Schauspiel KölnVergesst die Bühne, gespielt wird heute in der Behindertentoilette

Lesezeit 4 Minuten
Lola Klamroth

Lola Klamroth

  • Eigentlich wollte Stefan Bachmann die Erstaufführung von Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ im März herausbringen.
  • Jetzt hat der Kölner Schauspiel-Chef seine Inszenierung Corona-gerecht entschlackt und als Parcours inszeniert.
  • Die Besucher werden hinter die Kulissen des Mülheimer Depots geführt. Christian Bos berichtet von seiner Irrfahrt.

Köln – „Der Keim wurde irgendwann mal eingeschleppt, und jetzt bleibt er uns“, heißt es in Elfriede Jelineks jüngster Spielvorlage „Schwarzwasser“. Im Februar hatte Robert Borgmann das Stück am Wiener Burgtheater zur Uraufführung gebracht, im März sollte Stefan Bachmann die deutsche Erstaufführung in Köln besorgen. Doch dann wurde ein anderer Krankheitserreger eingeschleppt, die fertige Inszenierung musste abgesagt werden.

Das Virus ist uns geblieben — und Bachmann hat seiner Bühnenarbeit eine neue, nämlich virale Form gegeben. Der vielzeilige Jelinek-Code verbreitet sich nun über das gesamte Mülheimer Depot, er hat sich im Heizungsraum, im Kulissenlager und in den Schauspieler-Garderoben eingenistet, auf den Außenwänden als bunte Graffiti verewigt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Aufgeteilt in sieben Gruppen à sechs Personen wird das Publikum von stummen Führern durch das Labyrinth hinter den Bühnen geleitet. Das ist mit Wartezeiten verbunden, als logistische Aufgabe ist die Produktion der Dechiffrierleistung der Zuschauenden ebenbürtig; dafür gewähren die Zwischenwege intime Einblicke ins Zusammenspiel der Gewerke, und jede Szene erscheint als kostbares Geschenk.

Der Keim ist nicht das Virus

Der Keim, von den Jelinek spricht, ist nicht das Virus, das die letzten Monate in einen monothematischen Alptraum verwandelt hat, sondern die populistische Erregungspolitik der Rechtsextremen, die ihnen in Österreich Regierungsverantwortung eingebracht hatte, bevor die Ibiza-Affäre zum Bruch der Koalition aus ÖVP und FPÖ führte. Um ebendiese Affäre kreist der Jelinek’sche Text, sie ist noch keine 16 Monate alt, aber schon vom Corona-Gedächtnisschwund verschluckt.

Deshalb zur Erinnerung: Am 17. Mai 2019 hatten deutsche Medien Teile einer heimlich getätigten Videoaufzeichnung veröffentlicht, die den damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und den Nationalratsabgeordneten Johann Gudenus in einer höchst peinlichen Performance in einer Villa auf Ibiza zeigt. Die beiden FPÖ-Männer spielen einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte ihre Version der Machtergreifung vor. Gudenus posiert mit der Glock-Pistole im Anschlag, Strache brüstet sich als „Red Bull Brother from Austria“.

Pappkameraden im Schwarzlicht

Kein Stück könnte entlarvender sein als diese durchgeknallte Vorstellung. Bachmann trägt dem Rechnung, in dem er sein Publikum zu bassbollernden Discoklängen an einer Nachstellung des Ibiza-Videos im Big-Brother-Container vorbeiführt, mit Strache und Gudenus als Pappkameraden im Schwarzlicht.

Doch selbstredend hat die Literaturnobelpreisträgerin das entblößende Geschehen mit allerlei geistesgeschichtlichen Querverweisen verwoben, am prominentesten davon Euripides’ Orgienstück „Die Bakchen“. Nicht um die Banalität der bösartigen Demokratie-Ausverkäufer mit Bedeutung aufzuladen, sondern um deren Wurstigkeit umso krasser auszustellen. Der ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz ist in dieser Analogie Thebens Herrscher Pentheus, der den Rasenden beizukommen versucht, in dem er sich unter sie begibt. Und prompt von ihnen zerrissen wird.

Red-Bull-Rausch im Lastenaufzug

Sehr schön kann man die traurigen Überbleibsel des dionysischen Rausches in Nicola Gründels Monolog im Lastenaufzug beobachten: Der Boden ist mit zerdrückten Red-Bull-Dosen bedeckt, Gründel wälzt sich in den stinkenden Lachen des Gesöffs und wettert gegen die Jugend, die das Klima schützen will, das die Rechten so erfolgreich vergiftet haben.

Nicht weniger erregt zwängt sich Lola Klamroth in der Grotte durch eine Art Gummizellenwand, im Arm einen kleinen Fernseher, auf dessen Bildschirm Vera Flick ihren Text mit lustvollen Brause-Rülpsern rhythmisiert, stürzt sich Tom Radisch unter der Zuschauertribüne mit dem Gesicht voran in einen aufblasbaren Pool, raunt Peter Knaack Allmachtsfantasien über die Autobahnen durch ein Heizungsrohr.

Ein sehr guter Abend

Den Anfang macht — für die Gruppe des Rezensenten — Jörg Ratjen, der als Wiedergänger der Autorin aus der barrierefreien Toilette heraus monologisiert. Schauspieler oder Schauspielerinnen mit der charakteristischen Jelinek-Frisur auszustaffieren gehört seit Castorfs Inszenierung von „Raststätte“ zur Bühnentradition. Aber es hat eben auch immer wieder Sinn, weil Jelinek die eigene Rolle als Virologin des Ungeistes gern sarkastisch kommentiert: „Ich hab alles mindestens schon einmal gesagt“, bekennt der perückte Ratjen im Putzlicht des Abortes, „aber öfter geht bei mir auch.“ Nur zu! Ein sehr guter Abend ist das geworden, bedrückend, berückend und befreiend.

Für die Vorstellungen am 8. und 14. Oktober gibt es noch Karten.

KStA abonnieren