Friedrich Merz erhielt im ersten Wahlgang nur 310 Stimmen und scheiterte damit. Ein zweiter Wahlgang ist geplant.
Erdbeben im BundestagMerz scheitert bei Kanzlerwahl im ersten Wahlgang – Doch heute noch zweiter Anlauf?

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag.
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Friedrich Merz ist am Dienstag (6. Mai) im ersten Wahlgang nicht zum Bundeskanzler gewählt worden. Auf Merz entfielen in geheimer Abstimmung 310 Stimmen, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mitteilte. Der Bundestag hat 630 Abgeordnete. Der Kanzler muss mit einer absoluten Mehrheit gewählt werden, also mindestens 316 Stimmen. CDU/CSU (208) und SPD (120) verfügen zusammen über 328 Mandate, also nur über 12 mehr, als sie unbedingt brauchen.
Insgesamt wurden am Montag 621 Stimmen abgegeben. Mit Ja stimmten 310 Abgeordnete, mit Nein 307. Es gab 3 Enthaltungen und 1 ungültige Stimme.
Es ist ein Novum: Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert. Das politische Erdbeben ereignete sich auf den Tag genau sechs Monate nach dem Bruch der Ampel.
Die Bundestagssitzung wurde nach dem ersten Wahlgang unterbrochen, Merz und die Union-Führung verließen eilig den Plenarsaal. Die Fraktion kam zu einer Sondersitzung zusammen. Merz traf sich mit SPD-Chef Lars Klingbeil in seinem Büro.
Wer die Abweichler sind, darüber herrscht offenbar Uneinigkeit. Während CDU und CSU die Schuldigen bei der SPD sehen, beteuern die Genossen laut „Spiegel“, sie seien es nicht gewesen. „Wir gehen bei uns von voller Zustimmung aus“, heißt es demnach aus Parteikreisen.
Wann findet ein zweiter Anlauf zur Kanzlerwahl statt?
Bei einem zweiten Wahlgang bräuchte Merz erneut 316 Stimmen, in einem dritten Wahlgang wäre eine einfache Mehrheit ausreichend. Wann ein weiterer Wahlgang allerdings stattfindet, ist bislang unklar. Laut Gesetz muss dieser innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Laut „Spiegel“ solle am Dienstag nichts mehr stattfinden. Darüber sei in der Unionsfraktion informiert worden.
Weiter heißt es beim „Spiegel“ unter Berufung auf die Union: Der erste Wahlvorschlag sei vom Bundespräsidenten gekommen. Für einen zweiten Wahlgang könnte der Wahlvorschlag aber aus der Mitte des Bundestags kommen. In diesem Fall gilt eine Ladungsfrist von 48 Stunden. Wenn sich die Fraktionen allerdings auf einen Fristverzicht einigen, könnte der zweite Wahlgang bereits am Mittwoch stattfinden. Der reguläre Termin mit Fristwahrung wäre am Freitag.
Auch AfD-Chefin Alice Weidel geht davon aus, dass der zweite Wahlgang am Mittwoch stattfinden wird. Die Linke plädiert ebenfalls für einen zweiten Wahlgang am Mittwoch, da ab Freitag ihr Bundesparteitag stattfindet.
Der Parteienforscher Karl-Heinz Korte sagt bei „Phoenix“, theoretisch sei noch am Dienstag ein zweiter Wahlgang möglich. Allerdings müsse dafür die Tagesordnung im Bundestag geändert werden, und dies sei nur mit der AfD möglich. Kanzler Scholz bleibe bis auf Weiteres genauso wie die Minister im Amt. Korte geht nicht davon aus, dass Merz grundsätzlich durchgefallen sei und man einen anderen Unionskandidaten brauche. Das Motiv des Protestes sei am wahrscheinlichsten.
Union würde zweiten Wahlgang am Dienstag bevorzugen
Gegen Mittag verdichteten sich allerdings die Hinweise, dass es bereits am Dienstag zu einem zweiten Wahlgang kommen könne. Dies würde die Union nach Worten von CDU-Generalsekretär Linnemann bevorzugen. „Ich hoffe, dass wir heute Abend einen neuen Bundeskanzler haben“, so Linnemann beim Sender Phoenix. Er gehe davon aus, dass die Union geschlossen für Merz gestimmt habe. Derzeit liefen im Hintergrund Gespräche innerhalb der Fraktionen, damit in einem zweiten Wahlgang ein anderes Ergebnis zustande komme.
Linnemann wirkte erwartungsgemäß maximal angestrengt.„Ernsthaftigkeit spüren wir auf den Fluren“, sagt er. Auf die Frage nach der Befindlichkeit von Merz weicht der Generalsekretär aus.
Eine Wiederaufnahme der Sitzung war am Dienstag für 12 Uhr geplant. Es ist zu erwarten, dass Bundestagspräsidentin Julia Klöckner das weitere Prozedere verkündet. Grundsätzlich hatten Vertreter der Oppositionsparteien ihre Zustimmung zu einem zweiten Wahlgang am Mittwoch oder sogar am Dienstag gegeben. Momentan geht es offenbar darum, die rechtlichen Bedingungen zu klären. Es gibt in der deutschen Geschichte keinen Präzedenzfall.
So ginge es nach der Merz-Wahl weiter
Sollte Merz gewählt werden, würde er im Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhalten. Anschließend ginge es umgehend zurück in den Bundestag. Dort müsste Merz den Amtseid ablegen.
Danach käme Merz erneut ins Schloss Bellevue – diesmal zusammen mit seinem Kabinett. Die Ministerinnen und Minister erhielten vom Bundespräsidenten ihre Ernennungsurkunden. Steinmeier würde eine kurze Rede halten. Anschließend würde die Bildung der neuen Bundesregierung im Bundestag bekanntgegeben. Die Ministerinnen und Minister legen dann dort den Amtseid ab.
Auch Angela Merkel bei Merz-Wahl auf Tribüne
Beim ersten Wahlgang waren neben hochrangigen Politikern auch Familienmitglieder von Merz und Prominente anwesend. Auf der Besuchertribüne im Bundestag zu sehen waren unter anderem Ehefrau Charlotte Merz und die Töchter Carola Clüsener und Constanze Merz.
Zur Eröffnung der Sitzung schickte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner einen besonderen Gruß an die Familienmitglieder. Diejenigen, die sich für den politischen Weg entschieden, übten auch immer Einfluss auf das Leben derer aus, die ganz nah mit ihnen lebten, sagte die CDU-Politikerin.
Klöckner begrüßte auf der Tribüne außerdem die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), die neben der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Platz genommen hatte. Dahinter zu sehen war Astronaut Alexander Gerst. Auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf zählt zu den Gästen. Merkel verließ die Tribüne nach dem ersten Wahlgang. (cme, dpa)