Schauspielerin Julianne Moore im Interview„Ich würde nie ohne Grund meine Brüste zeigen“

Lesezeit 18 Minuten
Julianne Moore hält endlich den Oscar in den Händen. In der Nacht zu Montag wurde sie als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.

Julianne Moore hält endlich den Oscar in den Händen. In der Nacht zu Montag wurde sie als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.

Fünf Mal war Julianne Moore für den Oscar nominiert. Jetzt hat sie ihn endlich bekommen, für ihre Hauptrolle in dem Drama „Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“. Sie verkörpert dort eine Frau, die an Alzheimer erkrankt ist und widersteht dabei der Versuchung, ihr Spiel mit allzu viel Sentimentalitäten anzureichern. Kurz vor der Oscar-Verleihung haben wir Julianne Moore, 54, im Londoner Soho-Hotel zum Interview getroffen.

Die US-amerikanische Schauspielerin ist trotz des ganzen Stresses vor der Preisverleihung bestens aufgelegt. Sie lacht gerne und laut. Und wirft, bevor sie antwortet, manchmal ihre rote Haarmähne in den Nacken. Sie trägt ein froschgrünes, wallendes Kleid, dazu mindestens zehn Zentimeter hohe, schwarze Pumps, an den Fingern mehrere Ringe. Auf einem ist der Name ihres siebzehnjährigen Sohns Cal eingraviert, auf einem anderen der ihrer zwölfjährigen Tochter. Bevor es losgeht, nimmt Julianne Moore einen großen Schluck grünen Tee, als wollte sie sich für das Interview stärken.

Mrs. Moore, Sie haben einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame, diverse Golden Globes, Emmys, Independent Spirit Awards – und bekommen diesmal so gut wie sicher den Oscar …

… nun hören Sie schon auf, das macht mich ganz verlegen. Natürlich freue ich mich über solche Auszeichnungen. Und auf einige davon bin ich sogar stolz. Aber ein Preis – und sei es der Oscar – ist doch nur das Sahnehäubchen. Als Schauspielerin empfinde ich mich nur dann als wirklich erfolgreich, wenn ich das Gefühl habe, eine Rolle ganz und gar ausgefüllt zu haben …

… was Ihnen bei Alice wirklich geglückt ist.

Alice zu spielen, das war für mich viel mehr als nur ein Job. Ich habe mich bei dieser Rolle sehr in die Figur und ihr Schicksal versenkt. Und das mit großer Leidenschaft.

Begleitet Sie eine so intensive Rolle auch noch nach dem Ende der Dreharbeiten?

Ja, aber das geht mir immer so, wenn ich eine Figur darstelle, die einen Bezug zur Realität hat, die für mich bedeutsam ist, und von der ich etwas gelernt habe. Dann wirkt sie viel länger in meinem Bewusstsein nach, weit über den Dreh hinaus.

„Das hat mich sehr erschüttert“

Was haben Sie denn von Alice gelernt?

Wie würdevoll man auch mit so einer schrecklichen Krankheit umgehen kann. Und wie dankbar man sein sollte, wenn man gesund ist und die Kraft hat, sein Leben jeden Tag selbst zu gestalten. Vielleicht wissen Sie ja, dass einer der Regisseure von „Still Alice“, nämlich Richard Glatzer, an der Nervenkrankheit ALS leidet. Als ich begann, mit Richard Glatzer und Wash Westmoreland zusammenzuarbeiten, konnte Richard sich noch artikulieren. Doch im Laufe der Dreharbeiten hat er alle Körperfunktionen von seinem Bauch aufwärts verloren. Und somit auch seine Stimme. Um zu kommunizieren hat er ein iPad benutzt. Das hat mich natürlich noch zusätzlich sehr berührt.

Als Vorlage für den Film diente das gleichnamige Buch der Neurowissenschaftlerin Lisa Genova, die in der Figur von Alice authentische Frauenschicksale verwoben hat.

Und auch das hat mich sehr erschüttert. Zur Vorbereitung habe ich mit einigen Alzheimer-Patienten gesprochen. Die meisten von ihnen waren in meinem Alter und wurden – wie Alice im Film – zur Pensionierung gezwungen oder schlicht gefeuert. Ich wollte von ihnen wissen, wie man sie diagnostiziert hatte, wie sie damit umgegangen sind, wie die Reaktionen ihrer Familien waren. Besonders tief beeindruckte mich eine ehemalige Krankenschwester, die auch rote Haare hat. Sie sagte, dass es vor allem gilt, mit Alzheimer zu leben.

