Salvador Dalí in RolandseckBlanke Geilheit, würdevoll gealtert

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  • Salvador Dalí gehörte zu den schillerndsten Figuren der Kunstgeschichte, seine surrealen Bilder wurden millionenfach auf Poster gedruckt.
  • Jetzt zeigt das Arp Museum Bahnhof Rolandseck seine Gemälde neben den wie Einzeller geformten Skulpturen von Hans Arp. Mitunter sind die Ähnlichkeiten verblüffend.
  • Warum sich die Ausstellung lohnt und warum man diese Dalí-Werke so schnell nicht wieder in Deutschland sehen wird.

Köln – Träume sind was Verrücktes. An einem heißen Sommernachmittag sieht man eine Biene einen Granatapfel umkreisen und über Nacht wird daraus ein Tiger, der sich auf eine nackte Frau stürzt, während er aus dem Maul eines Fisches springt, den wiederum ein Granatapfel gebärt. Farblich geht diese Verwandlung restlos auf, und auch eine Traumdeutung ist rasch zur Hand: Die rotfleischige Frucht steht für die weibliche Vulva, das Raubtier für den Tiger im Mann und die sich räkelnde schwebende Nackte für das ewige Begehren – oder einfach für sich selbst.

Salvador Dalí, der Schöpfer dieses Traumbildes, kannte vor solchen Banalitäten keine Furcht. Warum auch? Er war ein Popstar vor Erfindung dieses Wortes und ein König der surrealen Malerei. Seine postertaugliche Meisterschaft lässt einen bis heute vergessen, wie oft er sein Publikum lediglich mit erotischen Fantasien behelligte. Eines seiner Gemälde heißt „Der Große Masturbator“ – allzu viele Rätsel gibt uns der surreale Dalí heute nicht mehr auf. Und doch: Selten ist blanke Geilheit derart würdevoll gealtert. Jetzt springt der Dalí-Tiger im Hans Arp Museum Bahnhof Rolandseck – an der Seite mehrerer abstrakter Objekte des Hauspatrons. Es ist laut Museumsdirektor Oliver Kornhoff das erste Mal, dass der spanische Surrealist und der deutsch-französische Erfinder der biomorphen, also organischen Formen nachempfundenen Skulptur, in einer größeren Doppelschau vereint werden. Dabei lernten sie sich früh in der Pariser Surrealistenszene der 1920er Jahre kennen, und Dalí pries den älteren Arp als Schöpfer langer Schnurrbärte – höchstes Lob vom Träger ikonischer Bartspitzen. Künstlerisch gingen die beiden allerdings getrennte Wege: Arp suchte sein Heil in der Abstraktion, Dalí verstand den Surrealismus als Fortsetzung der akademischen Malerei mit anderen Inhalten.

Jetzt sucht das Arp Museum nach stilistischen Gemeinsamkeiten der beiden Künstler – und wird vor allem beim frühen Dalí fündig. Der kam als junger Mann in die wilde Pariser Surrealistenszene, kurz bevor deren Begründer André Breton mit alten Gewissheiten brach. Breton hatte zunächst in der automatischen Schrift den Königsweg ins Unbewusste gesehen, später gab er einer Malerei den Vorzug, die sich mit Hilfe des Traums an den Wächtern der Vernunft vorbei zu schmuggeln versucht. Für den jungen Dalí scheint das der nötige Anreiz gewesen zu sein. Mitte der 1920er Jahre experimentierte er noch etwas unschlüssig mit abstrakten, an die Objekte Arps erinnernden Formen und die leer gefegten Landschaften Giorgio de Chiricos. Jetzt wurde er zu seinem eigenen Herr.

Auch Hans Arps abstrakte Handschmeichler haben ihren Ursprung in der Wirklichkeit

Trotzdem sind die Gegenüberstellungen zwischen Dalís surrealistischen Gemälden und Arps biomorphen Gestalten aufschlussreich – zumal Dalí seinen frühen Einfluss niemals ganz „überwand“ und auch später auf seinen Bildern immer wieder Platz für Arp’sche Einzeller oder Knochen fand. Umgekehrt gab Arp mit teilweise absurd detaillierten Werktiteln („Blauer, auf dem Kopf stehender Schuh mit zwei Absätzen unter einer schwarzen Wölbung“) gerne zu erkennen, dass auch seine abstrakten Handschmeichler ihren Ursprung in der Wirklichkeit haben. Hier wie da ging es um Metamorphosen, da müssen die Vergleiche nicht einmal in die Tiefe gehen. Im Bahnhof Rolandseck hängt Arps blauer Schuh mit schwarzer Wölbung neben zwei Dalí-Gemälden mit hübsch drapierten Telefonhörern. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Und dennoch könnte man denken: Kein Anschluss unter dieser Nummer.

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Dank der Engführung auf das Verhältnis von Arp und Dalí lässt sich die Konzentration auf einige wenige ikonische und etliche eher zweitrangige Dalí-Gemälde leichter rechtfertigen als in einer Überblicksschau. Wie alle modernen Klassiker reisen auch Dalís Arbeiten nicht gerne, es grenzt an ein Wunder, dass Kornhoff so viele Museen überzeugen konnte, etwas für die Ausstellung auszuleihen. Außer der Reihe kam Dalís spätes, angeblich mit einem Tintenfisch gemaltes Beethoven-Porträt nach Remagen; der Anlass sind die Beethoven-Jubiläumsfeiern im benachbarten Bonn.

Als Ergänzung (und nicht als Trost) zeigt das Museum zudem die Kölner Dalí-Sammlung von Heinz Joachim Kummer: Mit mehr Fotografien und Materialien, als man zählen kann, wird in ihr der Popstar und auch die Skandalnudel Dalí lebendig. Am Künstler scheiden sich seit langem die Geister, und doch kommt man an ihm nicht vorbei, wenn man die Geschichte des Surrealismus und das populäre Unbewusste verstehen will.

„Salvador Dalí und Hans Arp. Die Geburt der Erinnerung“, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen, Di.-So. 11-18 Uhr, bis 16. August. Katalog: 65 Euro

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