen Kollektiven infrage.

Zunächst war eine klassische Ausstellung zu Liebe und Kolonialismus geplant

Wäre das eine oder das andere denn so schlimm? Die Probe aufs Exempel lässt sich jetzt im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum machen, das unter seiner Direktorin Nanette Snoep regelmäßig den Pfad klassischer Ausstellungen verlässt. So konsequent wie mit der „Love?“-Schau hat sich das RJM gleichwohl noch nicht aufs Gebiet der Stadtteilzentren vorgewagt. „Ein neues Abenteuer“, nannte Snoep die Ausstellung zur Eröffnung, das Ergebnis eines langen Weges, der, nach dreijähriger Vorbereitung, vor wenigen Monaten eine abrupte Wendung genommen habe.

Zunächst war wohl eine beinahe klassische Ausstellung zum Thema Liebe und Kolonialismus geplant, mit ethnologischen Objekten aus der eigenen Sammlung und einer kritischen Befragung des westeuropäischen, seit jeher unter Verlogenheitsverdacht stehenden Liebeskonzepts. Aber dann wurde doch „alles anders“, so Snoep: statt Kuratoren ein vielköpfiges Kuratorenkollektiv und statt eines durchgängigen Ausstellungsparcours eine „Küche“ mit Snacks, Getränken, Sitzsackhalbkreis und Werkstatt sowie ein auf Zuwachs eingerichteter Schauraum, der zu Beginn von drei Künstlern „bespielt“ wird und außerdem Podcast-Stationen und eine Freihandbibliothek enthält.

Wir wollen das Museum queeren
Nanette Snoep, Direktorin des RJM

Die wichtigste Neuerung ist gleichwohl die Einbindung queerer und migrantischer Gemeinschaften in den Produktionsprozess der Ausstellung. Man habe einen Raum für marginalisierte Stimmen schaffen wollen, so Snoep, einen Gegenentwurf zur Museumsnorm, und tatsächlich ist das Kuratorenkollektiv so divers besetzt, dass es in dieser Hinsicht zum bundesweiten Vorbild taugt. „Wir wollen das Museum queeren“, betonte Snoep, die sich nach Möglichkeit immer auch Gastkuratoren aus den Herkunftsländern für ihre Ausstellungen ins Haus holt.

Die „Love?“-Ausstellung, die keine ist, gleicht einem doppelten Projekt. Sie ist eine Einladung an jenen Teil der Zivilgesellschaft, die in ethnologischen Museen wie dem Kölner RJM vor allem Trophäensammlungen der europäischen Kolonialgeschichte und eine Nobilitierung des alltäglichen Rassismus sieht. Und zugleich soll sie die Schwellenängste der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den queeren und migrantischen Diskursen abbauen helfen. Einen „Ort des Voneinander-Lernens“ nannte Timm Therre vom coproduzierenden Kölner Amt für Integration und Vielfalt die Liebes-Werkstatt.

Ein langer Teppich mit Liedzeilen und Symbolen, mit dem die Künstlerin Donja Nasseri den familiären Druck auf heiratsfähige Frauen thematisiert.

Der „Hochzeitsteppich“ von Donja Nasseri in der Kölner Ausstellung

Inhaltlich geht es in der Werkstatt um nicht weniger als neue Utopien der Liebe – nachdem das romantische Liebesideal in unzähligen Seminarräumen und Ehebetten entzaubert wurde. Eigentlich ist das monogame, heterosexuelle Eheding mit Kindern ja schon lange mausetot, entlarvt als Fantasie, die vor allem den Männern nützt und die spätkapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse im Privaten reproduziert – was nach dem Sturm der Hormone halt so übrig bleibt. Andererseits ist das westeuropäische Liebesphantasma eben auch hartnäckig. Vielleicht können es ja gerade diejenigen überwinden helfen, die sich von ihm qua Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung ausgegrenzt und ausgeschlossen fühlen?

Barbara Prézeau Stephenson führt den „Cinderella-Komplex“ vor

In der Ausstellung, die nicht so heißt, fällt zunächst die Reflexionswand ins Auge. Sie enthält viel Schlaues oder auch Verkürztes zur Unmöglichkeit der Liebe im kolonialen Kontext und dazu Skizzen eines postkolonialen Liebeskonzepts, das im Geliebten nicht das Andere oder Fremde, sondern ein gleichberechtigtes Gegenüber sieht. Nebenan flimmert ein Video, in dem Barbara Prézeau Stephenson den „Cinderella-Komplex“ am eigenen Leib vorführt, indem sie sich wider besseres Wissen buchstäblich in die Fantasie einer Traumhochzeit hüllt. Donja Nasseri führt anhand eines Hochzeitsteppichs vor, welcher familiärer Druck auf Frauen lastet, sich zu binden und Enkel zu produzieren, und Christoph Hamaide hat sich einige Phallussymbole aus der RJM-Sammlung vorgenommen. Gegen diese Feier männlicher Lust und Überlegenheit setzt er endlos wiederholte Bilder von maskierten Frauen, die maskierten Männern den Hintern versohlen, und hinterlegt sie mit Signalfarben der Gay Community.

Sowohl die Ausstellung als auch das Kuratorenkollektiv sollen noch wachsen, der Nachschub speist sich aus einem umfänglichen Begleitprogramm. In Geiste dieser Idee ist der Eintritt im Dezember frei, danach muss zahlen, wer das Wachsen der Utopien miterleben möchte.

„Love? – Eine Werkstatt“, Rautenstrauch-Joest-Museum, Cäcilienstr. 29-33, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 10. April 2023

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