Alzheimer wurde schon in einigen Filmen thematisiert – was ist hier das Besondere?

Es stimmt, dass Alzheimer schon in anderen Filmen eine Rolle spielte. Doch die Krankheit wurde meist von außen, von den Umstehenden reflektiert. Von denen, die den Patienten betreut haben – aber fast nie vom Betroffenen selbst. Das fand ich an unserem Projekt so spannend. Der Film ist komplett subjektiv, und man erlebt die Krankheit nur aus der Sicht von Alice. Das darzustellen, hat mich sehr gereizt. Und mir war auch sehr wichtig, nicht das langsame Wegdämmern von Alice zu zeigen, sondern ihren täglichen Kampf um ein Stück würdevolles Leben.

Wenn irgendwann auch der letzte Funke Bewusstsein verglommen ist – würden Sie dann Sterbehilfe in Betracht ziehen?

Das ist eine schwierige Frage, die der Film ja so nicht stellt. Aber ich will Ihnen trotzdem darauf antworten. Wenn ich selbst Alzheimer im Endstadium hätte, könnte ich diese Entscheidung ja nicht mehr für mich treffen. Ich müsste diese Entscheidung also meiner Familie aufbürden …

Sie könnten ja zuvor eine entsprechende Verfügung aufsetzen.

Was ich bis jetzt nicht getan habe und so schnell auch nicht tun werde. Man hat mir erzählt, dass es in Holland und der Schweiz Möglichkeiten gibt, sich legal einen Medikamenten-Cocktail zu besorgen, der zum Tode führt. So etwas muss jeder selbst entscheiden. Das ist immer ganz individuell. Für eine gesetzlich geregelte Euthanasie bin ich jedenfalls nicht.

Den Tod der Mutter noch nicht verwunden

Wie gehen Sie denn mit dem Tod eines geliebten Menschen um?

So ein Verlust ist immer sehr schmerzhaft. Aber auch da gibt es Unterschiede. Den Tod meiner Mutter, die vor sechs Jahren von einem Tag auf den anderen starb, habe ich bis heute noch nicht richtig verwunden. Wir waren uns sehr nahe. Sie war auch meine beste Freundin und Ratgeberin, seit ich ein Teenager war. Sie hat mich immer darin bestärkt, meinen Traum, Schauspielerin zu werden, nie aufzugeben. Das gab mir genau das Selbstvertrauen, das ich brauchte, um mich in diesem Beruf tatsächlich durchzusetzen.

Bei Ihnen ging es nach der Schauspielschule gleich richtig los. Sie spielten in New York sehr erfolgreich Theater. Dann kamen TV-Auftritte, die ersten Filme. Gab es in Ihrer Karriere eigentlich auch Stolpersteine?

Na ja, es gab schon Zeiten, in denen ich nebenher als Kellnerin gejobbt habe, um über die Runden zu kommen. Aber beruflich hatte ich eigentlich auch immer viel Glück. Allerdings hatte ich einen ziemlich holprigen Start ins Leben. Als Kind wurde ich nämlich ständig gehänselt – weil ich so klein war und wegen meiner dicken Brille. Auch im Sport war ich eine ziemliche Null. Doch das Schlimmste war, dass ich bis zu meinem 20. Lebensjahr bestimmt zwei Dutzend Mal umgezogen bin. Das lag daran, dass mein Vater Militärrichter bei der US-Armee war und häufig versetzt wurde. So habe ich zwar die Welt gesehen, konnte aber nie richtige Freunde finden. Das war oft sehr hart. Aber wenn man die meiste Zeit auf sich allein gestellt ist, entwickelt man mitunter die tollsten Überlebensstrategien. War das ein Grund für Sie, Schauspielerin zu werden? Sie wollten es der Welt zeigen?

Absolut! Seht her, das da auf der Bühne, im Scheinwerferlicht, das bin ich!

Hat Ihnen Ihre Bühnenerfahrung beim Film viel genützt?

Es hat mir schon eine gewisse Sicherheit gegeben, dass ich meinen Beruf von der Pike auf gelernt hatte. Und mich bei vielen Theaterstücken ausprobieren konnte. Aber vor der Kamera zu agieren, ist eine große Umstellung. Da muss man viel kontrollierter spielen. Viel subtiler sein.

