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Verstorbener Kölner HistorikerRudolf Lill eckte mit einem Schmunzeln an

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Rudolf Lill

  1. Rudolf Lill war ein Kölner. Das merkte man an seinem Klang, an seiner Sprachmelodie.
  2. Der Italien-Historiker hatte ein kritisch-historisches Interesse. Und besaß, anders als viele seiner Kolleginnen und Kollegen, die Fähigkeit zur Ironie.
  3. Am 18. Juli verstarb der große kritische, europäische Historiker aus Köln.

Rudolf Lill war ein Kölner, und das konnte man hören. In seinen letzten Lebensjahren klang er immer mehr wie Konrad Adenauer. Und das tadellose Italienisch dieses deutschen Italien-Historikers hatte immer eine sanft singende rheinische Sprachmelodie. Das brachte zum Ausdruck, wofür Lill stand und bis ins hohe Alter lebte: ein anteilnehmendes, kritisch-historisches Interesse für europäische Geschichte und für das, was Europa historisch zusammenhält. Das konnte so weit gehen, dass er ein abendliches Telefonat mit dem Hinweis beendete, jetzt müsse er aber die italienischen Fernsehnachrichten sehen.

Für den 1934 in Köln geborenen Lill waren das europäische Projekt genauso wie seine katholische Prägung nicht irgendetwas, sondern Aufträge. Die kritische politische Geschichte Europas im 19. und 20. Jahrhundert sowie die Geschichte der katholischen Kirche machte er zu Lebensaufgaben. Damit eckte er immer wieder und insbesondere seit 1990 kritisch an, als aus der Bonner die Berliner Republik wurde und sich die politischen Koordinaten deutlich von der rheinischen Achse nach Osten verschoben.

Fähigkeit zur Ironie

Sowohl für die Zustände in der autoritären Papstkirche eines Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. wie für die Zustände im organisierten Europa hatte Lill manchmal nur ein – allerdings schmunzelnd vorgetragenes – „Porca miseria!“ übrig. Das kennzeichnete ihn im Unterschied zu den meisten seiner historischen Zunftkolleginnen und -kollegen: Ironiefähigkeit.

Lill hatte in Köln Geschichte studiert, unter anderem bei dem so berühmten wie aufgrund seiner NS-Verstrickung umstrittenen Neuzeithistoriker Theodor Schieder. In den 60er Jahren verbrachte Lill eine ihn lebenslang prägende Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom. Dort entwickelte er sich zu einem der führenden deutschen Italien-, Katholizismus- und kritischen Papsthistoriker. Lill war nicht nur ein Zeitzeuge, sondern zugleich ein überzeugter Befürworter des II. Vatikanischen Konzils und der umfangreichen Reformbestrebungen von Papst Johannes XXIII.

Grundlagenwerk verfasst

Lills zuerst 1980 erschienene und oft wiederaufgelegte Geschichte Italiens in der Neuzeit gehört in der Verbindung von Politik-, Kultur-, Christentums- und Mentalitätsgeschichte zu den Grundlagenwerken der modernen deutschen Italiengeschichtsschreibung. Nach Professuren in Köln und Passau übernahm Lill 1983 den Geschichts-Lehrstuhl an der Universität Karlsruhe (TH), der durch den katholisch-republikanischen, von den Nazis abgesetzten Neuzeithistoriker Franz Schnabel einen Ruf hatte. Lill gründete und leitete in Karlsruhe die regionalzeitgeschichtliche Forschungsstelle Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten, die sich neben der Erforschung der NS-Gegner im Kontext auch der historisch-politischen Bildung und Gedächtnisarbeit widmete. Das war in den 90er-Jahren eine echte Pionierleistung, in der sich einmal mehr Lills Stärke einer Verbindung von Regional- und Europageschichte längs des Rheins bewährte.

Von 1993 bis 1996 leitete Lill als Generalsekretär das deutsch-italienische Zentrum Villa Vigoni am Comer See. Gastprofessoren führten ihn unter anderem nach Rom, Florenz und Pavia. Von 1993 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 forschte und lehrte Lill dann wieder in Karlsruhe. Vor allem schrieb er. Er veröffentlichte Grundlagenstudien zur Zeitgeschichte Südtirols in der Zeit des Nationalismus sowie zur bedenklichen Ausrichtung der katholischen Kirche auf die Päpste und ihre Macht seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Unser Autor

Rolf-Ulrich Kunze, geboren 1968, ist apl. Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Kunze ist auch Experte für niederländische Geschichte. Mit dem verstorbenen Rudolf Lill war er befreundet. (jf)

Lill war nach seiner Emeritierung Ansprechpartner des Deutschlandfunks für Fragen der italienischen und der katholischen Kirchengeschichte. Den amtierenden Papst Franziskus schätzte er: als demütig und zugleich verantwortungsbewusst historisch aufgeklärt.

Rudolf Lill, der große kritische, europäische Historiker aus Köln, ist am 18. Juli gestorben.