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„Kinderfilme zu drehen, ist das Schwerste!“

Lesezeit 5 Minuten
Szene aus „Grüße vom Mars“

Szene aus „Grüße vom Mars“

Mit „Grüße vom Mars“ glückte Regisseurin Sarah Winkenstette ein einfühlsamer und obendrein hinreißend komischer Kinderfilm.

Wie einst Harry Potter hat sich der zehnjährige Tom in einem Schrank eingerichtet. Anders aber als der berühmte Zauberschüler aus dem Ligusterweg Nr. 4 zieht sich Tom freiwillig in sein spärlich beleuchtetes Refugium zurück, das er mit Erinnerungsstücken, Fotografien und Notizen voller komplexer Berechnungen halbwegs wohnlich ausstaffiert hat. „Alles ist still“, sagt er, „man kann sich viel besser konzentrieren. Auf der Erde ist es für mich meistens viel zu laut.“

„Auf der Erde“, das heißt für Tom, der einmal als Astronaut zum Mars fliegen will, daheim bei seiner Familie in Hamburg, bei Mutter Vera und seinen älteren Geschwistern Nina und Elmar. In seinem Basiscamp hat alles eine feste Ordnung und Routine, und beides braucht Tom, um sicher durchs Leben zu finden. Dass seine Mutter eines Tages vier Minuten vor dem zeitig exakt festgelegten Abendessen an den Schrank klopft, um etwas mit ihm zu besprechen, verheißt für Tom nichts Gutes: „Besprechen klingt nach Problemen, nach Planänderung. Ich mag nicht, wenn Sachen anders laufen als geplant. In dreieinhalb Minuten schafft man 490 Wörter, wenn man schnell spricht…“

Mit der Planänderung beginnt für Tom eine Expedition ins Unbekannte. Was für andere Kids in seinem Alter eher ein willkommenes Abenteuer um die Ecke wäre, erscheint ihm als unlösbare, weil unkalkulierbare Aufgabe. Und doch wird er seinen ganzen Mut zusammenkratzen, weit über seinen Schatten hinausspringen und noch viel mehr entdecken als „nur“ einen neuen Kometen.

Warmherzige Wohlfühlkomödie für die ganze Familie

Mit ihrem zweiten Kinofilm „Grüße vom Mars“, der jetzt in die Kinos kommt, glückte Regisseurin Sarah Winkenstette etwas ganz Wunderbares: eine warmherzige, einfühlsam erzählte Wohlfühlkomödie nicht nur für Kinder, sondern für die ganze Familie, mal dramatisch, oft hinreißend komisch, immer leichtfüßig, getragen von tiefer Zuneigung zu den Figuren.

Dabei ist „Grüße vom Mars“ im Kern ein durchaus ernsthaftes Drama um einen Jungen, der es seiner Familie nach dem Verlust seines früh verstorbenen Vaters nicht leicht macht. Seine autistischen Störungen lassen Tom Geräusche und Gespräche als viel zu laut wahrnehmen, zudem fürchtet er alles, was rot ist, und fordert beharrlich das Einhalten fester Regeln ein. Als seine Mutter für einen neuen Job für vier Wochen nach China reisen muss, schickt sie Nina, Elmar und Tom schweren Herzens zu Oma und Opa ins beschauliche Dörfchen Lunau. Tom steht kurz vor einer Panikattacke, als sie ihm, dem leidenschaftlichen Weltraumerforscher, ein Logbuch für Eintragungen über seine anstehende „Probe-Mars-Mission“ schenkt: „Wenn du Oma und Opa schaffst“, sagt sie, „dann schaffst du es auch zum Mars!“ Und tatsächlich: „Planet Lunau“ erweist sich als eine neue Welt voller Möglichkeiten und Chancen.