Sie konnten bald mit so großen Regisseuren wie Robert Altman und Louis Malle arbeiten. Und später mit den Coen-Brüdern und Paul Thomas Anderson.

Und auch diesbezüglich habe ich einmal mehr großes Glück gehabt. Denn diese Regisseure haben alle etwas in mir gesehen, was ich damals selbst nicht an mir kannte. Sie haben mir Rollen gegeben, durch die ich mich weiterentwickeln konnte. In denen ich ganz neue Seiten an mir entdeckte.

Lesen Sie weiter, wie Julianne Moore mit der Angst vor der eigenen Überforderung umgeht.

Und in denen Sie oft splitternackt waren. Unvergessen Ihr Auftritt in „Short Cuts“ als Malerin – unten ohne mit leuchtend rotem Schamhaar. Oder als koksende Pornodarstellerin in „Boogie Nights“ oder als nackte Künstlerin in „The Big Lebowski“.

Na ja, ich habe auch andere Rollen gespielt. In denen ich angezogen war. Aber darum geht es nicht. Wenn es für das dramatische Verständnis einer Figur essenziell ist, dass sie sich auch nackt vor der Kamera zeigt, dann habe ich damit überhaupt kein Problem. Allerdings würde ich das nie ohne Grund machen und einfach so meine Brüste zeigen.

Viele Ihrer Kollegen sagen, dass man als Schauspieler eigentlich immer nackt ist – da man sich ja mit Haut und Haar vor einem Publikum ausstellt.

Was natürlich richtig ist. Aber genau deshalb ist man doch Schauspieler geworden – damit einem jemand dabei zuschaut.

Sie sagten einmal, dass die Zuschauer nicht Sie – also den Schauspieler – sehen wollen, sondern sich selbst.

Ich glaube fest daran, dass der Zuschauer tief in seinem Inneren etwas erkennen will, das mit ihm selbst zu tun hat. Vielleicht sogar etwas ganz Intimes, das ich als Schauspielerin eben nur sichtbar mache. Natürlich kann ich in jeder Rolle nur auf meine ganz persönlichen Erfahrungen zurückgreifen. Und wenn ich diese Erfahrungen nicht zur Verfügung habe – wie zum Beispiel Alzheimer –, muss ich trotzdem versuchen, mich ganz tief hineinzufühlen, bis es irgendwann „klick“ macht. Dann klickt es auch beim Zuschauer.

Haben Sie nie Angst, sich zu überfordern?

Ich weiß nicht. Ich bin sehr ängstlich im physischen Bereich. Zum Beispiel beim Skifahren oder Autofahren. Das mache ich beides extrem langsam. Ich würde auch nie kopfüber in einen Swimmingpool hineinspringen. Ich kann auch nicht gut schwimmen, ich habe es erst sehr spät gelernt. Da war ich schon 26, 27 Jahre alt. Und nie im Leben würde ich mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springen …

… oder mit Haien tauchen?

Nie und nimmer! Ich würde sterben! Aber als Schauspielerin habe ich keine Angst. Ich habe keine Furcht davor, Emotionen zu zeigen, mich zu öffnen, mich vor aller Welt zu offenbaren oder auch nackt zu sein. Ich habe absolut keine Angst vor Gefühlen. Meine Mutter sagte immer: „Gefühle können dich nicht umbringen!“

… wurde am 3. Dezember 1960 in Fayetteville, North Carolina, als Julie Anne Smith geboren. Da ihr Vater Richter bei der US-Army war, musste die Familie oft umziehen. Ihren Schulabschluss machte sie 1979 an der American School in Frankfurt am Main. Danach zog die Familie zurück in die USA, nach Boston, wo Julie Anne sich zur Schauspielerin ausbilden ließ. 1983 ging sie nach New York, änderte ihren Namen in Julianne Moore und spielte bald regelmäßig in Theaterstücken am Off-Broadway mit.

… kam Anfang der 90er-Jahre zum Film und hatte 1993 mit Robert Altmans „Short Cuts“ ihren Durchbruch. Danach spielte sie in Louis Malles „Vanja auf der 42. Straße“ und in anderen Independent-Produktionen. Zum Weltstar wurde sie durch Filme wie „Boogie Nights“, „The Big Lebowski“, „Magnolia“ und „The Hours“.

… meistert wie nur wenige Stars in Hollywood den Balanceakt zwischen anspruchsvollen Filmen wie „A Single Man“, „The Kids Are All Right“ und „Map of Stars“ und Popcorn-Movies wie „Die Tribute von Panem“ und „Seventh Son“.

… ist in zweiter Ehe mit dem Filmemacher Bart Freundlich verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder: Sohn Cal, 17, und Tochter Liv, 12. Die Familie lebt in einem Townhouse in Greenwich Village, New York City.

… spielt in dem Film „Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“ eine Linguistik-Professorin, die unerwartet an Alzheimer erkrankt und nach und nach ihr Gedächtnis verliert. In Deutschland kommt der Film am 5. März in die Kinos.

… wurde in der Nacht zum Montag für ihre Rolle in „Still Alice“ mit dem Oscar als beste Hauptdarstellerin geehrt. Es war bereits ihre fünfte Nominierung für diesen Preis.

… wurde am 3. Dezember 1960 in Fayetteville, North Carolina, als Julie Anne Smith geboren. Da ihr Vater Richter bei der US-Army war, musste die Familie oft umziehen. Ihren Schulabschluss machte sie 1979 an der American School in Frankfurt am Main. Danach zog die Familie zurück in die USA, nach Boston, wo Julie Anne sich zur Schauspielerin ausbilden ließ. 1983 ging sie nach New York, änderte ihren Namen in Julianne Moore und spielte bald regelmäßig in Theaterstücken am Off-Broadway mit.

… kam Anfang der 90er-Jahre zum Film und hatte 1993 mit Robert Altmans „Short Cuts“ ihren Durchbruch. Danach spielte sie in Louis Malles „Vanja auf der 42. Straße“ und in anderen Independent-Produktionen. Zum Weltstar wurde sie durch Filme wie „Boogie Nights“, „The Big Lebowski“, „Magnolia“ und „The Hours“.

… meistert wie nur wenige Stars in Hollywood den Balanceakt zwischen anspruchsvollen Filmen wie „A Single Man“, „The Kids Are All Right“ und „Map of Stars“ und Popcorn-Movies wie „Die Tribute von Panem“ und „Seventh Son“.

… ist in zweiter Ehe mit dem Filmemacher Bart Freundlich verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder: Sohn Cal, 17, und Tochter Liv, 12. Die Familie lebt in einem Townhouse in Greenwich Village, New York City.

… spielt in dem Film „Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“ eine Linguistik-Professorin, die unerwartet an Alzheimer erkrankt und nach und nach ihr Gedächtnis verliert. In Deutschland kommt der Film am 5. März in die Kinos.

… wurde in der Nacht zum Montag für ihre Rolle in „Still Alice“ mit dem Oscar als beste Hauptdarstellerin geehrt. Es war bereits ihre fünfte Nominierung für diesen Preis.

Vor allem wenn man sie nur vorspielt.

Da will ich Ihnen widersprechen. Meine Gefühle vor der Kamera sind immer echt. Ich tue nicht nur so – ich bin dann für diesen Moment die Person, die ich darstelle. Alles andere wäre Lüge. Denn die Zuschauer spüren sehr deutlich, wenn ihnen ein Schauspieler auf der Bühne oder im Film nur etwas vormacht.

Aber ist ein Filmset nicht ein ziemlich sicherer Ort, um Gefühle auszudrücken?

Das stimmt. Ein Filmset ist wie eine Zeitkapsel, also eine abgeschlossene Welt. Und wir haben immer etwas, an das wir uns anlehnen können: ein Drehbuch, einen Kollegen, den Regisseur. Was also kann schon passieren?

Sie haben einmal gesagt, Sie seien leicht manipulierbar. Wie meinen Sie das?

Ich meinte damit, dass ich immer sehr offen für Vorschläge bin. Ich höre mir die Meinung des Regisseurs oder meiner Schauspielkollegen immer gerne an. So gesehen hat man es mit mir leicht. Und die Idee, dass mir vor laufender Kamera etwas Unvorhergesehenes passieren kann, das macht doch gerade den Reiz aus. Das ist doch das Lebendige am Schauspielern. Ich bin keine misstrauische Person. Und ich zögere selten. Ich mache es erst einmal.

Haben Sie sich schon mal vor der Kamera missbraucht gefühlt?

Nein, ich bin zwar offenherzig, aber nicht leichtgläubig. Das ist ein großer Unterschied. Und ich habe mittlerweile viel Erfahrung. Ich bin ganz sicher nicht mehr so naiv, dass ich mich ausbeuten lasse oder Dinge tue, die ich nicht will. Ich weiß immer genau, was gerade gespielt wird.