„Grüße vom Mars“ erzählt eine Familiengeschichte, in die sanft und behutsam die Erzählung eines eigenwilligen Außenseiters eingebettet ist. So ist Toms mitunter extremes Verhalten oft Anlass für höchst amüsante Momente, nie aber lacht man über ihn, freut und leidet vielmehr mit dem ernsten, wissbegierigen Jungen. Toms Einschränkung wollte Sarah Winkenstette zunächst gar nicht ausdrücklich thematisieren: „Bei einem reinen Erwachsenenfilm hätte ich das vielleicht durchgezogen, Kinder aber wollen wissen, was los da ist mit diesem Jungen in seinem seltsamen Raumanzug. Ohnehin begegnen viele in ihrem Alltag Gleichaltrigen mit Autismus-Spektrum-Störung, die das Ticken einer Uhr, das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos oder ein Gespräch gleich laut wahrnehmen, ohne filtern zu können. Das ist auditiv wie auch visuell extrem, entsprechend haben wir versucht, dies mit den filmischen Mitteln, mit Kamera und Sound umzusetzen.“

Regisseurin Sarah Winkenstette

Regisseurin Sarah Winkenstette

Bereits während ihrer Ausbildung an der RTL-Journalistenschule sowie ihres Studiums an der Kunsthochschule für Medien Köln entwickelte Sarah Winkenstette ihr Interesse an Kinderformaten. In ihrem temperamentvollen Kurzfilm „Gekidnapped“ (2011) entführt ein selbstbewusstes Mädchen auf der Suche nach Liebe und Zuneigung einen Mitschüler, um von ihm einen Kuss zu ergattern. In ihrem Kinodebüt „Zu weit weg“ (2019) muss das Heimatdorf des zwölfjährigen Ben dem Braunkohletagebau zwischen nördlicher Eifel und niederrheinischer Bucht weichen. Wobei die landschaftlichen Umwälzungen sinnbildhaft fürs Bens Entwurzelung stehen, bevor sich seine Wahrnehmungen neu ordnen und neue Sichtweisen ermöglichen.

Darum geht es auch in „Grüße vom Mars“: um die Neujustierung von Sichtweisen, von Nähe und Ferne, Ängste und Mut, des Vertrauens in die eigenen Möglichkeiten. Die Romanvorlage entwickelte Sarah Winkenstette mit den Autoren Thomas Möller und Sebastian Grusnick weiter, indem sie die Charaktere von Toms sympathischen Geschwistern vertiefte und auch den Blick auf die liebenswürdig-skurrilen Großeltern schärfte. So zärtlich wie auf Tom, blickt sie auch auf das gealterte Paar, das sich in dem Maße öffnet, wie es seine Enkelkinder unterstützt und ermutigt. Bereits früh fällt ein zentraler Satz: „Du kannst alles schaffen, was du willst“, sagt Toms Mutter einmal zu ihrem Sohn. Winkenstette: „Das hat tatsächlich jemand zu mir gesagt, als ich Kind war, und daran glaube ich bis heute. Bei allen Problemen, die der Film beleuchtet, geht es deshalb ja immer auch immer um Empowerment.“

Eindrücklich zeigt „Grüße vom Mars“, mit wie viel Herz und Einfühlungsvermögen Sarah Winkenstette Kinderfilmregisseurin ist. „Das bin ich sehr gerne“, bestätigt sie, „ich würde sogar behaupten: Wer Kinderfilme, vor allem Komödien für Kinder inszenieren kann, der kann eigentlich alles. Kinderfilme zu drehen, das ist mit das Schwerste. Was mich allenfalls stört, ist die oft abwertende Sicht auf den Kinderfilm – ähnlich wie Robert Habeck in der Politik häufig als Kinderbuchautor schlecht gemacht wurde. Einen erwachsenen Schauspieler feuert man beim Dreh wie beim Marathonlauf an, neben einem schlechten läuft man eher nebenher, einen Kinderdarsteller aber muss man regelrecht durch den Film tragen. Das ist anstrengend, ist es aber allemal wert – und man wird durch eine Leistung wie die von Theo Kretschmer als Tom belohnt.“


„Grüße vom Mars“. D 2024. Ab 8.5. in den Kinos Filmpalast, Cinedom, Metropolis, Cinenova.