Sie scheinen auch eine klare Vorstellung zu haben, was Ihr Image betrifft.

Auf mein Image habe ich nur sehr wenig Einfluss. Jeder kann in mich hineinlesen, was er will. Ich habe allerdings einen guten Instinkt, wie ich mich in der Öffentlichkeit präsentiere oder darstelle. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich durch und durch ein Familienmensch bin, der sehr bodenständig ist. Mein Mann und meine beiden Kinder sind der Mittelpunkt meines Lebens.

Für viele Hollywood-Stars kommt zuerst Ihre Karriere, dann erst das Privatleben.

Was ich für einen fatalen Irrtum halte. Denn das rächt sich über kurz oder lang immer bitterlich. Ich schöpfe so viel Kraft und Freude aus unseren beiden Kindern, aus der Zeit, die wir alle – meinen Mann eingeschlossen – miteinander verbringen. Kinder bereichern das Leben auf wunderbare Art und Weise. Das hätte ich früher nie gedacht. Wissen Sie, ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht als eine Familie. Zugegeben, ich habe mir damit ziemlich lange Zeit gelassen. Ich war schon 27, als ich meinen Mann kennenlernte. Sechs Jahre später haben wir geheiratet. Und mein erstes Kind habe ich bekommen, da war ich schon 37. Ich bin in erster Linie Mutter, dann Ehefrau, dann Schauspielerin. Und es gibt niemanden in meiner Familie, der auch nur im Entferntesten daran denken würde, mich für einen Hollywood-Star zu halten.

Obwohl Sie sehr zurückgezogen mit Ihrer Familie in New York leben …

… und eben nicht in Hollywood …

… sind Sie doch, ob Sie es wollen oder nicht, eine Prominente, die auf der Straße von Fans oder Paparazzi sicher dauernd erkannt wird. Verändert das nicht Ihre Haltung gegenüber den Menschen, die Sie umgeben?

Da ich mich so gut wie nie selbst als „Star“ bespiegele, eigentlich nicht. In diese Falle bin ich nie getappt. Ich bin von meinem Charakter her auch viel weniger narzisstisch, als man es bei einem Schauspieler vermuten könnte. Im wirklichen Leben bin ich eher scheu und zurückhaltend. Auch deshalb lebe ich nun schon seit über dreißig Jahren in Greenwich Village. Dort lässt man mich ziemlich in Ruhe. In New York gibt es so viel Aufregendes zu sehen, da brauchen sie nicht mich dazu. Und für den schönen Schein ist sowieso Los Angeles zuständig.

Ihre Kollegin Patricia Arquette meinte vor Kurzem, dass nichts in Hollywood ein so schnelles Verfallsdatum habe wie junge Schauspielerinnen.

Na ja, ich weiß nicht. Um in Hollywood bestehen zu können, muss man eben hart im Nehmen sein. Das ist ein Schwergewichtsboxkampf über zwölf Runden. Und das bei jedem Film. An dieser Stelle möchte ich mal eine Lanze für Kristen Stewart brechen, die im Film eine meiner beiden Töchter spielt. Ich finde es sehr ungerecht, dass man sie fast immer nur an ihren „Twilight“-Filmen misst. Sie ist eine so fabelhafte junge Schauspielerin, die so viel zu geben hat. Auch als Mensch. Es war eine große Bereicherung für mich, mit ihr vor der Kamera zu stehen. Den Star-Rummel und Erfolgsdruck, den sie schon mit Anfang zwanzig hat aushalten müssen – daran wäre ich in ihrem Alter sicherlich zerbrochen. Auch deshalb bin ich gar nicht so unglücklich darüber, dass ich erst mit dreißig zu Film kam.

Im nächsten Abschnitt lesen Sie, wie Julianne Moore mit dem Altern und ihrer Ehe umgeht und was sie ihrem Nachwuchs mitgeben möchte.

Kommen Sie mit dem Altern gut zurecht?

Ja, ganz gut, denke ich. Was ist denn am Altern eigentlich so schlimm? Das ist doch der Kreislauf des Lebens. Wir werden geboren, sind jung, dann werden wir älter, und irgendwann sterben wir. Und je älter ich werde, desto mehr Lebenserfahrung habe ich – und die wiegt doch allemal den Verlust der Jugend auf. Ich jedenfalls würde nicht mehr gerne zwanzig sein. Da war ich viel zu unsicher – und gestresst, es allen recht zu machen. Ich war immer auf der Suche, hatte ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Meine innere Ausgeglichenheit habe ich erst mit meinem jetzigen Mann gefunden. Und natürlich durch meine Kinder.

Was macht denn für Sie eine gute Ehe aus?

Es sind vor allem die vielen Kleinigkeiten. Doch zum Fundament einer jeden glücklichen Beziehung oder Ehe gehört, dass man sich rückhaltlos auf den anderen verlassen kann, und dass man treu ist. Und ich mache da keinen Unterschied zwischen körperlicher oder gedanklicher Treue. Für mich wäre ein Fehltritt in beiderlei Hinsicht schlimm. Für mich sind die beiden Schlüsselwörter für eine gute Ehe Kommunikation und Kompatibilität. Wir müssen vor allem miteinander reden, uns mitteilen.

Es heißt, Frauen würden das besser können als Männer.

Das ist auch so ein Mythos, der uns daran hindert, ehrlich miteinander umzugehen. Ich kenne genügend Frauen, die viel reden, aber nichts wirklich sagen. Doch die ganze Kommunikation hilft gar nichts, wenn wir einfach nicht zueinanderpassen und uns nicht von Herz zu Herz begreifen können.

Stimmt es, dass Sie von Ihrem Mann der Präsident der Familie genannt werden?

Ja, aber natürlich nur im Spaß. Das liegt vor allem daran, dass ich immer alles minuziös plane. Wann hat meine Tochter Nachhilfe? Wann hat mein Sohn Basketball-Training? Mutter fragen! Ich passe auch immer auf, dass ich durch meinen Beruf nicht zu lange von meiner Familie getrennt bin. Zwei Wochen sind das Maximum. Filme, für die ich um die halbe Welt fliegen müsste, sind schon lange nicht mehr mein Fall.

Und trotzdem finden Sie neben alldem noch Zeit, Kinderbücher zu schreiben.

Und zwar mit großer Leidenschaft! Ich habe mittlerweile drei „Freckleface Strawberry“-Kinderbücher (deutsch: „Sommersprossenfeuerkopf“) herausgebracht, an einem vierten schreibe ich gerade. Und außerdem noch an einem Buch über meine Kindheit. Wie sie schon am Titel sehen können, sind diese Bücher alle sehr autobiografisch. Als Kind habe ich meine roten Haare und Sommersprossen gehasst, weil mich die anderen Kinder immer damit aufgezogen haben. Mein Spitzname war lange Jahre tatsächlich „Freckleface Strawberry“. Durch meine Bücher will ich allen Kindern, die vielleicht ein bisschen anders aussehen als die Norm, Mut machen, ihr Leben zu leben und zu genießen.

Und trotz der Hänseleien hatten Sie, wie Sie gerne betonen, eine schöne Kindheit…

Das ist richtig, eine sehr schöne sogar. Denn ich hatte ein Zuhause, in dem ich geborgen war und mich geliebt und verstanden fühlte. Und all das will ich auch meinen Kindern geben.

Ihr Sohn Cal hat einen Kurzauftritt in „Still Alice “. Tritt er in Ihre Fußstapfen?

Ich glaube nicht. Er will eigentlich Musiker werden. Er hat sogar zusammen mit seiner Freundin für den Film einige Musikstücke arrangiert und neue Texte dafür geschrieben. Ich denke, da sieht er seine Zukunft. Mein Mann und ich unterstützen ihn natürlich, wann immer wir können.

Sie sind Schauspielerin, Ihr Mann ist Filmemacher – erlebt man als Künstler die Welt eigentlich intensiver?

Keine Ahnung. Ich glaube, es hat weniger mit dem Beruf zu tun, sondern mehr mit der Offenheit und Wachheit, damit, wie intensiv wir die Welt erleben – und mit Mut. Jeder Tag, jede Stunde ist doch ein großes Geschenk. Ich versuche, immer öfter dahin zu kommen, dass ich nur im Moment lebe und den Augenblick voll und ganz genieße.

Und wenn Ihnen der Moment, in dem Sie sich gerade befinden, nicht gefällt?

Dann warte ich darauf, dass er schnell vorbeigeht.

Das Interview führte Ulrich Lössl.

KStA abonnieren